Die Schläger von Solln: Sie sind bald wieder frei

Am Montag fällt das Urteil im Dominik-Brunner-Prozess: Die Schläger von Solln können auf den „erzieherischen“ Aspekt des Jugendstrafrechts hoffen und nach drei beziehungsweise fünf Jahren wieder frei sein.
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Mordfall Brunner: Die beiden Angeklagten und ihre Verteidiger
dpa Mordfall Brunner: Die beiden Angeklagten und ihre Verteidiger

MÜNCHEN - Am Montag fällt das Urteil im Dominik-Brunner-Prozess: Die Schläger von Solln können auf den „erzieherischen“ Aspekt des Jugendstrafrechts hoffen und nach drei beziehungsweise fünf Jahren wieder frei sein.

Mit Spannung wird am Montag das Urteil im Mordfall Dominik Brunner (50†) erwartet. Folgt die Münchner Jugendkammer dem Antrag der Staatsanwältin Verena Käbisch, könnte der Angeklagte Markus S. (19) in fünf Jahren wieder in Freiheit sein. Sein Komplize Sebastian L. (18) könnte in drei Jahren seine Zelle im fränkischen Ebrach verlassen.

Käbisch hatte für Markus S. wegen Mordes die Jugendhöchststrafe von zehn Jahren gefordert und für Sebastian L. acht Jahre Haft wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Obwohl Markus S. zur Tatzeit volljährig war, attestierten ihm die Gutachter eine „Reifeverzögerung“. Die Folge: Bei Markus S. ist das mildere Jugendstrafrecht anzuwenden. Und auch da gilt: Bei guter Führung wird nach einer Haftverbüßung von zwei Dritteln die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt. Außerdem wird die Untersuchungshaft von einem Jahr angerechnet.

Die Angeklagten könnten noch milder davonkommen. Der renommierte Münchner Rechtsanwalt und ehemalige Sonderermittler im Missbrauchs-Fall Kloster Ettal, Thomas Pfister, sagt: „Beim Jugendstrafrecht steht der erzieherische Aspekt im Vordergrund. Das bedeutet, wenn sich die Täter gut führen und entwickeln, werden sie noch früher entlassen." Das heißt: Der Spielraum ist nach unten offen. Hält sich das Gericht an das Strafmaß der Staatsanwältin, könnte Markus S. bereits nach fünf oder vier Jahren entlassen und Sebastian L. nach vier oder drei Jahren frei sein.

Noch günstiger für die Angeklagten wäre es, folgte das Gericht den Argumenten der Verteidigung. Maximilian Pauls und Hermann Sättler plädierten für Markus S. auf Körperverletzung mit Todesfolge und forderten sieben Jahre Gefängnis. Das bedeutet: Der mutmaßliche Totschläger vom S-Bahnhof Solln wäre in vier Jahren wieder in Freiheit.

Sebastian L. könnte sogar schon in 28 Monaten wieder frei sein. Seine Verteidiger Roland Autenrieth und Jochen Ringer halten drei Jahre und sechs Monate Haft für ausreichend: „Hier sitzt kein Mörder. Unser Mandant hat aus falsch verstandener Freundschaft Markus beistehen wollen.“

Wird das dem Fall gerecht, der ganz Deutschland bewegt hat? Der Manager Dominik Brunner musste sterben, weil er vier Kinder (13 bis 15 Jahre) vor den Angeklagten schützen wollte. Laut Anklage aus Rache haben sie Brunner am 12. September 2009, kurz nach 16 Uhr, am S-Bahnhof Solln zusammengeschlagen und auf ihn eingetreten. Brunner wurde für sein couragiertes Eingreifen zum Helden erklärt, das Bundesverdienstkreuz bekam er postum.

Rückblick: Markus S., Sebastian L. und ein Spezl (19) leben an jenen Samstag wie immer in den Tag hinein. Kein Job, keinen Plan. Bereits am Vormittag trinken sie Bier und nehmen Drogen. Von Johanneskrichen fahren sie mit der S-Bahn zur Donnersbergerbrücke. Dort treffen sie auf die vier Schüler. Zwei Mädchen und zwei Jungs. Das Trio will Geld erpressen. 15 Euro für Drogen. Sie wollen am Abend noch auf eine Party. Der Spezl schlägt und tritt auf die beiden Schüler ein. Markus S. und Sebastian L. schauen nur zu, stänkern verbal mit. Eine Verwaltungsjuristin (56) geht dazwischen, sagt: „Erwachsen werden ist schon schwer.“ Die Angeklagten erwidern: „Wie haben Sie es denn geschafft? Bei uns ist eh alles zu spät.“

Die Zeugin sagt später als Zeugin: „Ich hatte das Gefühl, die Situation ist entspannt.“ Zumal der Wortführer, der wegen Körperverletzung 19 Monate mit Bewährung bekam, schließlich in die S6 einsteigt.

Markus S. und Sebastian L. nehmen die S7 Richtung Wolfratshausen. Sie wollen eigentlich in Mittersendling aussteigen. Dort ist das Wohnheim des Waisenkindes Sebastian L. Sie sitzen im Viererabteil neben den Schülern. Gegenüber von Markus S. und Sebastian L. sitzt Dominik Brunner. Er kommt vom Schwimmen, ist auf dem Weg in seine Sollner Zweitwohnung. Sein Hauptwohnsitz hat er in Ergoldsbach, neben seiner Firma mit 600 Angestellten.

Markus S. und Sebastian L. machen dumme Bemerkungen in Richtung der Schüler. Als Brunner das Wort „abziehen“ und „ausrauben“ hört, droht er mit der Polizei. „Mach doch. Merk dir meine Schuhe, damit du eine Beschreibung hast,“ sagen die Angeklagten. Brunner ruft übers Handy die Polizei. Er will mit den Schülern in Solln aussteigen und auf die Beamten warten. Um zirka 16.09 Uhr hält die S-Bahn in Solln. Brunner steigt aus, die Schüler folgen ihm.

In den nächsten Minuten passiert, was die Zeugen vom Tatort spaltet und das Brunner-Denkmal in Schieflage bringt. Einige sagen: „Brunner hat sich verteidigt.“ Andere behaupten: „Brunner hat zuerst zugeschlagen.“

Die Verwaltungsjuristin von der Donnersbergerbrücke sitzt auch noch in der S7. Sie beobachtet Brunner aus dem Zugfenster: „Er legte seine Tasche und Jacke ab, ging in Boxerstellung.“ Als die Angeklagten in ihrem Fensterblick auftauchen, schlug und tritt Brunner sofort zu: „Schlag, Kick, Schlag Kick. Er hat beide geschlagen.“

Fakt ist: Markus S., der im Gesicht blutet, rastet völlig aus. Er nimmt seinen Schlüsselbund, lässt die Schlüsselspitzen zwischen den Fingern rausragen. Die Angeklagten gehen auf Brunner los. Brunner stürzt zu Boden. Markus S. tritt weiter auf ihn ein. Sebastian L. versucht plötzlich, seinen Freund abzuhalten: „Das ist jetzt zu krass!“ Die beiden flüchten, verstecken sich in einem Gebüsch neben den Gleisen. Durch die Schallschutzmauer entlang der Zugtrasse sitzen sie in der Falle. Wenig später werden sie festgenommen. Dominik Brunner stirbt um 18.30 Uhr im Klinikum Großhadern. Todesursache: Herzversagen.

Im Prozess sagte Gutachter Professor Wolfgang Keil: „Die Schläge und Tritte wären nicht tödlich gewesen.“ Aber: Zwischen den Schlägen und Tritten gibt es eine Kausalität. Eine Verbindung zwischen Tat und Tod. Brunner, der ein zu großes Herz hatte, wäre damit alt geworden. Die Tat aber löste eine „extreme Stresssituation" bei Brunner aus. Es kam zum Herzkammerflimmern. Über Stunden versuchten Ärzteteams Brunners Herz in Gang zu bringen - vergeblich.

Torsten Huber

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.