Die neuen Yuppie-Viertel
Von Schwabing redet keiner mehr: Isar-, Max- und Ludwigsvorstadt mausern sich zu Szenestadtteilen – die Au und Obergiesing sind als nächstes dran
MÜNCHEN Haben Sie sie auch schon bemerkt? Jene Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Designer-Hornbrille auf der Nase. Poloshirt am Leib. Das „heiße“ Projekt der eigenen PR-Agentur schon im Kopf und stets auf den Lippen. Und natürlich: Literweise Bionade und Latte Macchiato im Blut. Nennt sich ihre alte Stammkneipe jetzt Szenebar? Bietet ihr Friseur neben Waschen und Legen auch Reiki-Kuren an? Wenn Ja, sollte Ihnen eines klar sein: Ihr Viertel ist auf dem besten Wege, hip werden – und damit fangen die Probleme erst an.
Gentrifizierung oder Yuppiesierung nennt es die Wissenschaft, der Volksmund spottet über die „Latte-Macchiatisierung“, in Anlehnung an das Lieblingsgetränk wohlhabender junger Großstädter. Alle drei Begriffe bezeichnen dasselbe: Den Wandel ganzer Stadtviertel von urbanen Arbeiter- oder Mittelstandsquartieren hin zu luxuriösen Szenebezirken. Laut dem Münchner Sozialgeografen Frank Schröder vollzieht sich dieser Wandel nirgendwo so rasant wie links und rechts der Isar.
Dabei ist es stets das gleiche Muster: Die günstigen Mieten ehemals einfacherer Viertel ziehen Studenten und junge Kreative an. Plötzlich steht das Viertel im Ruf, hip und szenig zu sein. Das lockt ökonomisch gut gestellte Yuppies (Kurzform für Young Urban Professionals) an.
Was folgt, ist laut Schröder „besonders gefährlich“: Vormals günstige Mietwohnungen, vorzugsweise in Altbauten, werden für die gut gestellte Klientel luxussaniert und in Eigentumsimmobilien umgewandelt. Die Folge: Immobilienpreise schießen in die Höhe und Designershops, Bars und Szenekneipen aus dem Boden. Das Problem an der Sache: Der neue Lebensstil im Viertel wird für Alteingesessene unerschwinglich.
Sozialgeograf Schröder analysiert: „Wo sich einst Alt und Jung, Einheimische und Fremde trafen, entstehen homogene Viertel. Das Wesen der Stadt ändert sich grundlegend.“
Wohin die Macchiato-Welle Münchens Bionade-Biedermaier in den nächsten Jahren spülen könnte - ein kleiner Überblick:
Isarvorstadt:
Ja, wirklich: Vor zwanzig Jahren wollte niemand freiwillig ins arme Glockenbachviertel in der Isarvorstadt. In den 80ern kamen die Schwulen und Schönen, dann die Yuppies. Musterbeispiel für Yuppisierung ist heute die Sanierung des Heizkraftwerks an der Müllerstraße. Im Turm entsteht Deutschlands teuerste Luxuswohnung. Und weiter geht die Invasion. Nächstes Ziel ist jetzt das Schlachthofviertel.
Ludwigvorstadt:
Als schäbig galt das Bahnhofsviertel mit seinem hohen Ausländeranteil. Als tolerant gelten dagegen die modernen Großstädter – nur wollen die ihre angebliche Toleranz nicht ständig unter Beweis stellen müssen. Schröder meint, die Yuppisierung gehe in Vierteln mit hohem Ausländeranteil langsamer voran, weil die sozialen Bindungen dort enger seien. Kurz: Ausländer lassen sich nicht so einfach vertreiben.
Schwanthalerhöhe
Die angesagte Szene-Bar „Kilombo“ ist jeden Abend rappelvoll. Ein Indiz, dass sich der Wandel nun beschleunigt. Der Sozialgeograf sagt: „Die Yuppisierung frisst sich ausgehend von der Theresienhöhe von Süden nach Norden ins Quartier.“
Maxvorstadt:
Junge Akademiker und Studenten, also die Yuppies der Zukunft, schätzen die Nähe zur Uni. In den Augustenhöfen werden zur Abwechslung sogar schon 50er Jahre-Bauten saniert. Altbauten werden eben zunehmend rarer. Fazit: In der Maxvorstadt wird sich noch einiges tun. Wie das ausschauen kann, sieht man in den Lenbachgärten. Ein Spaziergang dahin lohnt sich.
Giesing
Das Arbeiterviertel wird sich in 10 bis 20 Jahren grundlegend ändern, glaubt Schröder. Auf dem Areal des Agfa-Parks soll ein schickes Hochhaus mit 1100 Wohnungen entstehen. Und auch von den heiß begehrten Altbauten gibt es hier noch reichlich.
Au / Haidhausen
Die Yuppisierung befindet sich in der Au noch im Anfangsstadium. Die Betonung freilich liegt auf noch. Die Gemeinde der Szengänger hat das Viertel längst im Blick, schon wegen der Nähe zum hippen Glockenbachviertel. In Haidhausen entsteht derweil zwischen Kirchen- und Spichernstraße das Luxuswohnprojekt „Le Village“. 84 Wohungen mit geschwungenen Balkonen in 20er Jahre Eleganz unter Berücksichtigung aller Feng Shui-Regeln. Das lässt die Herzen der Latte Macchiato-Fraktion natürlich höher schlagen.
Reinhard Keck
- Themen:
- Glockenbachviertel