"Die spinnen, die Radler!"

Sie ignorieren rote Ampeln, bremsen Omas aus, rasen auf Fußwegen und schlängeln sich durch Autokolonnen: Das behauptet zumindest eine Münchner Autorin – und rechnet mit ihnen ab.
Haben die Radler ein Rad ab? Die AZ-Redakteurin Annette Zoch, eine Fußgängerin aus Leidenschaft, legt sich jetzt mit ihnen an. In ihrem neuen Buch „Neben der Spur” rechnet sie ironisch mit der Spezies auf zwei Rädern ab, von der es alleine in München 800000 Vertreter gibt. Von einer friedlichen Koexistenz mit Fußgängern und Autofahrern kann nicht die Rede sein, behauptet die Autorin.
AZ: Frau Zoch, ich bin Radfahrer. Was haben Sie gegen mich?
ANNETTE ZOCH: Ich habe gar nichts gegen Sie. Solange Sie mich nicht umradeln. Oder mir die Ohren wegklingeln, während Sie von hinten an mich herananrasen. Oder mir „Weg da, blede Kua” entgegenbrüllen. Also sprich: Solange Sie Ihr Radl daheim lassen.
Aber Sie können doch nicht alle Radler über einen Kamm scheren!
Mach’ ich doch gar nicht. Ich unterscheide ganz sauber in einzelne Fahrradfahrer-Typen. Basierend auf jahrelanger Feldforschung in München.
Soso. Welche Typen sind denn bei uns besonders verbreitet?
Häufig trifft man in der freien Wildbahn den so genannten Tugendradler an – mit Bundfaltenhose und frischem Obst im Weidenflechtkorb. Er versteht sein Radeln als ökologisches Statement. Auch regelmäßig vertreten ist der Krawall-Radler, der Chuck Norris des Straßenverkehrs: Er trägt riesige Taschen aus Lkw-Plane und rammt Sie gnadenlos um.
Gibt’s gar keine positiven Ausnahmen?
Klar gibt es die. Es soll ja auch den Yeti geben. Aber mal im Ernst: Wenn ich manchmal durch die Straßen gehe und das Gedrängel und Gerempel auf den Radwegen sehe, dann sage ich: Da herrscht Krieg. Die spinnen, die Radler.
Ich habe das Gefühl, dass es eher die Autofahrer sind, die andere Verkehrsteilnehmer über den Haufen fahren.
Die Autofahrer sind immer die Buhmänner. Ich finde, es ist an der Zeit, dass man sich auch mal der Fahrradfahrer annimmt. Die benehmen sich nämlich immer so, als hätten sie einen Heiligenschein auf. Nach dem Motto: „Ich fahre ein umweltfreundliches Gefährt, ich bin ein toller Mensch, also darf ich alles.”
Was machen die Radler alles falsch?
Besonders nervig ist der so genannte Heckenschütze: Plötzlich schießt er zwischen zwei Autos im rechten Winkel auf die Straße. Oder auch ganz beliebt: Der Auto-Kolonnen-Slalom. Warum kann der Radler an der Ampel nicht einfach wie an der Käsetheke in der Schlange stehen bleiben? Warum muss er sich bis nach vorne durchwursteln? Und dann stützt er sich auch noch auf der Motorhaube ab.
Sie fordern sogar Nummernschilder für jedes einzelne Fahrrad in Deutschland. Mit Verlaub: Sind Sie noch ganz bei Trost?
Also ganz ehrlich: Als Fahrradfahrer sind Sie ein Verkehrsteilnehmer wie jeder andere auch. Der selbst gefährdet ist, aber natürlich auch selbst Schaden anrichten kann. Nur ein Radler ist – fährt er jemanden über den Haufen – schnell weggeflitzt. Ohne dass man ihn identifizieren könnte. Mit Nummernschild würde sich der Radler vielleicht eher an Verkehrsregeln halten.
Und wo soll man das Nummernschild anbringen?
In manchen Bundesländern haben sogar Pferde Nummernschilder, die tragen es am Sattel. Das wird ja auch beim Radler möglich sein.
Besitzen Sie denn selber überhaupt ein Rad?
Ja, das steht kaputt im Keller und rostet vor sich hin. Ich komme einfach nicht dazu, es reparieren zu lassen. Wenn ich übrigens selbst Fahrrad fahre, dann habe ich gemerkt, dass ich plötzlich auch anfange, rote Ampeln zu überfahren und Fußgänger zu schneiden. Irgendwie scheint man da beim Radeln ungute Akkupressurpunkte im Gesäß zu stimulieren.
Wie ist die Situation in München? Auch so schlimm?
Klar! Im vergangenen Jahr sah sich die Stadt gezwungen, einen albernen Radl-Clown zu installieren, der die Fahrradfahrer diszipliniert. Da scheint also ein großer Bedarf zu sein, wenn man schon auf so einen Blödsinn zurückgreifen muss.
Aber einen Vorteil des Radelns können wohl selbst Sie nicht in Abrede stellen: Es ist das umweltfreundlichste Fortbewegungsmittel, das es gibt.
Radler vergessen aber gerne: Auch ihr Fahrrad ist ein industriell gefertigtes Produkt. Meistens in Taiwan oder China zusammengeschraubt, per Luftfracht hertransportiert. Die Herstellung von Carbonrahmen zum Beispiel verbraucht sehr viel Wasser.
Und was die typische Radlerkleidung angeht: Die ist meistens aus perfluorierten Chemikalien. Die sind so resistent, die finden Sie noch in Milliarden Jahren auf unserem Planeten. Streng genommen ist die umweltfreundlichste Fortbewegungsart das Zu-Fuß-Gehen.
Und wie lautet jetzt Ihre Forderung? Sollen alle Fahrräder zu Spazierstöcken umgeschmolzen werden?
Schmarrn. Nein – mein Buch ist bitte auch nicht bierernst zu verstehen. Sondern eher eine Aufforderung, sich selbst mal zu hinterfragen, und vor allem, über sich selbst zu lachen. Und ein bisschen Verständnis füreinander zu entwickeln. Es gibt Studien, die zeigen, dass Verkehrsteilnehmer, die alle Perspektiven kennen – Autofahrer, Radler, Fußgänger – rücksichtsvoller sind. Also, wenn Sie das nächste mal auf dem Radl heizen: Denken Sie mal an die anderen.
Annette Zoch: Neben der Spur. Das Fahrradhasserbuch. Mit Bildern von Kai Pannen. Sanssouci Verlag, 9,90 Euro