Die Münchner SPD fürchtet um ihre Macht

Die Nerven sind angespannt – und der Rats-Fraktionschef Alexander Reissl wird für seine Attacke auf die Grünen gescholten
München - Es sind nur noch vier Monate bis zur Stadtratswahl – und bis zum Beginn der Ära „nach Ude“. Der Blutdruck der Wahlkämpfer steigt. Gerade bei der Münchner SPD, die von Umfragen und Wahlergebnissen schon lange nicht mehr euphorisiert wird.
Am Donnerstag will sie Dieter Reiter offiziell zum OB-Kandidaten küren. Eine Woche später soll die SPD-Stadtratsliste aufgestellt werden, für die es mehr Interessenten als aussichtsreiche Plätze gibt. Zudem ist hinter den Kulissen ein heftiger Macht- und Meinungskampf ausgebrochen.
Ins Zentrum wird dabei der Ratsfraktionsvorsitzende Alexander Reissl gerückt: Er ist ein unermüdliches Arbeitstier und Parteisoldat – der auch mal gerne aus dem grünen Bündnispartner verbal Kleinholz macht. Er ist für die Arbeit der SPD verantwortlich und neben Ude die Galionsfigur im Rathaus. Autoritär nach innen – und respektlos auch vor „dem Herrn im zweiten Stock“, wie er den Über-OB Ude schon mal nennt, damit die Fraktion nicht bloß Udes williges Anhängsel ist.
Reissl wollte auch OB-Kandidat werden und hat gegen Dieter Reiter frustrierend hoch verloren. Beide müssten eigentlich als die Leithirsche für den Wahlsieg am 16. März zusammen arbeiten. Aber man hört, wie es knirscht.
Je deprimierender die Umfragen für die SPD sind, desto nervöser wird die Partei. Viele fürchten, dass die SPD am 16. März ohne das Zugpferd Ude Stadtratssitze verlieren wird. Es könnte sogar der Schwarze Josef Schmid OB werden. Da dürfe niemand vergrault werden, den die SPD in einer Stichwahl braucht – und damit es bei Rot-Grün bleibt. Reissl sagt man nach, er habe lieber Rot-Schwarz. Und mit Genuss tratzt er auch Grüne, die deswegen genervt sind.
Das macht die SPD nervös. In der Opposition oder als kleiner Partner der CSU will sie nicht landen. Dabei ist sie in der Masse Rot-Grün – so wie es bei ihr bis zum Würgereiz Widerstände gegen Schwarz-Rot im Bund gibt. Doch erst vorige Woche hat Reissl einen grünen Ratskollegen „deppert“ genannt. Prompt keilte der Grünen-Chef Sebastian Weisenburger zurück: „Die Kommunikationsformen der Münchner SPD sind in letzter Zeit ein wenig derber geworden.“ Der „Wunsch nach persönlicher Beleidigung“ dürfe eine „inhaltliche Auseinandersetzung nicht unmöglich“ machen. Reissl möge zu einem „unerlässlichen Mindestmaß an Sachlichkeit“ zurückfinden.
Das treibt der SPD den Angstschweiß auf die Stirn. Denn die Roten brauchen die Grünen, wenn es zur OB-Stichwahl kommt. Und Schwarz-Grün ist in München auch nicht ausgeschlossen. Die CSU buhlt darum. „Wir wussten, dass Alexander burschikos daherkommt, so ist er halt“, sagt ein Parteifreund: „Aber es ist vollkommen unakzeptabel, dass er den Bündnis-Partner so nennt.“
Reissls Attacken seien kontraproduktiv. Aus „Parteisolidarität" werde er nicht offen kritisiert, „aber er manövriert sich damit ins Aus“. Aus der Rats-Fraktion sei „kein Widerstand zu erwarten“, aber sie sei „entsetzt“ über seinen Ton. Warum macht Reissl das? In der SPD wird spekuliert, Reissl wolle bei Schwarz-Rot Bürgermeister werden.
Wird er sich als Fraktionschef behaupten können? Man hört auch interne Kritik an seinem robusten Führungsstil – aber sie wählen ihn immer wieder. Es gebe keine Erbhöfe, tuschelt die Partei. Sie braucht ihn aber: Er muss die SPD in den Wahlkampf führen. Dabei hat er für die Partei auch Vorteile: „Er ist sehr schlau, politisch profund, und er kennt jeden Beschluss“, muss ihn einer seiner Kritiker loben. Für die Grünen ist er wahrlich ein rotes Tuch. Ein Bündnis ohne einen Chef Reissl wäre so manchem lieber.
Der Gescholtene bleibt nüchtern: „Viel Feind, viel Ehr.“ Die SPD sei eine eigenständige Partei und müsse das betonen, ist sein Credo: „Die Grünen sind in ihrem Selbstverständnis nicht der kleine Bruder der SPD. Und sie werden uns bei der Wahl herausfordern und nicht schonen.“ Am 16. März müsse jede Partei schauen, wo sie bleibt. „Ich bin den Grünen nicht böse, dass sie selbstbewusst auftreten.“
ind die Grünen netter zur SPD? Rot-Grün war in dieser Amtszeit keine Kuschelecke. Es hat oft genug gekracht. Es gab auch genug Unterschiede (Verkehr, Lärmschutz, Tempo 30) und grüne Personalentscheidungen (wie die gescheiterte Wahl des Kommunalreferenten), die die SPD zur Verzweiflung bringen konnten. Und keiner hat den SPD-OB-Kandidaten Dieter Reiter so lächerlich gemacht wie Grünen-OB-Kandidatin Sabine Nallinger (Reiter könne doch nur Wiesn). Postwendend hat Münchens SPD-Chef Uli Pfaffmann sie auch schon öffentlich zur Räson gerufen.