Die mysteriöse Madonna

Der Star des Abends war rätselhaft: die Maria mit Kind von Tilman Riemenschneider sorgte bei der Jubiläumsauktion zum 50-jährigen Bestehen von Neumeister in der Barer Straße für Aufsehen.
von  Abendzeitung
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Illustration © Gregor Feindt

MAXVORSTADT - Der Star des Abends war rätselhaft: die Maria mit Kind von Tilman Riemenschneider sorgte bei der Jubiläumsauktion zum 50-jährigen Bestehen von Neumeister in der Barer Straße für Aufsehen.

Um 18 Uhr ist der Saal voll, Bieter und Schaulustige drängen sich an den Wänden und vor der Tür. Ein Mann mit Trachtenhut schiebt sich in letzter Minute in den Saal. Die Bieter sind leicht zu erkennen an den kleinen gelben Schildern. Doch zunächst werden die Kärtchen nur als Fächer benutzt: ein Bergkristallkrug, ein Diamantarmband von 1925 – die ersten Objekte laufen eher schleppend, sie finden keinen Liebhaber oder bleiben unterm Schätzwert.

Dann endlich: Die Maria mit Kind, eine Holzstatue von 1490 von Tilman Riemenschneider. Im Katalog ist der Startpreis „auf Anfrage“ gelistet, der Schätzwert liegt bei 1,2 Millionen Euro. Ein Raunen geht durch den Saal, gut frisierte Männer setzen sich aufrechter hin, die Mitarbeiter des Auktionshauses wispern durchs Telefon zu Interessenten. Nur 38 Zentimeter ist die Holzfigur hoch. Tilman Riemenschneider zählt zu den bedeutendsten Bildschnitzern der Spätgotik: große Kunst zu einem großen Preis.

Auktionator Rudolf Neumeister nennt das Startgebot: 400000 Euro. Ein Schild zuckt nach oben, dann keines mehr. Die Frauen am Telefon bleiben stumm. Zum ersten, zum zweiten, zum dritten. Die Millionenfigur zum Spottpreis?

„Angeblich ist die gar nicht von Riemenschneider selbst,“ meint eine Frau hinter vorgehaltener Hand. Tatsächlich ranken sich Geheimnisse um die Madonna: Sie stamme aus der Kunstsammlung Ludwig, heißt’s offiziell, diese wurde im Februar vom Stuttgarter Auktionshaus Nagel versteigert. Dort heißt es aber, dass die Statuette gar nicht im Auktionskatalog gelistet war.

Bei Neumeister kennt man die Gerüchte: Die Figur stamme aus einer Künstlerwerkstatt, Riemenschneiders Eigenleistung daran sei gering. Trotzdem glaubt Katrin Stoll, Leiterin des Auktionshauses, an die Echtheit der Figur: „Wir vertrauen unserem Experten.“

Mindestens 1,5 Millionen Euro brachten 96 Objekte der gestrigen Auktion ein. Nicht eingerechnet ist die Madonna – das Gebot lag unter dem Minimumpreis. Noch drei Wochen haben Interessenten jetzt Zeit, ein Höchstgebot für die Maria mit Kind abzugeben. Wie es heißt, ist die mysteriöse Dame für 400000 Euro inzwischen längst nicht mehr zu haben.

Cornelia Schnell

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