Die vielen Gesichter des Christian Ude: Münchens Alt-OB wird 75 Jahre alt

München - Viele, viele tausend Bilder hat Christian Ude daheim auf dem Rechner im Arbeitszimmer seiner Schwabinger Altbau-Wohnung. Säuberlich sortiert liegen dort drei Vierteljahrhunderte Ude-Geschichte, die immer auch Münchner Stadt-Geschichte sind.
Zum Leben erweckt wird all das aber erst, wenn Ude dazu erzählt. Und erzählen, ja, das kann der Alt-Oberbürgermeister wie eh und je. Die Anekdoten purzeln nur so aus ihm heraus, die helle Freude daran, was er in diesem prallen Leben alles erleben durfte.
Zum Beispiel diese Geschichte von 1982. Da sei Schorsch Kronawitter, damals abgewählter Oberbürgermeister, in die Kanzlei Udes gekommen, des Schwabinger Mieteranwalts, der Pressesprecher der SPD war. Ihr Verhältnis galt als eisig, aber Ude ließ sich auf ein Gespräch ein. "Er sagte Genosse Ude, ich muss einen Vorschlag machen", so erinnert sich Ude am Schreibtisch vor den Fotos aus der Zeit, "du kandidierst für den Stadtrat 84, dann wirst du mein Stellvertreter, und dann wirst du mein Nachfolger."

Ude als Oberbürgermeister? Der junge Mieteranwalt winkt zunächst ab. "Ich habe gesagt, das ist eine freundliche Einladung, aber das geht nicht, weil ich heirate nächstes Jahr die Stadträtin Welser und zwei Verheiratete dürfen dem Stadtrat nicht angehören." Kronawitter habe kurz überlegt – und dann gesagt: "Gut, dann machen wir es 1990 so. Und 1993 wirst du Oberbürgermeister!" Kronawitter wurde 1984 tatsächlich wieder OB, Ude zog 1990 ins Rathaus ein – und wurde 1993 OB.

Ude als Schwabinger Bub
"Diese Frisur!" Am Bild auf dem Löwen aus dem Jahr 1950 im Nymphenburger Schlosspark ("nur ein Ausflug, sonst waren wir immer im Englischen Garten") kann sich Christian Ude gar nicht sattsehen. Er sitzt vorne "und will die Frisur des Löwen nachmachen", hinten seine Schwester. Auf dem Foto ist der kleine Christian drei Jahre alt.

Ein anderes Bild zeigt den frühen Ude, schon lesend. "Der Traum von der großen weiten Welt" nennt es Ude. Sein Zimmer, das alte Dienstbotenzimmer, sei "winzig klein, acht Quadratmeter" gewesen. "Mein eigenes Reich!" Auf dem Bild sei er acht – und lese Karl May.

Ude und Arnold Schwarzenegger
Dieses Bild des jugendlichen Christian Ude findet der fast 75-jährige Christian Ude absolut köstlich. Die Geschichte, die ihm dazu einfällt: wie er Arnold Schwarzenegger in jenen Jahren auf der Isabellastraße traf, wo der versuchte, Jugendliche ins Bodybuilding-Studio zu locken. Ude kam mit – und fand es "furchtbar", wie er sich erinnert. "Dieses Ächzen, dieses Stöhnen. Und es roch wie in der Schulturnhalle." Schwarzenegger unternahm einen letzten Versuch. "Du Spargeltarzan musst was für deine Muskulatur tun! Das kommt an bei den Frauen!" Ude blieb hart. Und Schwarzenegger wurde später auch Politiker.

Die Udes fahren raus
Christian Ude auf dem Radl, Ude in der Wiesn-Kutsche: Da kommen einem sogleich Bilder in den Kopf. Mit einer Liebe zu Autos verbindet man ihn eher weniger. Dabei kann er ausgiebig schwärmen, wie sich beim AZ-Besuch zeigt. Und zwar von einem Ford Taunus, den die Familie des kleinen Christian besaß. "In der Form ein bourgeoiser VW!", ruft Ude begeistert ins Schwabinger Wohnzimmer. "Sah aus wie ein Ami-Schlitten! Kultstatus!" Wo das Bild aufgenommen sei? "Im Umland. Man fuhr einfach ins Umland, um zu zeigen, dass man die Stadt verlassen kann. Zu tun hatten wir da ja gar nichts. Wir haben nicht einmal ein Picknick gemacht." Ude sagt, später habe er oft versucht, ein Modellauto des Taunus zu kaufen. Erfolgos! Was bleibt, ist die Erinnerung. Und dieses Foto.

Ude und Vogel
Als junger Mann war Christian Ude Volontär und Redakteur bei der "SZ". Eine prägende Zeit, wie er selbst sagt. In dem Job habe er viele Milieus der Stadt erst verstanden und kennengelernt. "Bei der Metzgerinnung waren doppelt so viele Leute wie im Audimax!" Das seien Eindrücke gewesen, die "einem Bürgersöhnchen, der vom Gymnasium auf die Universität wechselt", sonst verwehrt geblieben wären. Das Foto zeigt ihn bei seinem allerersten längeren Gespräch mit Hans-Jochen Vogel. Ude hatte als "SZ"-Jungredakteur Jungsozialisten zu Vogel begleitet – jenen Mann, der ihn jahrzehntelang prägen sollte. Bis heute vergeht kein längeres Gespräch mit Ude, in dem er nicht irgendwann Bezug nimmt auf den großen Alt-OB, den Ude bis zu dessen Tod 2020 regelmäßig zum Gedankenaustausch traf.

Ude und der Monaco
Wie Ude Helmut Fischer kennengelernt hat? Er weiß es noch genau. Fischer half bei einem Bürgerfest mit, wie Stadträtin Edith Welser auch. "Wir dachten, er schenkt für ein Pressefoto Bier aus. Aber er packte vier Stunden an." Hinterher habe es Klagen gegeben, Fischer habe den Veranstalter geschädigt – weil er stets akribisch einen Liter in den Maßkrug schenkte. "Zwei Tage später stand er vor unserer Tür mit 50 Mark für den entgangenen Schanknutzen." Es entstand eine enge Freundschaft, jeden Sonntag frühstückten die Udes viele Jahre mit Fischer und Ponkie, "meine Ratsch-Stunde der Woche!"

Ude und die Wiesn
Christian Ude und das Oktoberfest – eine jahrzehntelange Verbindung. Mit der sechsten Maß auf der Bierbank kann man sich den Schwabinger Bildungsbürger eher nicht vorstellen. Aber an Kutschenfahrt und Anstich hatte er erkennbar viel Freude. Deutlich weniger bekannt: Udes Leidenschaft für die Wilde Maus. "Jeder Mensch, der mit mir auf die Wiesn gehen wollte, musste mit mir Wilde Maus fahren", erinnert sich der Alt-OB. Zum Beispiel, auf unserem Foto, die Lady Lord Provost, die Oberbürgermeisterin der Partnerstadt Edingburgh. Ein bisserl übrigens ist die Wiesn-Liebe erkaltet, seit er nicht mehr OB ist und im Mittelpunkt steht. Heuer ging er gar nicht zum Anstich-Tag. Sondern zapfte in ganz kleinem Rahmen in einem Lokal am Viktualienmarkt an.

Ude und die Synagoge
Eine tolerante Stadt – das war ein Leitmotiv der udeschen OB-Jahre. So führte er schon in den 90er Jahren den Christopher Street Day an, besuchte Asylbewerberheime, als das für einen deutschen Politiker noch sehr unüblich war, warb für einen anständigen Umgang mit Menschen ohne deutschen Pass im KVR. Und, das war und ist Ude bis heute das wahrscheinlich allerwichtigste all der Toleranz-Themen: In seine Amtszeit fiel der Bau des Jüdischen Zentrums am Jakobsplatz. Das Foto mit der Präsidentin der Kultusgemeinde Charlotte Knobloch (die kurz nach Udes 75. 90 Jahre alt wird), dem damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler und dem damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber ist Udes Lieblingsbild von diesem Tag. Die Jüdische Gemeinde zurück im Herzen der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung", das war für Ude ein wahres Herzensprojekt. Und so wird der sonst stets so selbstbewusste Christian Ude bis heute geradezu demütig, wenn die Rede auf Charlotte Knobloch kommt. Bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Knobloch 2005 etwa sagte Ude, das sei "zunächst einmal eine Ehre für München, ihre Geburtsstadt, die bis heute ihre Heimat ist, trotz allem."

Ude und die Rente
Rente, nun ja: Bei Christian Ude stehen immer noch viele Termine im Kalender. Vorträge, Interviews, Kabarett. Doch er genießt auch die viele Freizeit. Und das auch immer wieder auf der Insel seines Herzens: Mykonos. Das Foto ist sein Lieblingsbild aus diesem Jahr. "Wahnsinnig komisch", sagt er zum Spazier-Bild mit seiner Frau. "Das könnte doch Sommerfrische im 19. Jahrhundert sein!" Oder eben die Udes auf Mykonos im 21. Jahrhundert.
