Die Wiege der Stadt München wird 100 Jahre alt

München - Nein, es ist absolut nicht üblich gewesen vor 100 Jahren, ein Baby in einem Kreißsaal zur Welt zu bringen. Wer aus „ordentlichen“ Verhältnissen kam, gebar in aller Regel daheim im eigenen Bett. Notfalls musste die Hebamme halt bei Nacht und Nebel herbeieilen und helfen.
Vor allem eine Gruppe Frauen kam hochschwanger und in höchsten Nöten in die „Gebäranstalt“ in der Sonnenstraße (das spätere Postscheckamt): ledige Mütter, ohne Mann, ohne Geld. Viele reisten aus dem tiefsten Ober- und Niederbayern an, für sie übernahmen dann die Heimatgemeinden die Kosten.
Gruppenfoto mit Repetitor: 1919 startete der erste Hebammenkurs mit 45 Schülerinnen. Vorne: Prof. Theodor von Miltner. Foto: Hebammenschule
Es war 1907, noch zu Zeiten von Prinzregent Luitpold, als dort der gefragte Gynäkologe Albert Döderlein den Chefposten übernahm, und befand: Das Haus ist zu klein, zu unhygienisch, die angeschlossene Hebammenschule platzt aus allen Nähten – und außerdem brauche München mehr als nur eine Geburtsklinik: nämlich auch ein Uni-Lehrkrankenhaus für gynäkologische Krebserkrankungen und für Strahlentherapie.
Als Döderlein droht, an die Charité nach Berlin zu wechseln, stimmt der Prinzregent endlich einem Neubau für eine Königliche Universitätsfrauenklinik mit einem Hörsaal für 500 Studenten und einer Hebammenschule zu und genehmigt Baukosten von 3,1 Millionen Goldmark. Stadt und Land tauschen Grundstücke. 1913 starten die Bauarbeiten für einen Vier-Flügel-Komplex auf dem Areal der Gasfabrik an der Maistraße – mit rund 13 000 Quadratmetern mehr als doppelt so groß wie der Marienplatz.
Dunkles Kapitel im Dritten Reich
35 Nonnen der Barmherzigen Schwestern übernehmen die Organisation der Uniklinik (vom Chefsekretariat bis zur Wäscherei). In den 1930-er Jahren zählt die Klinik auf dem Gebiet der Strahlentherapie bei gynäkologischen Krebspatientinnen zu den besten der Welt.
Dann folgt ein dunkles Kapitel: Im Dritten Reich werden 1300 Frauen nach dem Nazi-Gesetz „zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ zwangssterilisiert. Nach dem Krieg dient das Haus anderen Kliniken als Ausweichstandort. Seit 1956 ist es wieder reine Frauenklinik.
Heute gibt es dort neben einer Tagesklinik für Krebstherapie auch eine Geburtsklinik mit Intensivstation. 200 000 Münchner Babys sind inzwischen an der Maistraße geboren worden, berichtet der emeritierte Professor Rainer Kürzl, der 38 Jahre lang hier Kinder auf die Welt geholt und fürs Jubiläum viele Bilder aus alten Archiven zusammengesucht hat. 2020 soll die Geburtsmedizin wieder umziehen: in einen Neubau an der Ziemssenstraße.
Der Gründer
Foto: Bayr. Staatsbibliothek
Ohne ihn hätte es die Frauenklinik so vermutlich nicht gegeben: Albert Döderlein (1860-1941) war einer der bedeutendsten Gynäkologen Deutschlands und eine Koryphähe der „gynäkologischen Infektiologie“. 1907 rief die Stadt ihn nach München – und er erzwang den Klinik-Neubau. Er führte das Haus bis 1933 und starb acht Jahre später mit 81 Jahren.
Die Hebammen-Schule
Foto: Hebammenschule Maistraße
Um 1950: Das Baby, das die Lehr-Nonne an den Beinchen in die Höhe hält, ist keine Übungspuppe (wie die beiden vorn im Bild). Die Schwester zeigt hier den Hebammen-Schülerinnen (die Tracht, weiße Schwesternhauben und weißblaue Broschen am Kragen tragen), wie man die Länge eines Neugeborenen misst – nämlich ausgestreckt hängend. So macht man das bis heute. Das Grüppchen steht im „Kinderzimmer“ der Frauenklinik. Die Münchner Hebammenschule gibt’s übrigens schon seit 1777 – vor 100 Jahren ist sie mit in die Frauenklinik gezogen.
Die Chef-Sekretärin
Foto: Hebammenschule Maistraße
Flügelhaube und Aktenordner: Dieses Foto von 1925 zeigt Schwester Caritas, eine der 35 Gründer-Nonnen der Barmherzigen Schwestern. Sie war jahrelang Chefsekretärin von Klinikgründer Albert Döderlein und seinen Nachfolgern. Eine Berühmtheit auch: Schwester Leodegar, die 85 Semester im Hörsaal den Projektor bedient und Kranke hereingefahren hat. Sie wurde 80 Jahre alt.
Die Baustelle auf der alten Gasfabrik
Foto: Unibauamt
Sechs gewaltige Gaskessel und fünf Dampf-Kamine standen bis Anfang des 20. Jahrhunderts zwischen Thalkirchner- und Maistraße. Reste einer aufgelassenen städtischen Gasfabrik, in der Kohle verbrannt wurde. Eine riesige Industriebrache quasi mitten in der Stadt. Exakt hier, in der Nähe der anderen Unikliniken, wollte der Gynäkologe Albert Döderlein seine neue Frauenklinik haben – und setzte sich durch. 1912 begannen die Sprengungen – allein für einen der größeren Kessel (Foto) brauchte man 1500 Kilo Romperit-Sprengstoff. Der komplette Abbruch dauerte etwa ein Jahr. Im Juni 1913 ging’s los mit den Bauarbeiten, die drei Jahre dauerten. Für die damalige Zeit sagenhaft schnell.
OPs vor Publikum
Foto: Stephan Beißner
Heute nicht mehr vorstellbar: Im (Jugendstil-)Hörsaal der Frauenklinik, in dem unter einer Glaskuppel 500 Studenten wie in einer Arena sitzen können, haben Ärzte bis in die 60-Jahre Geburten und Operationen live demonstriert. Bis heute ist der Boden gefliest, den Gulli und die 100 Jahre alten Waschbecken gibt’s auch noch. Jetzt lernen Medizinstudenten hier ohne lebendes Objekt.
Das Geburts-Besteck für Prinzessinnen
Foto: iko
Geburtszange, Chloroform-Maske, Dammschnitt-Scheren, Glasspritzen und Ampullen mit Morphin: Jahrzehntelang haben die Barmherzigen Schwestern, die in der Maistraße den Klinikbetrieb am Laufen hielten, den heute über 100 Jahre alten Geburts-Koffer ihres ersten Chefs aufbewahrt. Mit all den Utensilien, die Direktor Döderlein hineinpackte, wenn er zu Hausgeburten bayerischer Prinzessinnen reiste. 1985, als die Schwestern aus der Klinik abgezogen wurden, schenkten sie den Koffer samt Inventar dem Medizinhistorischen Museum Ingolstadt. Für drei Monate sind die Stücke nun für die Jubiläumsausstellung in die Maistraße zurückgekehrt. Und übrigens: Das Geburts-Besteck moderner Ärzte sieht kaum anders aus als damals.
Die Garten-Oase
Foto: Roman Lorenz
Über 4000 Quadratmeter groß ist der Garten im Innenhof der Frauenklinik (im Foto mit Blick auf den runden Hörsaal). Hier wachsen Mandelbäume, Rosenrabatten und Buchsbaumhecken. Bis heute spazieren in dieser Oase mitten in der Stadt die Patientinnen herum und erholen sich. Eine Phase gab es aber, in der das Areal nicht begehbar war: Während des Zweiten Weltkriegs diente der Innenhof als Löschteich, später war er ein Parkplatz. Erst Ende der 1970-er Jahre hat der damalige Klinikchef Josef Zander den Park nach altem Vorbild wieder neu angelegt.
Die Ausstellung „100 Jahre Frauenklinik an der Maistraße“ ist von 10. Oktober bis 18. Dezember zu sehen (Mo-Fr 9-16 Uhr). Die erste Führung gibt’s an diesem Samstag, 10.30 Uhr. Treffpunkt in der Eingangshalle (Maistraße 11).