Diese Männer ließen die Bombe hochgehen!

Diethard Posorski und Günther Sobieralski halten München stundenlang in Atem. Das Protokoll ihres Tages mit der Bombe
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250 Kilo Tod – begraben unter Sandsäcken. Bei der Explosion mildern sie die Wucht der Bombe ab.
250 Kilo Tod – begraben unter Sandsäcken. Bei der Explosion mildern sie die Wucht der Bombe ab. © T. Gaulke

München  - Einer kurbelt. Einer drückt den Knopf. Strom läuft durch ein Kabel – dann dröhnt die Welt in Schwabing.

Gestern Abend um 21.54 Uhr haben zwei Männer in der Feilitzschstraße eine Bombe gezündet. US-Fabrikat, 250 Kilo schwer, voll mit Sprengstoff.

Als sie hochgeht, steigt ein Feuerball in die Nacht und wirft kurz seinen Schein auf die Häuser. Die Wucht der Explosion schleudert Splitter und brennendes Stroh durch die Luft, vier Gebäude gehen in Flammen auf. Dutzende Scheiben bersten, Fenster reißt es aus den Rahmen. Der Schaden ist enorm – aber es gibt laut Polizei keine Verletzten. Über 100 Feuerwehrmänner können die Brände nach und nach eindämmen.

Diethard Posorskis Tag ist zu diesem Zeitpunkt gerade vorbei. Martinshörner röhren, der Sprengmeister ist kaum zu hören: „Mir geht’s gut, alle sind unverletzt“, brüllt er als erste Worte. „Hier sind ganz schön die Fetzen geflogen.“

Und wie: Durch die Druckwelle haben die Häuser gezittert. Die ganze Anspannung dieses Tages hat sich scheinbar auf einmal entladen.

Am Dienstagmorgen hat Posorski schon eine schlaflose Nacht hinter sich. Seit Montagmittag steht er bei der Bombe. Jetzt wartet er auf Verstärkung. Die sitzt gegen elf Uhr in einem Auto auf der A9 bei Nürnberg: Sprengmeister Günther Sobieralski.

Der 64-jährige Bombenexperte weiß, was ihn erwartet: ein chemischer Langzeit-Zünder. Fieses Ding. Sobieralski aber ist noch jedem beigekommen. Der gelernte Kfz-Mechaniker aus Schleswig-Holstein räumt seit 21 Jahren rund um Oranienburg auf. Im Zweiten Weltkrieg war in Oranienburg viel Rüstungsindustrie, dort liegen viele dieser Bomben in der Erde. „Bei uns steht am Donnerstag wieder eine Entschärfung an“, sagt Sobieralskis Mitarbeiterin am Telefon. „Wir drücken die Daumen!“

Gegen 12 Uhr kommt Sobieralski in der Feilitzschstraße an – mit Polizeieskorte. Die Gegend ist da schon seit etwa 18 Stunden Sperrgebiet: 2500 Menschen mussten ihre Wohnungen verlassen (siehe folgende Seiten). Die Mensa-Belegschaft des Studentenwerks kocht Wiener Schnitzel und Tagliatelle mit Tomaten-Basilikumsoße für etwa 400 Menschen.

Gegen 16 Uhr wird dieser Kreis auf einen Kilometer ausgeweitet. Jetzt sind 3000 Menschen betroffen. In dieser „Zone 2“ darf niemand auf die Straße – von der Georgenstraße im Süden zur Belgradstraße im Westen, zur Johann-Fichte-Straße im Norden und im Osten bis zum Ifflandring. Dort und am Petuelring herrscht Verkehrschaos. Der Englische Garten rund ums Seehaus ist verwaist.

Auch im Untergrund steht Schwabing still: Die U-Bahnhöfe Giselastraße, Münchner Freiheit, Dietlindenstraße und Bonner Platz sind gesperrt, die Züge wenden vorzeitig.

Dann ist die Gegend dicht – im Auge des Sturms: Posorski, Sobieralski und ihr Team. Nur wenige Meter von der Bombe entfernt beschließen sie: wir entschärfen. „Wenn das nicht klappt, wird die Bombe sofort gesprengt“, sagt Posorski.

Die beiden Männer kennen sich gut, Posorski lernte Sobieralski mal an. „Aber das ist ja schon 20, 30 Jahre her.“ Er sagt: „Ich kann mich auf ihn verlassen.“ Es ist der erste Fall einer solchen Bombe in Bayern, deshalb ist Sobieralski gekommen.

Posorski ist es, der hier gar nicht sein sollte. Er arbeitet sonst in Ingolstadt und ist hier bloß auf Urlaubsvertretung. Er geht heuer in den Ruhestand. „Den habe ich mir wohlverdient“, sagt er knurrend. Auch Sobieralski trennen nur wenige Monate von der Rente.

17 Uhr, 18 Uhr, 19 Uhr - die Entschärfung verzögert sich. Posorski sagt, er wolle die Bombe auf jeden Fall heute „unschädlich“ machen. Um 19.30 Uhr starten sie ihren einzigen Versuch. Sie reinigen zuerst die Bombe und versuchen dann, den Zünder mit einem Spezialschlüssel herauszudrehen. Sie scheitern. Die eingebaute Ausbausperre droht, die Bombe zu zünden.

Einen zweiten Versuch gibt es nicht. Der Einsatzleiter der Feuerwehr begründet die Entscheidung: „Es ist zu gefährlich, die Bombe wegen der Witterung einfach liegen zu lassen. Kälte, Wärme oder Regen könnten sie im jetzigen Zustand zur unkontrollierten Explosion bringen“. Um 20.30 Uhr kommt die Meldung: Wir sprengen!

Die Polizei kämmt noch einmal das Gebiet durch: „Achtung, Achtung, in Kürze erfolgt die Sprengung der Bombe.“ Alle sollen in den Häusern bleiben, Schwerhörige ihre Apparate abschalten.

20.57 Uhr: Die Experten holen zusätzlichen Sprengstoff.

21.17 Uhr. Posorski meldet: Sie installieren gerade die Ladung und zünden in wenigen Minuten. „Es wird die große Lösung. Wir zünden die ganze Bombe.“

21.27 Uhr: AZ-Reporter Willi Bock steht direkt an der 1000-Meter-Sicherheitsgrenze. „Es herrscht gespenstische Ruhe wie sonst nur morgens um fünf. Einfach nur Leere.“

21.38 Uhr: Es sind immer noch Leute in der Sperrzone unterwegs. Die Polizei treibt sie die Leopoldstraße hinunter hinter die Absperrungen. Es sind mehrere hundert Menschen.

Schwabing ist jetzt leer.

Dann springt der Zeiger auf 21.54 Uhr.

 

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