Die Promille-Beichte des U-Bahn-Fahrers

Exklusiv in der AZ erzählt der 46-Jährige Harald K., wie es zu seiner gefährlichen Trunkenheits-Tour durch den Untergrund kam und warum er zur Flasche griff.
von  Torsten Huber
So titelte die Abendzeitung am 9. Februar. Die zwei Promille waren der Atemalkoholwert. Laut Blutuntersuchung hatte er 1,86 Promille.
So titelte die Abendzeitung am 9. Februar. Die zwei Promille waren der Atemalkoholwert. Laut Blutuntersuchung hatte er 1,86 Promille. © AZ

Exklusiv in der AZ erzählt der 46-Jährige Harald K., wie es zu seiner gefährlichen Trunkenheits-Tour durch den Untergrund kam und warum er zur Flasche gegriffen hat

München - Die Irrfahrt der U1 sorgt vergangenen Dienstag für Aufregung in München. Völlig betrunken rast U-Bahnfahrer Harald K. (46) mitten im Berufsverkehr Richtung Endstation Mangfallplatz. Am Sendlinger Tor verbremst er sich. Niemand der Fahrgäste kann aussteigen. An der Fraunhoferstraße ragt das Führerhaus in den Tunnel. Als er ein rotes Signal übersieht, muss K. zwangsgebremst werden. An der Endstation wird der Fahrer aus dem Verkehr gezogen (AZ berichtete).

Exklusiv in der AZ legt der Münchner jetzt seine Promille-Beichte ab: „Ich kann über die Fahrt nichts mehr sagen. Ich hatte einen völligen Blackout.“ Ihm droht die fristlose Kündigung. Um das zu verhindern, hat Harald K. den Rechtsanwalt Lutz Libbertz eingeschaltet. Der sagt zur AZ: „16 Jahre hat mein Mandant beim MVV fehlerfrei seinen Dienst verrichtet. Das war ein einmaliges Versagen. Wenn ich dagegen sehe, wie viele Chancen einem Bundespräsidenten eingeräumt werden, kann ich mich nur wundern. Typisch, dass ein normaler Arbeitnehmer sofort dran glauben muss.“

Der 7. Februar, der Tag der Unglücksfahrt, ist für Harald K. der letzte Arbeitstag vor seinem zweiwöchigen Urlaub: „In dieser Zeit hatten mein Freund und ich den Umzug in unser neues Haus in Zorneding geplant. Am Wochenende hatte ich einen Schrank zerlegt. Dabei fiel mir ein schweres Holzteil auf die Rippen. Ich habe heute noch leichte Schmerzen.“

Um die Leiden zu lindern, schluckte er Schmerzmittel und trank Alkohol. Hinzu kam noch die Trauer um seine tote Mutter. Sie ist vor kurzem im Alter von 77 Jahren in einer Klinik verstorben. Unerwartet. „Multiples Organversagen, teilten mir die Ärzte mit. Ich bin ein Einzelkind und ein Familienmensch. Ich konnte mich von meiner Mutter nicht einmal verabschieden“, sagt Harald K. der AZ.

Sohn und Mutter hatten ein inniges Verhältnis. Sie unterstützte ihn immer. Auch, als er ihr vor sechs Jahren seine Homosexualität offenbarte. „Ich war viele Jahre verheiratet. Jetzt lebe ich mit einem Mann und meinen drei Jack-Russell-Terriern zusammen. Für mich sind das meine Kinder“, sagt der U-Bahnfahrer, der erst vor anderthalb Jahren von der Tram auf die U-Bahn umgestiegen ist und Schichtarbeit für 2000 Euro netto im Monat verrichtet.

Am 7. Februar sollte Harald K. von 16.12 Uhr bis 0.12 Uhr die U1 führen. Am Hauptbahnhof ging es los. Doch davor kippte K. noch ein paar Cognac. „Mir ging es einfach nicht gut. Auch zu Hause gab es zuvor großen Streit“, erinnert sich der U-Bahnfahrer.

 




Mit von der Münchner Rechtsmedizin nachgewiesenen 1,86 Promille im Blut übernimmt Harald K. die sechs Waggons und fährt los. Fahrgäste merken schon nach ein paar Minuten, dass etwas schief läuft. „Ist der da vorne besoffen!“, schimpft einer laut. Sie alarmieren schließlich über die MVG-Hotline die Zentrale: „Mit dem Fahrer stimmt was nicht.“

Nach sechs Stationen endet die Fahrt für Harald K. am Wendepunkt in Untergiesing-Harlaching: „Da stand ein kleiner Mann an meinem Führerhaus und sagte zu mir: ,Du fährst nicht mehr.’ Ich dachte mir, was will der eigentlich von mir?“

Der U-Bahnfahrer wird ins Direktorium in der Emmy-Noehter-Straße gefahren. Dort warten bereits die obersten Chefs und sieben Polizeibeamte auf ihn. „Ich musste meine Fahrdiensterlaubnis und die Schlüssel für die U-Bahn abgeben. Die Polizisten durchwühlten meine Tasche“, erinnert sich Harald K..

Er wird zur Rechtsmedizin gebracht. Zwei Röhrchen Blut zapfen sie ihm ab, er muss auf einer Linie gehen und sich fünf Mal um die eigene Achse drehen. Dann darf er nach Hause. „Ich habe den Polizisten noch gefragt, ob er mich heimfährt. Der sagte nur, dass da vorne die U-Bahn sei.“

Am nächsten Tag soll ihn sein Chef vor die Wahl gestellt haben: freiwillig kündigen oder gekündigt werden. „Ich bin völlig fertig. Das war mein Traumberuf. Ich kann keine Nacht mehr durchschlafen, werde immer nach ein paar Stunden wach“, sagt Harald K., der hofft, dass er beim MVV bleiben darf, eine Stelle im Innendienst bekommt. Eine zweite Chance.

 

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