Die toten Zeugen des NSU-Prozesses
Vor zehn Tagen ist die Leiche von Sascha W. entdeckt worden. Wieder kommt ein möglicher Hinweisgeber in Sachen NSU-Mordserie ums Leben - es ist bereits der fünfte.
München - Keiner der zehn Morde, die die Bundesanwaltschaft dem NSU zur Last legt, ist so undurchsichtig wie der an der Polizistin Michèle Kiesewetter († 22) aus Heilbronn (Baden-Württemberg).
Sie wurde am 27. April 2007 erschossen. Danach riss die Mordserie, der seit September 2000 neun Klein-Unternehmer mit Migrationshintergrund zum Opfer gefallen waren, ab. An dem Anschlag auf Kiesewetter arbeiteten sich zahllose Ermittler ab.
Die Zusammenhänge mit der NSU-Mordserie wurde erst offensichtlich, als im November 2011 in einem ausgebrannten Wohnmobil in Zwickau die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gefunden wurden – und die Dienstwaffe von Kiesewetter.
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Die Bundesanwaltschaft geht davon aus, dass die beiden Männer, die zusammen mit der derzeit in München vor Gericht stehenden Beate Zschäpe das NSU-Trio gebildet haben sollen, die Todesschützen von Heilbronn waren.
Die Bundesanwaltschaft glaubt, auch das Motiv zu kennen. Mundlos und Böhnhardt hätten die beiden Polizeibeamten als Symbol des Staates angesehen und deren Waffen als Trophäe und Zeichen der Macht mitgenommen.
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Im September 2013 geht in Stuttgart ein Auto in Flammen auf. In dem ausgebrannten Wrack wird die Leiche von Florian H. (23) entdeckt – und der Fall als Selbstmord abgehakt. Der Name des Mannes, der mit der Neonazi-Szene in Verbindung stehen soll, ist der Polizei bekannt. Er hatte erklärt, dass er die Mörder von Michele Kiesewetter kennt.
Deswegen sollte er vom LKA verhört werden. Auf dem Weg dorthin soll er sich umgebracht haben. Der Vater von Florian H. erklärt, dass er die Selbstmordtheorie für falsch hält. Er ist überzeugt, dass sein Sohn bedroht und unter Druck gesetzt worden sei.
Zwei Jahre nach dem tödlichen Autobrand entdeckten Familienangehörige in dem Wrack Gegenstände, die die Polizei übersehen hatte – eine Pistole, eine Machete, Medikamente, zwei Handys. Bis kurz vor seinem Tod war Florian mit Melisa B. (20) befreundet.
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Gut ein Jahr nach seinem Tod wurde auch seine Ex-Freundin zu einem Fall für die Kriminalpolizei. Sie musste vor dem NSU-Untersuchungsausschuss aussagen. Vier Wochen später war auch sie tot. Die zuständige Staatsanwaltschaft in Freiburg kam in ihrem Fall zu dem Ergebnis, dass der Tod der 20-Jährigen durch eine Embolie ausgelöst worden sei.
Alles nur Zufall?
Vor zehn Tagen wurde die Leiche von Sascha W. entdeckt. Er war der neue Freund von Melisa B. Zufall? "Wir können noch kein abschließendes Urteil abgeben", so Staatsanwalt Wagner. Aber vieles spreche für einen Selbstmord.
Zu den Personen, die über den NSU berichten hätten können, aber nicht mehr zur Verfügung stehen, zählte auch Arthur C. 2009 verbrannte er unter nicht restlos geklärten Umständen. Er soll in den Kiesewetter-Akten auftauchen.
Auch der Fall von Thomas R. hat ein "Gschmäckle". Er arbeitete für den Verfassungsschutz, schnüffelte die Neonazi-Szene aus und hatte offensichtlich auch direkten Kontakt zum NSU.
Doch befragt werden kann auch er nicht mehr. Er starb im April 2014 ganz plötzlich an einer nicht erkannten Diabetes.