Die vielen Gesichter des Christian Ude: Münchens Alt-OB wird 75 Jahre alt

Zum Start der AZ-Jubiläumsserie öffnet er sein privates Fotoarchiv – ein Leben vom Schwabinger Buben bis zum Politrentner.
von  Felix Müller
Christian Ude dieser Tage mit Fotos in seiner Wohnung.
Christian Ude dieser Tage mit Fotos in seiner Wohnung. © Bernd Wackerbauer

München - Viele, viele tausend Bilder hat Christian Ude daheim auf dem Rechner im Arbeitszimmer seiner Schwabinger Altbau-Wohnung. Säuberlich sortiert liegen dort drei Vierteljahrhunderte Ude-Geschichte, die immer auch Münchner Stadt-Geschichte sind.

Zum Leben erweckt wird all das aber erst, wenn Ude dazu erzählt. Und erzählen, ja, das kann der Alt-Oberbürgermeister wie eh und je. Die Anekdoten purzeln nur so aus ihm heraus, die helle Freude daran, was er in diesem prallen Leben alles erleben durfte.

Zum Beispiel diese Geschichte von 1982. Da sei Schorsch Kronawitter, damals abgewählter Oberbürgermeister, in die Kanzlei Udes gekommen, des Schwabinger Mieteranwalts, der Pressesprecher der SPD war. Ihr Verhältnis galt als eisig, aber Ude ließ sich auf ein Gespräch ein. "Er sagte Genosse Ude, ich muss einen Vorschlag machen", so erinnert sich Ude am Schreibtisch vor den Fotos aus der Zeit, "du kandidierst für den Stadtrat 84, dann wirst du mein Stellvertreter, und dann wirst du mein Nachfolger."

Nach der Versöhnung jahrelang der Anwalt des OBs: Christian Ude auf einer Pressekonferenz mit Schorsch Kronawitter im Jahr 1984.
Nach der Versöhnung jahrelang der Anwalt des OBs: Christian Ude auf einer Pressekonferenz mit Schorsch Kronawitter im Jahr 1984. © Archiv Ude

Ude als Oberbürgermeister? Der junge Mieteranwalt winkt zunächst ab. "Ich habe gesagt, das ist eine freundliche Einladung, aber das geht nicht, weil ich heirate nächstes Jahr die Stadträtin Welser und zwei Verheiratete dürfen dem Stadtrat nicht angehören." Kronawitter habe kurz überlegt – und dann gesagt: "Gut, dann machen wir es 1990 so. Und 1993 wirst du Oberbürgermeister!" Kronawitter wurde 1984 tatsächlich wieder OB, Ude zog 1990 ins Rathaus ein – und wurde 1993 OB.

"Mein absolutes Lieblingsfoto" mit Josef Felder, dem letzten SPD-Abgeordneten, der gegen die Ermächtigungsgesetze gestimmt hat. Udes Vorgänger Hans-Jochen Vogel und Schorsch Kronawitter und seiner Frau am Abend der OB-Wahl 1993.
"Mein absolutes Lieblingsfoto" mit Josef Felder, dem letzten SPD-Abgeordneten, der gegen die Ermächtigungsgesetze gestimmt hat. Udes Vorgänger Hans-Jochen Vogel und Schorsch Kronawitter und seiner Frau am Abend der OB-Wahl 1993. © Archiv Ude

Ude als Schwabinger Bub

"Diese Frisur!" Am Bild auf dem Löwen aus dem Jahr 1950 im Nymphenburger Schlosspark ("nur ein Ausflug, sonst waren wir immer im Englischen Garten") kann sich Christian Ude gar nicht sattsehen. Er sitzt vorne "und will die Frisur des Löwen nachmachen", hinten seine Schwester. Auf dem Foto ist der kleine Christian drei Jahre alt.

Mit der Schwester im Nymphenburger Schlosspark.
Mit der Schwester im Nymphenburger Schlosspark. © Archiv Ude

Ein anderes Bild zeigt den frühen Ude, schon lesend. "Der Traum von der großen weiten Welt" nennt es Ude. Sein Zimmer, das alte Dienstbotenzimmer, sei "winzig klein, acht Quadratmeter" gewesen. "Mein eigenes Reich!" Auf dem Bild sei er acht – und lese Karl May.

Im Kinderzimmer, "typisch 50er-Jahre!"
Im Kinderzimmer, "typisch 50er-Jahre!" © Archiv Ude

Ude und Arnold Schwarzenegger

Dieses Bild des jugendlichen Christian Ude findet der fast 75-jährige Christian Ude absolut köstlich. Die Geschichte, die ihm dazu einfällt: wie er Arnold Schwarzenegger in jenen Jahren auf der Isabellastraße traf, wo der versuchte, Jugendliche ins Bodybuilding-Studio zu locken. Ude kam mit – und fand es "furchtbar", wie er sich erinnert. "Dieses Ächzen, dieses Stöhnen. Und es roch wie in der Schulturnhalle." Schwarzenegger unternahm einen letzten Versuch. "Du Spargeltarzan musst was für deine Muskulatur tun! Das kommt an bei den Frauen!" Ude blieb hart. Und Schwarzenegger wurde später auch Politiker.

"Was für ein Krischperl!" Ude über dieses Bild.
"Was für ein Krischperl!" Ude über dieses Bild. © Archiv Ude

Die Udes fahren raus

Christian Ude auf dem Radl, Ude in der Wiesn-Kutsche: Da kommen einem sogleich Bilder in den Kopf. Mit einer Liebe zu Autos verbindet man ihn eher weniger. Dabei kann er ausgiebig schwärmen, wie sich beim AZ-Besuch zeigt. Und zwar von einem Ford Taunus, den die Familie des kleinen Christian besaß. "In der Form ein bourgeoiser VW!", ruft Ude begeistert ins Schwabinger Wohnzimmer. "Sah aus wie ein Ami-Schlitten! Kultstatus!" Wo das Bild aufgenommen sei? "Im Umland. Man fuhr einfach ins Umland, um zu zeigen, dass man die Stadt verlassen kann. Zu tun hatten wir da ja gar nichts. Wir haben nicht einmal ein Picknick gemacht." Ude sagt, später habe er oft versucht, ein Modellauto des Taunus zu kaufen. Erfolgos! Was bleibt, ist die Erinnerung. Und dieses Foto.

Der kleine Christian mit Schwester, Mutter und Ford Taunus.
Der kleine Christian mit Schwester, Mutter und Ford Taunus. © Archiv Ude

Ude und Vogel

Als junger Mann war Christian Ude Volontär und Redakteur bei der "SZ". Eine prägende Zeit, wie er selbst sagt. In dem Job habe er viele Milieus der Stadt erst verstanden und kennengelernt. "Bei der Metzgerinnung waren doppelt so viele Leute wie im Audimax!" Das seien Eindrücke gewesen, die "einem Bürgersöhnchen, der vom Gymnasium auf die Universität wechselt", sonst verwehrt geblieben wären. Das Foto zeigt ihn bei seinem allerersten längeren Gespräch mit Hans-Jochen Vogel. Ude hatte als "SZ"-Jungredakteur Jungsozialisten zu Vogel begleitet – jenen Mann, der ihn jahrzehntelang prägen sollte. Bis heute vergeht kein längeres Gespräch mit Ude, in dem er nicht irgendwann Bezug nimmt auf den großen Alt-OB, den Ude bis zu dessen Tod 2020 regelmäßig zum Gedankenaustausch traf.

Ude als Reporter mit Hans-Jochen Vogel.
Ude als Reporter mit Hans-Jochen Vogel. © Archiv Ude

Ude und der Monaco

Wie Ude Helmut Fischer kennengelernt hat? Er weiß es noch genau. Fischer half bei einem Bürgerfest mit, wie Stadträtin Edith Welser auch. "Wir dachten, er schenkt für ein Pressefoto Bier aus. Aber er packte vier Stunden an." Hinterher habe es Klagen gegeben, Fischer habe den Veranstalter geschädigt – weil er stets akribisch einen Liter in den Maßkrug schenkte. "Zwei Tage später stand er vor unserer Tür mit 50 Mark für den entgangenen Schanknutzen." Es entstand eine enge Freundschaft, jeden Sonntag frühstückten die Udes viele Jahre mit Fischer und Ponkie, "meine Ratsch-Stunde der Woche!"

Freunde: Ude mit dem Monaco Franze.
Freunde: Ude mit dem Monaco Franze. © Archiv Ude

Ude und die Wiesn

Christian Ude und das Oktoberfest – eine jahrzehntelange Verbindung. Mit der sechsten Maß auf der Bierbank kann man sich den Schwabinger Bildungsbürger eher nicht vorstellen. Aber an Kutschenfahrt und Anstich hatte er erkennbar viel Freude. Deutlich weniger bekannt: Udes Leidenschaft für die Wilde Maus. "Jeder Mensch, der mit mir auf die Wiesn gehen wollte, musste mit mir Wilde Maus fahren", erinnert sich der Alt-OB. Zum Beispiel, auf unserem Foto, die Lady Lord Provost, die Oberbürgermeisterin der Partnerstadt Edingburgh. Ein bisserl übrigens ist die Wiesn-Liebe erkaltet, seit er nicht mehr OB ist und im Mittelpunkt steht. Heuer ging er gar nicht zum Anstich-Tag. Sondern zapfte in ganz kleinem Rahmen in einem Lokal am Viktualienmarkt an.

Ude mit der Lady Lord Provost in der Wilden Maus.
Ude mit der Lady Lord Provost in der Wilden Maus. © Archiv Ude

Ude und die Synagoge

Eine tolerante Stadt – das war ein Leitmotiv der udeschen OB-Jahre. So führte er schon in den 90er Jahren den Christopher Street Day an, besuchte Asylbewerberheime, als das für einen deutschen Politiker noch sehr unüblich war, warb für einen anständigen Umgang mit Menschen ohne deutschen Pass im KVR. Und, das war und ist Ude bis heute das wahrscheinlich allerwichtigste all der Toleranz-Themen: In seine Amtszeit fiel der Bau des Jüdischen Zentrums am Jakobsplatz. Das Foto mit der Präsidentin der Kultusgemeinde Charlotte Knobloch (die kurz nach Udes 75. 90 Jahre alt wird), dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler und dem damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber ist Udes Lieblingsbild von diesem Tag. Die Jüdische Gemeinde zurück im Herzen der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung", das war für Ude ein wahres Herzensprojekt. Und so wird der sonst stets so selbstbewusste Christian Ude bis heute geradezu demütig, wenn die Rede auf Charlotte Knobloch kommt. Bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Knobloch 2005 etwa sagte Ude, das sei "zunächst einmal eine Ehre für München, ihre Geburtsstadt, die bis heute ihre Heimat ist, trotz allem."

Bei der Eröffnung des Jüdischen Zentrums mit Bundespräsident Horst Köhler, Ministerpräsident Edmund Stoiber und der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch.
Bei der Eröffnung des Jüdischen Zentrums mit Bundespräsident Horst Köhler, Ministerpräsident Edmund Stoiber und der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch. © Archiv Ude

Ude und die Rente

Rente, nun ja: Bei Christian Ude stehen immer noch viele Termine im Kalender. Vorträge, Interviews, Kabarett. Doch er genießt auch die viele Freizeit. Und das auch immer wieder auf der Insel seines Herzens: Mykonos. Das Foto ist sein Lieblingsbild aus diesem Jahr. "Wahnsinnig komisch", sagt er zum Spazier-Bild mit seiner Frau. "Das könnte doch Sommerfrische im 19. Jahrhundert sein!" Oder eben die Udes auf Mykonos im 21. Jahrhundert.

Sommerliche Auszeit: das Ehepaar Ude auf Mykonos, 2022.
Sommerliche Auszeit: das Ehepaar Ude auf Mykonos, 2022. © Archiv Ude
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