Die Protonen-Kanone gegen Krebs

Hoffnung für Tumorpatienten: Hans Rinecker hat mit Europas modernstem Strahlen-Therapie-Zentrum in Thalkirchen seine große „Vision“ realisiert: „Wir haben keine Wunderwaffe, können aber vielen Menschen das Leben retten.“
von  Abendzeitung

MÜNCHEN - Hoffnung für Tumorpatienten: Hans Rinecker hat mit Europas modernstem Strahlen-Therapie-Zentrum in Thalkirchen seine große „Vision“ realisiert: „Wir haben keine Wunderwaffe, können aber vielen Menschen das Leben retten.“

Die Präzision ist beeindruckend: Die Protonen aus der Strahlen-Kanone legen exakt 92 Meter zurück bis sie am Ende ihrer Reise punktgenau ins Ziel treffen. Dabei wird der Strahl computergesteuert durch ein Vakuumrohr geleitet und jeweils so in die gewünschte Position gedreht, dass die Protonen von jeder Seite her mit einer Genauigkeit von einem halben Millimeter exakt an dieselbe Stelle im Tumor geschossen werden können.

„Wir treffen die Krebszellen sehr präzise und können sie dadurch vollständig vernichten – danach wächst dort kein Tumor mehr.“ Manfred Herbst hat lange auf diesen Augenblick gewartet. Viele Jahre hatte der Internist und frühere Lehrstuhlinhaber für Strahlentherapie an der Universität Regensburg dafür gekämpft, dass diese moderne Waffe gegen Krebs dort einen Platz findet – vergeblich: „Nachdem die Protonen nicht zu mir gekommen sind, bin ich zu ihnen nach München gegangen.“ Heute ist Professor Herbst Ärztlicher Direktor des modernsten Protonen-Therapie-Zentrums in ganz Europa. Und das befindet sich mitten in Thalkirchen zwischen Isarkanal und Schäftlarnstraße.

Ulrich Guse (60) liegt bereits auf einer „Vakuummatratze“, die ihn fest umschließt und jede ungewollte Bewegung des Körpers verhindert. So gelingt es, den extrem aggressiven Tumor in seiner Prostata jeweils von der medizinisch optimalen Richtung zu bestrahlen. Das erhöht den Erfolg und reduziert lästige Nebenwirkungen: Gesundes Gewebe wird geschont und der Krebs punktgenau zerstört.

„Wir können Tumore punktgenau mit einer hohen Dosis treffen“

„Bei der Protonen-Therapie können wir das Areal, das bestrahlt wird, auf ein Minimum beschränken. Deshalb erzielen wir eine um bis zu 30 Prozent höhere Strahlendosis im Tumor und eine um bis zu 70 Prozent niedrigere Belastung im umgebenden gesunden Gewebe“, sagt Experte Herbst. Das hat handfeste Vorteile: „Bei Prostatakarzinomen erreichen wir eine Heilungsquote von 95 Prozent im Frühstadium“, verspricht Herbst „ohne die üblichen Nebenwirkungen wie Inkontinenz oder Impotenz“. Das hat Ulrich Guse aus Berlin überzeugt. Der Elektroingenieur sieht trotz täglicher Bestrahlung blendend aus: „Ich bin heute morgen schon meine sechs Kilometer an der Isar gelaufen.“

Doch bevor der High-Tech-Protonen-Strahl auf die Reise in den kranken Körper geschickt werden kann, müssen die Spezialisten exakt rechnen. Denn nur eine perfekte Diagnostik und ein perfektes Zusammenspiel von Mensch und Maschine garantiert das „punktgenaue Zielen und Treffen“ und damit den Erfolg.

Die Experten bestimmen bis zu 10 000 Zielpunkte

Vor jeder Bestrahlung bestimmen Ärzte und Physiker mit Hilfe von Computertomografie (CT), Kernspin- und PET-CT-Technik die genaue Lage des Tumors im Körper des Patienten und errechnen danach die Zielpunkte, die die Protonen beschießen sollen. Je nach Größe des Tumors werden bis zu 10 000 solcher Punkte bestimmt. Diese „Zielwerte“ überträgt dann ein Hochleistungsrechner an den Protonen-Strahler. Produziert werden die Protonen in einem eigenen Gerät aus Wasserstoffgas im Erdgeschoss des Zentrums – denn frei bewegliche Protonen gibt es sonst in größerer Zahl nur im Weltraum.

In einem Teilchenbeschleuniger (Zyklotron) mit starken elektromagnetischen Feldern lassen sich die Protonenstrahlen anschließend auf 60 Prozent der Lichtgeschwindigkeit (180 000 Kilometer in der Sekunde) beschleunigen: In diesem Tempo dringen die Protonen bis zu 38 Zentimeter tief in den Körper ein. Je nach Lage des Tumors kann man die Strahlen vor Verlassen des Zyklotrons „abbremsen“. Auf dem Weg zum Patienten werden die Protonen durch magnetische Linsen fokussiert, denn „ungebündelt“ würden sie „auseinander fliegen“.

Die gigantische Stahlkonstruktion wiegt 150 Kilo

Der eigentliche Therapieplatz (Gantry) ist eine tonnenförmige gigantische Stahlkonstruktion voller High-Tech, die 150 Tonnen wiegt, einen Innen-Durchmesser von 7 Metern besitzt und sich 360 Grad in der Minute mit einer Präzision im Millimeterbereich um die eigene Achse drehen lässt. Extrem starke Magnete sorgen während der nur wenige Minuten dauernden Behandlung für eine genaue Ausrichtung des Protonenstrahls.

Ohne Alternative ist die Protonen-Therapie schon heute im Kampf gegen das gefährliche Aderhautmelanom: „Nach dieser Bestrahlung können unsere Patienten weiter sehen – wir erhalten Auge und Sehkraft,“ freut sich Herbst. Das war früher mit Röntgenstrahlen nicht möglich: Die Patienten waren danach blind, das Auge musste entfernt werden und nach 10 Jahren lebten trotzdem nur noch rund 60 Prozent der Patienten. Heute sind es 94 Prozent. Große Erfolge erwarten sich die Experten bei Tumoren der Schädelbasis, der Prostata, des Rückenmarks, im HNO-Bereich sowie bei Lunge, Darm und Leber.

Seit März ist der erste „Gantry“ im Einsatz, Ende August folgt der zweite. Im Frühjahr 2010 soll das Zentrum seinen Vollbetrieb aufnehmen: Dann will man jedes Jahr bis zu 4000 Patienten an vier Therapieplätzen und einem Spezialgerät für Augen- und Schädelbasis-Tumore bestrahlen – dafür sorgen rund 20 Ärzte und 130 Mitarbeiter in zwei Schichten. 150 Millionen Euro hat der private Klinikbau gekostet. „Wir haben keine Wunderwaffe“, sagt Klinik-Betreiber Dr. Hans Rinecker: „Aber wir können in vielen Fällen besser therapieren und so vielen Menschen das Leben retten.“

Weltsensation: Protonen Bestrahlung unter Vollnarkose

Eine Weltsensation ist den Münchner Strahlenexperten bereits gelungen: Erstmals haben sie „unheilbare“ Patienten, die von ihren Ärzten mangels Therapiemöglichkeit bereits „aufgegeben“ waren, behandelt: Damit diese gefährlichen Tumore in „atembeweglichen“ Organen wie Lunge oder Leber punktgenau getroffen werden können, bestrahlt man diese Patienten nur nach einer leichten Vollnarkose. Ein bis zwei Minuten steht der Atem still – und die Protonen können die tödlichen Krebszellen exakt treffen und vernichten. „Nach zehn Minuten wacht der Patient schon wieder auf“, sagt Chefanästhesist Morton Eckermann. „Die Narkose ist wie ein Heilschlaf.

Auch die AOK Bayern bezahlt die Therapiekosten

Das „Rinecker Proton Therapy Center“ (RPTC) in Thalkirchen hat erst vor fünf Monaten seinen Betrieb aufgenommen. Es ist das modernste Zentrum seiner Art zur Patientenversorgung in Europa – weltweit gibt es vergleichbare Anlagen nur noch in den USA und Japan. Spatenstich war 2001, 2005 sollte bereits Eröffnung sein – doch Streit mit den Herstellerfirmen, Software-Probleme und lange Genehmigungsverfahren haben den Start verzögert.

Die Kosten für die Behandlung bezahlen nicht nur Privatkassen, sondern auch die AOK Bayern, die Techniker Krankenkasse und viele Betriebskrankenkassen. Allerdings müssen gesetzlich Versicherte noch mit längeren Wartezeiten rechnen, weil bei ihnen immer zunächst die Kassengutachter zustimmen müssen. Infos zur Therapie gibt es unter der Nummer: 089/66 06 80 oder unter www.rptc.de im Netz.

Michael Backmund

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