Dieter Reiter: „Meine Mutter war entsetzt"
AZ: Herr Reiter, was war Ihre schwierigste Entscheidung im vergangenen Jahr?
DIETER REITER: Das waren vor allem Entscheidungen, die mit den zu uns geflüchteten Menschen zusammenhingen. Nehmen wir die Bayern-Kaserne. Als ich dort ankam, waren die Zustände katastrophal. Ich wusste, dass ich mich auf dünnes Eis begebe, juristisch gesehen, als ich gesagt habe: „Wir machen die Kaserne jetzt dicht.“ Aus humanitärer Sicht war es notwendig und richtig.
Sie haben mal gesagt: „Es ist erstaunlich, welche Machtfülle ein OB besitzt.“ Gefällt Ihnen die Rolle?
Es ist ein gutes Gefühl, Entscheidungen zu treffen und damit die Politik, die man für die Stadt notwendig erachtet, auch umsetzen zu können.
Zum Beispiel?
Mehr Gehalt für Erzieherinnen. Alle haben gesagt, das ist schwierig, das wird ein dickes Brett, den Beschäftigten mehr Geld zu bezahlen. Aber ich habe gesagt: „Das muss sein“ – weil es keinen Sinn macht, Kitas zu bauen, aber kein Personal für den Betrieb zu haben. Jetzt bekommen die Erzieherinnen und Erzieher 200 Euro mehr im Monat, und ich hoffe, dass damit der gesamte Berufsstand aufgewertet wird.
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Keine Angst, sich vor lauter Pragmatismus mal zu weit aus dem Fenster zu lehnen?
Wer schnelle und umsetzbare Lösungen sucht, ist dieser Gefahr ausgesetzt. Als Erfahrungs-Jurist kann ich aber ziemlich gut einschätzen, ob ich solche oft juristischen Bedenken zurückstellen kann.
Kaum im Amt, schon gab’s eine Watschn: Bei seiner Verabschiedung im Deutschen Theater erwähnte Alt-OB Christian Ude Sie mit keinem Wort.
Ich war sicherlich überrascht, dass er mich nicht erwähnt hat und es auch keine guten Wünsche für die Zukunft gab, was bei solchen Gelegenheiten eher üblich ist. Und auch, wie er sich offenbar die politische Zukunft der Stadt vorstellte: nämlich die Fortsetzung von Rot-Grün ohne klare Mehrheiten im Stadtrat. Das wäre mit den vielen kleinen Parteien und Gruppierungen im Stadtrat äußerst schwierig gewesen.Insoweit waren seine Mahnungen nicht wirklich hilfreich.
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Dass es Rot-Grün nicht mehr gibt, stört nicht nur den Alt-OB.
Ich hätte auch eine andere Mehrheit vorgezogen, aber hier geht es um Stabilität für eine Millionenstadt. Wir müssen weitreichende Entscheidungen treffen, da kann man nicht durch die Gänge des Rathauses laufen und Mehrheiten suchen.
Reden Ude und Sie noch miteinander?
Natürlich. Wenn wir uns treffen, führen wir freundschaftliche Gespräche.
Wie steht es mit ihrem CSU-Rivalen Josef Schmid?
Der Wahlkampf war ja meist argumentativ geprägt – oder auch langweilig, wie manche meinen. Das macht die jetzige Zusammenarbeit mit ihm als Bürgermeister einfacher. Wir müssen ja nicht gleich zusammen in den Urlaub fahren. Ein Bier mit ihm zu trinken, könnte ich mir vorstellen, wenn es ein Sachthema zu besprechen gibt.
Wo war Ihr Puls höher? Bei der Stichwahl oder beim Anzapfen?
Definitiv beim Anzapfen. Auf der Wiesn stand ich tatsächlich unter Druck. Aber mein „Scheiß drauf, wurscht!“ nach vier Schlägen hat man mir zum Glück verziehen. Nur meine über 80-jährige Mutter war entsetzt.
Wie viele Schläge werden es nächstes Jahr?
Drei sind ein gutes Ziel. Christian Ude hat bei seinem ersten Mal ja auch sieben gebraucht.