Die Schwänzer vom Nockherberg
MÜNCHEN - Nach einer gewaltigen Absagen-Flut fragen sich Anzapf-Experten, was wohl schuld ist am Bedeutungsverlust der ehemals einzigen ernst zu nehmenden Oppositionsveranstaltung in Bayern.
Das waren noch Zeiten, als Gerhard Schröder am Salvator-Krug nippte, Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem Double scherzte und Oscar Lafontaine seinem Tischnachbarn Otto Schily zuprostete. Der Starkbieranstich auf dem Nockherberg, das war großes Politik-Theater. Und eine willkommene Bühne – für die Kabarettisten, aber eben auch für die Politiker.
Die Gegenwart sieht so aus: Mit Ilse Aigner (CSU) wird heuer nur eine Bundesministerin im Festsaal Platz nehmen. Die SPD schickt heuer nicht einen Bundespolitiker nach München. Und selbst Guido Westerwelle, sonst Dauer-Gast beim Starkbier-Auftrieb am Nockherberg, schwänzt die Veranstaltung.
Hannes Burger, langjähriger Redenschreiber und einer der größten Kenner der Salvatorprobe, wundert das nicht: „Als die CSU noch allein regierte, war der Nockherberg die einzige ernstzunehmende Oppositionsveranstaltung in Bayern“, doziert er. Mittlerweile hätte sich die Situation geändert: „Da wird vieles schon im Landtag gesagt, was früher nur auf dem Nockherberg zur Sprache kam.“
"Letztes Jahr haben die Kabarettisten übertrieben"
Aber Burger gibt auch den Darstellern eine Mitschuld am Bedeutungsverlust: „Vor allem im vergangenen Jahr haben es die Kabarettisten übertrieben“, findet er, „das war keine Unterhaltung, sondern eine Hinrichtung“. Deshalb sei es auch nicht verwunderlich, dass Ex-Ministerpräsident Günther Beckstein dem Starkbieranstich heuer fern bleibt.
Für Singspiel-Autor Holger Paetz leidet das Derblecken zudem unter einem Nord-Süd-Problem: „Oberhalb des Mains fehlt den Menschen noch immer der Bezug zu der Veranstaltung.“
Das musste auch Claudia Roth feststellen. Schon im Januar flatterte die Einladung auf den Nockherberg in das Berliner Büro der Grünen-Chefin. Dummerweise war die hauptamtliche Sekretärin krank, sodass die Einladung in die Hände einer norddeutschen Praktikantin geriet. Diese konnte sich offenbar nicht vorstellen, dass eine Grünen-Vorsitzende etwas mit Starkbier zu tun haben möchte. Jedenfalls sagte sie kurzentschlossen ab – im Namen Claudia Roths.
Helle Aufregung daraufhin in München: Bayerns Grünen-Chefin Theresa Schopper rief dem Vernehmen nach voller Sorge in Berlin an, was los sei. Auch die Brauerei fragte irritiert-pikiert nach. Zur allseitigen Erleichterung wurde das Missverständnis ruckzuck aus der Welt geschafft. Claudia Roth wird heute auf dem Nockherberg auftauchen. Wenigstens sie.
D. Aschoff, M. Jox