Die Wahrheit über die Wirtshaus-Zettel in München

Wer beim Restaurantbesuch falsche Angaben auf Kontaktlisten macht, muss hohes Bußgeld zahlen. Aber wie erfolgreich ist diese Maßnahme?
von  Clemens Hagen
Wirtshaus-Wiesn 2020: (v. l.): Marina, Anica, Maria und Julia sitzen bei einer Maß im Hofbräuhaus.
Wirtshaus-Wiesn 2020: (v. l.): Marina, Anica, Maria und Julia sitzen bei einer Maß im Hofbräuhaus. © Felix Hörhager/dpa

München - Staatliche Schikane oder effiziente Maßnahme zur Nachverfolgung von Neuinfektionen? Diese Frage haben sich viele gestellt, nachdem die Bayerische Staatsregierung am vergangenen Donnerstag bekanntgegeben hat, dass für den Gast ein Bußgeld von bis zu 250 Euro und für den Wirt von bis zu 1.000 Euro fällig wird, wenn in einer Gaststätte Name und Kontaktdaten nicht korrekt angegeben werden.

Zwar haben Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und seine Minister immer wieder betont, wie wichtig diese Maßnahme sei, mit Zahlen unterfüttert haben sie ihre Aussage jedoch nie.

Um die Sinnhaftigkeit der "Zettelwirtschaft" zu überprüfen, hat die AZ deshalb beim Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in Erlangen, das für Bayern zentral alle Corona-Statistiken führt, angefragt, ob es Erkenntnisse über die Anzahl der Infektionen gibt, die über Namenslisten aufgespürt wurden. Die Antwort des LGL lautet: "Zuständig für die Maßnahmen vor Ort sind die jeweiligen Gesundheitsämter. Wir bitten Sie daher, die Kreisverwaltungsbehörden oder Stadtverwaltungen (Gesundheitsämter) zu kontaktieren."

Etwa 30 der Namenslisten wurden angefordert

Um eine valide Zahl für den gesamten Freistaat zu erhalten, müsste man also alle 71 staatlichen Gesundheitsämter und die fünf kommunalen (München, Augsburg, Nürnberg, Ingolstadt und Memmingen) kontaktieren. Eine Herkulesaufgabe, weshalb die AZ sich auf das für die allermeisten ihrer Leserinnen und Leser relevanteste Gesundheitsreferat konzentriert: München.

Auf die Frage, wie viele Corona-Nachverfolgungen über die Namenslisten von Gaststättenbesuchern es seit dem 25. Mai, dem Tag der Wiedereröffnung der gastronomischen Betriebe, gegeben hat, antwortet das Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU): "Das RGU hat etwa bis zu 30 Namenslisten seit 25. Mai angefordert." Weiter heißt es zur Erklärung: "Wenn eine Gaststätte die Liste tischweise führt, fordern wir ausschließlich die Liste des Tisches an, an dem die Infizierte Person (IP) saß, da es sich nur bei diesen Personen um relevante Kontaktpersonen ersten Grades handelt. Wenn eine Gaststätte jedoch nur eine Liste für das gesamte Lokal führt, muss das RGU alle Personen der Liste anrufen und ermitteln, wer einen relevanten Kontakt zur IP hatte."

Rudolf Fuchs, Stadtdirektor und kommissarischer Leiter des Gesundheitsreferats, sagt laut Mitteilung: "Daher appellieren wir an die Gaststättenbetreiber, die Listen tischweise zu führen. Damit erleichtern Sie die Arbeit des Gesundheitsamts enorm und helfen mit, Infektionsketten schnellstmöglich zu unterbrechen und die Zahl der Neuinfektionen zu reduzieren."

"Zur Unterbrechung der Infektketten notwendig"

Als Nächstes will die AZ wissen, wie viele Personen von den Nachverfolgungen insgesamt betroffen waren. Hier lautet die Antwort: "Die Struktur der Datenbank erlaubt keine Filterung nach diesen Informationen. Das RGU ermittelt alle relevanten Kontaktpersonen, die Anzahl ist dabei abhängig von der Größe der Gruppe, die am Tisch zusammen saß. Hier sind momentan maximal zehn Personen erlaubt. Wenn jedoch alle Gäste des Lokals kontaktiert werden müssen (siehe Frage 1), kann diese Zahl bedeutend höher liegen."

Wurden dabei weitere positive Fälle ermittelt? Wenn ja, wie viele? "Aus aktuellem Geschehen können wir feststellen, dass wir im September geschätzte 50 Fälle haben, die direkt im Zusammenhang stehen mit einem Besuch verschiedener Gaststättenbetriebe. Die Folgeinfektionen außerhalb der Gaststätten sind dabei nicht mitgerechnet." Dies ist eine beachtliche Zahl, auch wenn das Gesundheitsreferat für den September insgesamt 2.681 Neuinfektionen angibt.

Wenig überraschend verteidigt die Behörde die "Zettelwirtschaft" vehement. "Die Namensliste der Gaststätten sind sehr hilfreich, denn nicht immer haben die Gäste untereinander Kontaktdaten. Nur so können enge Kontaktpersonen ermittelt und über ihre Quarantäne informiert werden. Ein solches Vorgehen ist zwingend notwendig zur Unterbrechung der Infektketten in der Bevölkerung", heißt es laut Mitteilung des RGU weiter.

Risiko: Falsche Namen beim Gaststättenbesuch

Hilfreich sind die Listen allerdings auch für die Polizei. Bereits im Juli wurde bekannt, dass für Ermittlungen auf die Adresslisten von Gastronomen zurückgegriffen wird. Nur bei schweren Straftaten und Notfällen, hieß es damals vom Innenministerium. Doch das stimmt nicht. Wie eine Anfrage des FDP-Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag, Martin Hagen, Anfang September ergab, ist es bis damals bereits bei insgesamt 24 Zugriffen auf die Gaststättenlisten um "repressive" wie auch "präventiv-polizeiliche" Verfahren gegangen.

Trotz dieser Tatsache sollte aufgrund der vom RGU vorgebrachten Argumente klar sein: Wer beim Gaststättenbesuch immer noch "Popeye" oder "Captain Future" angibt, der riskiert eventuell, dass eine lange Infektionskette nicht unterbrochen werden kann. Und das ist dann kein Lausbuben- oder Lausmädchenstreich mehr.

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