Dieter Reiter: "Das wird mir in Erinnerung bleiben"

München - Vor einem Jahr kamen von einem Tag auf den anderen Zehntausende Flüchtlinge in München an. Die Bilder vom Hauptbahnhof gingen um die Welt – und haben sich auch dem Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ins Gedächtnis gebrannt, wie er im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur sagt.
Was ist Ihnen aus dieser Zeit Anfang September 2015 vor allem im Gedächtnis geblieben?
Wenn ich an diese Wochen im September zurückdenke, dann ist mir einmal die außerordentliche Hilfsbereitschaft der Münchnerinnen und Münchner in Erinnerung. Auch die Art und Weise, wie herzlich sie die geflüchteten Menschen in Empfang genommen haben.
Zum anderen denke ich auch an die vielen Menschen, die nach einer langen und beschwerlichen Flucht bei uns ankamen. Ein Bild ist mir im Kopf geblieben, von jener syrischen Familie, die liebevoll ihrer sicher weit über 80-jährigen, gehbehinderten Oma über die Stufen am Hauptbahnhof geholfen haben. Man konnte die Erleichterung in vielen Gesichtern der Geflüchteten sehen.
Gibt es eine Begegnung mit einem Flüchtling, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ich erinnere mich an eine Familie, die ihre kleine Tochter auf der Flucht verloren hatte. Mit dem Pass der Kleinen standen sie am Hauptbahnhof vollkommen aufgelöst vor mir. Sie hatten ihre Tochter schon in Ungarn vermisst. Man kann sich vorstellen, wie verzweifelt die Eltern waren. Kaum zu glauben, dass wir die Kleine nach wenigen Stunden ausgerechnet in München finden und mit den Eltern wieder vereinen konnten. Zum Glück hatte ein junger Flüchtling aus Afghanistan die Kleine an die Hand genommen und war mit ihr bis nach München gekommen, wo er die Eltern vermutet hatte. Das wird mir sicher in Erinnerung bleiben.
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München hat sich damals als weltoffene, gastfreundliche und überaus menschliche Stadt gezeigt. Hat sich dieses Bild gewandelt?
Nein, München ist nach wie vor eine weltoffene und tolerante Stadt. Viele Münchnerinnen und Münchner engagieren sich auch heute noch, geben Sprachkurse, helfen bei der Kleidersammlung, in den Unterkünften.
Aber natürlich gibt es auch Menschen, die Vorbehalte haben. Das darf man nicht unter den Teppich kehren, sondern muss darüber reden, Vorurteile entkräften. Im letzten Jahr ging es vor allem darum, die Flüchtlinge vor Obdachlosigkeit zu schützen, ihnen das Notwendigste zu bieten, Essen, einen Schlafplatz. Jetzt stehen wir vor der eigentlichen Herausforderung: Die Integration der zu uns geflüchteten Menschen, in den Alltag, in die Schulen, in den Arbeitsmarkt. Das ist eine riesige Aufgabe, die man nicht klein reden darf und die uns alle fordert.