Die wechselvolle Geschichte des "Geheimobjekt Pullach"

Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes war jahrzehntelang einer der geheimnisvollsten Orte der Republik. Ein neues Buch gewährt jetzt Einblicke in dessen wechselvolle Geschichte.
von  dpa
Die Einfahrt zum Gelände des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Pullach.
Die Einfahrt zum Gelände des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Pullach. © dpa

Ein riesiges Gelände, umgeben von knapp vier Meter hohen Mauern und Stacheldraht: Die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes war jahrzehntelang einer der geheimnisvollsten Orte der Republik. Ein neues Buch gewährt jetzt Einblicke in dessen wechselvolle Geschichte.

Pullach - Sie kamen im Schutze der Dunkelheit. Am Nikolaustag 1947 bezogen rund 20 amerikanische und einige 100 deutsche Geheimdienstmitarbeiter ein weitläufiges Areal an der Isar südlich von München. Ein Gelände mit vielen kleinen Villen und einigen größeren Häusern. Es war der ideale Ort für die damalige "Organisation Gehlen", aus der 1956 der Bundesnachrichtendienst (BND) hervorgehen sollte.

Und doch ahnte in jener Dezember-Nacht wohl noch niemand, dass der deutsche Auslandsgeheimdienst jahrzehntelang hier residieren sollte - und die Gemeinde Pullach südlich von München lange einen der geheimnisvollsten Orte der Republik beherbergen würde. "Nikolaus", das war der Tarnname der BND-Zentrale. Das Schild "Bundesnachrichtendienst" draußen vor dem Tor gibt es erst seit 1996.

Noch einmal fast zwei Jahrzehnte später: BND-Chef Gerhard Schindler hat geladen, und zwar an einen historischen Ort. In der Präsidentenvilla empfängt er am Mittwochabend wenige Dutzend Gäste, um ein neues Buch vorzustellen: "Geheimprojekt Pullach" heißt es, geschrieben von den Historikern Susanne Meinl und Bodo Hechelhammer. Es ist zum ersten Mal, dass die wechselvolle Geschichte des Geländes in einem Buch umfassend skizziert wird. "Noch nie dagewesene Einblicke in die Geschichte der Liegenschaft Pullach" verspricht BND-Chef Schindler.

Wie wechselvoll die Geschichte ist, zeigt schon der Untertitel: "Von der NS-Mustersiedlung zur Zentrale des BND". "Hier sind die unterschiedlichen Phasen deutscher Geschichte besonders eng miteinander verwoben", sagt der für die Geheimdienste zuständige Staatssekretär aus dem Bundeskanzleramt, Klaus-Dieter Fritsche.

Alles begann damit, dass im Jahr 1932 ein damals noch unbekannter NSDAP-Funktionär nach Pullach zog: Martin Bormann, später einer der engsten Vertrauten von Rudolf Heß und Adolf Hitler. Dort entstand dann eine von der Außenwelt abgeschottete Wohnsiedlung für die NS-Elite: die "Reichssiedlung Rudolf Heß" oder auch "Siedlung Sonnenwinkel". Für Hitler, so schreibt Historikerin Meinl, sei das Ganze eine "gelungene Umsetzung nationalsozialistischer Zukunftsvisionen" gewesen, eine "mustergültige Lebensgemeinschaft mit ernährungspolitischer Autarkie". Tatsächlich hatte jede der Villen große Gärten, die "biologisch-dynamisch bewirtschaftet" wurden.

Pullach war aber nicht nur eine Wohnsiedlung: 1942/43 entstand dort "in aller Eile unter Einsatz von Zwangsarbeitern aus der Tschechoslowakei" das Führerhauptquartier "Siegfried". Im Mai 1943 sei es von Hitler erstmalig genutzt worden, heißt es in dem Buch. In den Bunker "Hagen" konnten Sonderzüge auf einem Extragleis einfahren.

"Sie kamen auf der Straße, auf der Schiene und sogar aus der Luft: der "Führer" und seine Partei-Granden, die Feldherren, Generäle und Angehörigen des Oberkommandos der Wehrmacht, die inländischen und auswärtigen Staatsgäste", schreibt Historikerin Meinl. Hitler war demnach zwischen 1939 und 1943 jedes Jahr mehrere Tage in Pullach. Die eigentlichen Bewohner der Siedlung waren laut Meinl "in unterschiedlichem Ausmaß an Völkermord und Angriffskrieg beteiligt".

1945 schließlich wurde der "Sonnenwinkel" evakuiert, die US-Armee rückte ein. Das Gelände wurde erst für ein Kriegsgefangenenlager genutzt, dann ließ sich dort die amerikanische Zensurbehörde nieder - bis 1947 die Geheimdienstmitarbeiter kamen. Die NS-Geschichte des Geländes habe dabei keine Rolle gespielt, betont Historiker Hechelhammer, es sei eine "zweckorientierte Standortsuche" gewesen.

Für die Mitarbeiter des BND-Vorläufers "Organisation Gehlen" und deren Familien war anfangs rundum gesorgt: Es gab Schulen, Kindergärten, alles. "Eine Parallelwelt", erklärt Staatssekretär Fritsche. Als aus der Vorläuferorganisation später der BND wurde, mussten sämtliche Familien das Gelände wieder verlassen.

In den folgenden Jahren und Jahrzehnten wuchs der BND in Pullach immer schneller - auf mehrere tausend Mitarbeiter. In absehbarer Zeit wird die BND-Zentrale aber nun fast vollständig nach Berlin umziehen.

Und was wird dann aus den historischen Gebäuden, den alten NS-Villen, den geheimnisumwobenen BND-Gebäuden? Die Pullacher Bürgermeisterin Susanna Tausendfreund hat da schon eine Menge Ideen: Kunstateliers, Kitas, Jugendfreizeitstätten - und in der Präsidentenvilla, in der einst Bormann wohnte, soll ein Dokumentationszentrum entstehen.

Aber auch der BND selbst will künftig anders agieren als zu Pullacher Hoch-Zeiten: sich öffnen, sein Tun mehr erklären, sich nicht mehr so abschotten. "Transparenz ist das Gebot der Stunde", sagt Schindler.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.