Die wilden Jahre der Krauts

Zwei Pioniere des deutschen Pop, Guru Guru und Birthcontrol, spielen am Mittwoch im Metropolis in der Kultfabrik: Chris Karrer und Helmut Hattler erinnern sich.
Die beiden haben eine Epoche deutscher Pop-Musik mitgestaltet. Zum ersten Mal blickte das Ausland interessiert auf die deutsche Szene, und wahrscheinlich war es der englische Radio-DJ John Peel, der den deutschen Wilden auch gleich ein Etikett verpasste: Krautrock. AM Mittwoch spielen zwei Pioniere des deutschen Pop, Guru Guru und Birthcontrol, im Metropolis in der Kultfabrik. Im Café Münchner Freiheit stecken Helmut Hattler und Chris Karrer, beide Gäste auf Guru Gurus neuem Album, die Köpfe zusammen.
Der Kraan-Bassist und der Amon Düül II-Gitarrist erinnern sich an eine Zeit, als man die englischsprachigen Vorbilder hinter sich ließ und den Mut hatte, eigene Schneisen durch den Sounddschungel zu schlagen.
Kraut zum Rauchen
Natürlich, Vielfalt wurde in einen Begriff gezwängt, aber: „Der Zusammenhalt wird auch durch ein Etikett definiert“, findet Hattler. Und mit der Lässigkeit der 60er arrangierte man sich mit dem etwas despektierlichen Begriff: „Kraut war ja nicht nur Sauerkraut, sondern auch zum Rauchen“, grinst Hattler.
Sechs Wochen vor dem Abitur schmiss der Kraan-Bassist die Schule, um sein Leben neu zu gestalten. Der Bruch mit der kriegstraumatisierten Elterngeneration war radikal. „Wenn du von Null anfängst, dann passiert auch etwas Neues. Es war klar, jetzt gibt es eine soziale, ökonomische, kulturelle und politische Revolution“, erinnert sich Hattler.
Die Trennung zwischen Privatleben, Politik und Kunst wurde durchlässig. Chris Karrer lebte in einer der ersten Kommunen am Prinzregentenplatz. „Wir waren die Enfants Terribles. Allein von der Wohnung zum Übungsraum war es ein Spießrutenlauf.“ Die Kommunen- Erinnerungen Karrers sind allerdings nicht die besten.
In einem perversen Twist wird die anscheinende Liberalität zur totalitären Überwachung. Die Beischlaffrequenz wird analysiert und der Drogenkonsum kontrolliert. Im Kampf gegen die Normen werden sich Aufbegehrer und Unterdrücker unangenehm ähnlich. Hattler fasst die Grenzen des Modells schlagend zusammen: „Der Zyklus der Frau ist nicht ideologisierbar.“ Oft sind es auch die Alltäglichkeiten, die der Entfaltung Grenzen setzen. In der Teeküche der Amon-Düül-Kommune stapelt sich der Krempel. Irgendwann räumt die Wohngemeinschaft den Inhalt aus und vergräbt ihn einfach im Wald.
Entdeckungen aus der Not heraus
In der Kunst eröffnet das improvisierte Leben aber ungeahnte Freiräume. Die Entdeckung neuer Sounds wurde teilweise aus der Not geboren. Chris Karrer erinnert sich, wie die Gitarren einen Halbton tiefer gestimmt wurden, um die Seiten besser ziehen zu können. Plötzlich hatte man einen wabernden Sound. Frank Zappa ist von Amon Düül II begeistert. Nur dass ein Band-Leader fehlt, stört ihn. Das aber ist das revolutionäre Konzept vieler Kraut- Rock-Bands, die Musik nicht mehr hierarchisch organisieren, sondern im Austausch-Prozess entstehen lassen. Unter den einzelnen Bands gab es starke Verbindungen. Man spielt nicht nur zusammen, sondern hat auf Tour auch gleich einen Schlafplatz. Chris Karrer erinnert sich allerdings an eine herzliche Feindschaft zwischen Amon Düül II und Can und hat auch eine wüst-komische Tourgeschichte parat, Einmal bekam Düül-Gitarrist John Weinzierl von Can hinter der Bühne Codein eingeflößt. Ein Horror für Amon Düül, mit einem Zombie- Gitarristen aufzutreten.
Die Musik sollte im Gesamtkomplex der Weltveränderung funktionieren. „Das sinnliche Element“, wie es Hattler nennt, stand da ganz im Gegensatz zu den ewigen Diskussionsrunden. Als Amon Düül II auf ein Anarchistentreffen eingeladen werden sollen, bittet Rainer Langhans, die Musik müsse so leise sei, dass man noch reden könne, erinnert sich Karrer. Als Amon Düül II in Ostberlin spielen, zögert man lange, ob die heimischen Rituale hier angebracht sind. Schließlich wird der Joint gedreht und macht die Runde. Aber die Gruppe wird angesprochen: „Wir haben schon gesehen, dass sie nicht zum Kapitalismus gehören.
Wir mussten ja ihren alten Bus anschieben. Aber dass sie eine Zigarette zu dritt rauchen, haben wir noch nie gesehen. Sind sie so arm?“ Zwischen der Linken der DDR und der BRD steht mehr als die Mauer. Überlebt hat nicht die Ideologie, sondern der genetische Code eines Sound. Eben haben Guru Guru ein neues Album „Psy“ veröffentlicht und Helmut Hattler hat mit Kraan „Psychedelic Man“ eingespielt. Seine Kinder aber hat der Krautrock weltweit gezeugt. Man findet ihn im Postrock von Tortoise oder in den neutönenden Lärmstrukturen von Sonic Youth. Überall dort, wo man die Tradition ruhen lässt und ohne Rücksicht auf Scheitern den Absprung wagt, lebt der Geist der Pioniere weiter.
Christian Jooß
Guru Guru und Birthcontrol, Metropolis (Kultfabrik), Grafinger Straße 6, Mittwoch, 20 Uhr, Eintritt: 23,40 Euro zzgl. Gebühr.