Dieter Reiter Interview: Müssen es schaffen, dass München wieder bezahlbar wird

Kita-Gebühren weg, MVV-Preise runter: Im Gespräch mit der AZ erklärt OB Dieter Reiter (SPD) seinen Plan für 2018 - und spricht über sein Verhältnis zu Markus Söder.
von  Florian Zick, Felix Müller
Dieter Reiter (Mitte) beim AZ-Gespräch in seinem Dienstzimmer. Foto: Sigi Müller
Dieter Reiter (Mitte) beim AZ-Gespräch in seinem Dienstzimmer. Foto: Sigi Müller

Der 59-jährige Reiter ist seit 2014 Oberbürgermeister der Landeshauptstadt München. Sein AZ-interview zum Jahresende 2017 lesen Sie hier.

AZ: Herr Reiter, 2018 könnte für München ein schwieriges Jahr werden, oder?
Dieter Reiter: Ja? Warum denn das?

Naja, Sie verlieren mit Horst Seehofer einen Ihrer wichtigsten Verbündeten.
Ach, das sollte man nicht überbewerten. Aber es stimmt, wir hatten eine sehr vertrauensvolle Zusammenarbeit. Politisch waren wir zwar oft durchaus völlig unterschiedlicher Meinung, bei der Flüchtlingspolitik etwa oder beim Diesel-Gipfel. Aber ansonsten war Horst Seehofer ein Partner, mit dem man Dinge, die wir seit Jahrzehnten mit uns herumgetragen haben, im Interesse der Stadt endlich entscheiden konnte, egal, ob das jetzt der neue Konzertsaal war oder die zweite Stammstrecke.

Seehofer und Reiter - ein kongeniales Duo?
Wir hatten und haben einen guten Draht - vor allem einen kurzen Draht. Da schreibt man sich schnell auch einfach mal eine SMS.

Haben Sie die Handynummer von Markus Söder auch schon?
Ja, die habe ich schon.

"Wenn es mit Söder so wird wie mit Seehofer, ist alles gut"

Wird sich unter ihm bei der Zusammenarbeit etwas verändern?
Das kann ich noch nicht beurteilen. Aber ich glaube, dass Herr Söder sich nicht vollkommen quer zur Landeshauptstadt stellen wird. Wenn sich die Art der Zusammenarbeit durchsetzt, wie sie Horst Seehofer und ich gepflegt haben, werden wir sicher auch weiter zum Wohle von Bayern und von München gut zusammenarbeiten.

Welche Rolle wird Ihre Partei da spielen? Der SPD geht es derzeit ja nun wahrlich nicht gut.
Die Bundestagswahl war tatsächlich für die SPD sehr enttäuschend. Umso wichtiger ist es, dass wir uns für die Landtagswahl wieder als echte Alternative präsentieren und den Menschen im Land deutlich machen, warum es für sie persönlich wichtig ist, SPD zu wählen. In Bayern scheint den Bürgern das CSU-Wählen ja quasi in die DNA geschrieben zu sein. Aber wir werden schon darlegen, dass man auch in einem Land, dem es gut geht, die Dinge noch besser machen kann.

Ist Natascha Kohnen als Spitzenkandidatin da die richtige Wahl?
Absolut. Und sie ist ein völlig anderer Mensch als Markus Söder. Sie ist verbindlich, kontaktfreudig und hat als Frau natürlich einen ganz anderen Stil, zu führen.

Werden Sie als populärer OB sich da in den Wahlkampf mit einschalten?
Natürlich werde ich mich auch im Landtagswahlkampf engagieren. Erste Abstimmungen hat es schon gegeben.

Bleiben wir noch kurz bei der Landtagswahl. Die wird ja auch den Stadtrat ordentlich durcheinanderwürfeln.
Ja, denn allein bei der CSU wird es wohl wieder einige Abgänge geben. Nach der Landtagswahl werden von den 26 ursprünglich gewählten Stadträten womöglich zehn nicht mehr da sein. Das ist schon bemerkenswert. Das hat es, glaube ich, so noch nie gegeben.

Auch Ihr Stellvertreter wird wohl gehen. Statt noch einmal als OB zu kandidieren, zieht es Josef Schmid jetzt ins Maximilianeum.
Das respektiere ich selbstverständlich.

Schmid wird aber nächstes Jahr Wahlkampf machen. Das wird doch auch das Rathaus beeinflussen.
Herr Schmid hat mir versichert, dass der Wahlkampf seine Arbeit im Rathaus nicht beeinträchtigen wird. Außerdem sind die Themen im Landtagswahlkampf größtenteils andere als in der Kommunalpolitik. Denken Sie nur an die Diskussion um das Riedberger Horn oder den Bayern-Ei-Skandal.

Im Münchner Bundestagswahlkampf gab's aber durchaus immer mal wieder Überschneidungen mit der Rathaus-Politik.
Ich glaube nicht, dass der Kollege Schmid gegen die Kooperation im Rathaus Wahlkampf machen wird. Er wird auf seine Bekanntheit setzen, die er als Münchner Bürgermeister zweifelsohne hat. Ich bin aber gespannt, ob er die Regelung seiner Nachfolge wirklich bis in den September offenlassen wird. Wer wird Bürgermeister, wer OB-Kandidat, wer Wirtschaftsreferent? Drei drängende Personalfragen - da bin ich echt mal gespannt.

Dieter Reiter (Mitte) beim AZ-Gespräch in seinem Dienstzimmer. Foto: Sigi Müller
Dieter Reiter (Mitte) beim AZ-Gespräch in seinem Dienstzimmer. Foto: Sigi Müller

Dieter Reiter (Mitte) beim AZ-Gespräch in seinem Dienstzimmer. Foto: Sigi Müller

Wie gut könnten Sie denn mit einem Bürgermeister Manuel Pretzl?
Unproblematisch. Wir kennen uns durch die politische Arbeit jetzt seit zehn Jahren gut.

Sie halten ihn aber auch für den wahrscheinlichsten Kandidaten?
Ich bin nicht bei der CSU-Landesleitung. Aber es liegt schon auf der Hand, dass der Fraktionsvorsitzende in so eine Rolle nachrückt. Alles andere wäre für mich jedenfalls eine Überraschung.

Wer auch immer es sein wird: Sie werden mit ihm große Fragen klären müssen.
Vor allem beim Thema Verkehr. Das ist eine der größten Herausforderungen, die eine wachsende Stadt wie München hat. Ich habe mir deshalb vorgenommen, dass wir 2018 weitere U-Bahnlinien im Grundsatz beschließen: die U9, die U5 oder die Tram nach Freiham - und am besten auch gleich die Verlängerung der U4 und die Tangente im Norden.

Die wollen Sie alle schon jetzt beschließen?
Die haben alle so lange Bauzeiten, deswegen müssen wir die Linien zumindest schon planen. Wir werden sie natürlich nicht alle parallel bauen können, das ist rein technisch gar nicht möglich. Wir reden da wahrscheinlich von einer Fertigstellung 2035 bis 2040. Aber wenn wir jetzt nicht anfangen, haben mein Nachfolger und meine Nachnachfolger immer noch die gleichen Probleme. Deswegen müssen wir jetzt Entscheidungen treffen.

"U-Bahnen bauen, ohne zu buddeln? Geht leider nicht"

Das klingt nach unfassbar vielen Baustellen.
Deshalb werbe ich bei den Münchnern schon jetzt für Verständnis. Ich sage aber auch immer: Wer weiß, wie man U-Bahnen baut, ohne ein Loch zu buddeln, der soll mir das bitte schreiben. So große Infrastruktur-Maßnahmen haben leider den unangenehmen Begleiteffekt, dass wir für den Bau auch Baustellen brauchen.

Über die Baugrube am Sendlinger Tor mosern die Leute bestimmt auch schon.
Ja, und wie. Ich hätte die vielen Millionen auch lieber in andere Projekte gesteckt. Aber ich kann nicht riskieren, dass die U-Bahnstation baufällig wird. Wenn mir Baustatiker sagen, es muss saniert werden, dann gibt es dazu keine Alternative. Man muss den Menschen erklären, dass wir das nicht machen, um sie zu ärgern.

Was kommt dieses Jahr noch an Verkehrsmaßnahmen?
Wenn alles gut geht, zwei neue Trambahnen. Die eine ist ja schon beschlossen, die sogenannte Westtangente. Und dann die Garten-Tram, da wird es gleich zu Jahresbeginn einen Beschluss geben.

Und wie geht's weiter mit der Diesel-Debatte?
Ich erwarte mir von der Regierung von Oberbayern einen Luftreinhalteplan, der überzeugend darlegt, wie wir 2018 die Grenzwerte für Stickoxide einhalten. Ich bin gespannt, wie sie dies ohne Fahrverbote erreichen will, vor allem, wenn die Autoindustrie die Fahrzeuge nicht schnell und wirkungsvoll umrüstet.

Können Sie sich da eine Lösung vorstellen, die gerecht und fair ist?
Eine solche Lösung muss es geben. Ich will den Blickwinkel da aber auch gerne noch einmal etwas weiten: Es kann nicht sein, dass wir versuchen, ein Problem zu lösen, ohne dabei den Verursacher in die Pflicht zu nehmen - und das ist nun mal die Automobilindustrie.

Was erwarten Sie von VW, Daimler und Co.?
Ich will einfach nicht akzeptieren, dass diese milliardenschweren Konzerne gemeinsam nur lächerliche 250 Millionen Euro zusammenkratzen, um den Dieselskandal aufzuarbeiten. Viel mehr als um diesen Fonds geht es aber um die Um- beziehungsweise Nachrüstung. Da höre und sehe ich gar nichts. Keiner sagt: Kommt zu uns, wir machen ein Software-Update. Wenn das aber nicht schnell passiert, werden wir es nicht schaffen, zeitnah die Grenzwerte einzuhalten.

Keine Diesel-Motoren mehr in der Stadt, das HKW Nord geht vom Netz - die Münchner Luft wird noch richtig sauber.
Das muss das Ziel sein. Was das HKW Nord betrifft, haben wir jetzt erstmal einen Antrag bei der Bundesnetzagentur gestellt - mal schauen, was die dazu sagt. Ich halte es für falsch, das Heizkraftwerk vorschnell stillzulegen, aber die Bürger haben's nun mal so entschieden - und die sind immer noch der Souverän. Deswegen nehmen wir die Entscheidung selbstverständlich ernst. Und sollte die Bundesnetzagentur einer Abschaltung zustimmen, werden wir bis Ende 2022 eine andere Form der Energiegewinnung schaffen müssen.

Was haben Sie sich sonst noch vorgenommen für das neue Jahr?
Wohnungen bauen - bezahlbare Wohnungen. Denn gebaut wird ja, das ist nicht das Problem. Wenn der Quadratmeter dann aber teilweise mehr als 30 Euro kostet, hilft das den meisten Münchnern relativ wenig. Und diese Preise sind heute ja leider keine Seltenheit mehr. Als Stadt müssen wir aber dafür sorgen, dass sich auch der Normalverdiener München noch leisten kann.

Kann man da nicht mehr tun?
Wir versuchen bereits auf verschiedenen Wegen, die Menschen in München zu entlasten. Deshalb haben wir auch die Abschaffung der Kita-Gebühren angestoßen. Eine andere Möglichkeit sind die MVV-Tickets. Wir müssen es schaffen, dass München bezahlbar bleibt und wieder bezahlbar wird. Die zwangsläufigen Preiserhöhungen jedes Jahr, damit will ich mich nicht abfinden. Diese Preisentwicklung kann in den nächsten zehn Jahren nicht einfach so weitergehen.

Dieter Reiter im AZ-Interview zum Jahresende 2017: "Viele können sich München nur noch mit Mühe leisten"

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