"Die Münchner Innenstadt schwimmt in Kakerlaken"

Die Plage hat jetzt auch den Münchner Stadtrat beschäftigt. Ein Experte erhebt schwere Vorwürfe gegen die Behörden und kritisiert das gängige Ausschreibungssystem
von  Tim Wessling
Der Stadtrat beschäftigt sich jetzt mit Frage, ob die Stadt ein Ungeziefer-Problem hat.
Der Stadtrat beschäftigt sich jetzt mit Frage, ob die Stadt ein Ungeziefer-Problem hat. © AZ

München - Im australischen TV-Dschungel gehören sie zu den festen Mitarbeitern. Doch auch in München fühlen sich Kakerlaken wohl, werden immer häufiger gesichtet und landen in Einzelfällen sogar im Essen (AZ berichtete). Begegnungen zwischen Ratte und Mensch nehmen ebenfalls zu. Und viele Münchner fragen sich: Hat die Stadt ein Problem mit Ungeziefer?

Jetzt war das Ganze sogar schon Thema im Rathaus. Stadtrat Richard Quaas (CSU) berichtet, dass viele Bürger eine Rattenplage fürchten und stellte eine Anfrage an das Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU).

Die Antwort: Der Bestand könne nur geschätzt werden. Es stimme aber, dass die kleinen Nager sich an gewissen Stellen in der Stadt besonders heimisch fühlen.

Vor allem in Bahnhöfen und Parkanlagen sind sie zu finden. Auch innerhalb des Altstadtrings, einschließlich Sendlinger Tor, Lenbachplatz, dem Stachus und dem Alten Botanischen Garten tauchen sie auf.

Logisch. Hier finden die Tiere Nahrung im Überfluss. Vor allem Essensreste aus den Fast-Food-Restaurants haben es ihnen angetan. Das RGU sieht aber keine Anzeichen dafür, dass eine Rattenplage ansteht. Doch ein Schädlingsbekämpfer erhebt schwere Vorwürfe gegen die Stadt. Sie gehe das Ungeziefer-Problem nicht ausreichend an.

„Die Innenstadt schwimmt in Kakerlaken“, behauptet Kai Wetzel. Er ist staatlich geprüfter Schädlingsbekämpfer bei der Firma ASS. „Besonders schlimm ist die Situation in den Restaurants. Das Personal stapelt die Vorräte oft so an der Wand, dass Nager und Insekten von hinten in aller Ruhe plündern können“, sagt er. Genaue Zahlen könne auch er seriöserweise nicht nennen, „aber wir machen jedes Jahr fünf bis zehn Prozent mehr Umsatz. Das zeigt, dass das Problem größer wird.“

Jeder Auftrag für die Bekämpfung von Schädlingen, seien es nun Ratten oder Kakerlaken, wird von der Stadt einzeln ausgeschrieben. Schädlingsbekämpfer aus der Region können dafür ein Angebot abgeben.

„Genau da liegt das Problem“, erklärt Wetzel. „Die Ausschreibungen sind lächerlich. Es ist ein Mischmasch an Methoden.“ Jede Firma bekämpfe Ungeziefer auf ihre eigene Weise und kümmere sich nicht um die Nachsorge, geschweige denn um die Vorsorge für künftigen Befall, sagt der Experte. Wetzel: „Da kommt eine Ausschreibung von der Stadt für einen Mülleimer auf einer Brücke. Dann legt eine Firma Köder aus und das war’s. Im nächsten Mülleimer haben sich die Ratten aber wieder eingenistet.“

Das Referat für Umwelt und Gesundheit listet noch mehr Plätze auf, die Ratten- und Ungeziefer gefährdet sind. Zum Beispiel die Allianz Arena! Arena-Sprecher Werner Götz weiß aber nichts von einem Schädlings-Problem: „Wir haben noch keine Beschwerden von Besuchern“, sagt er. Die Mülleimer, in denen die Nager Nahrung finden könnten, werden ständig geleert und seien so hoch, dass kein Tier hineinklettern könne. Auch Hygiene werde groß geschrieben: „Die Gastro-Einrichtungen sind immer besenrein.“

„Drei Mitarbeiter des RGU sind im Einsatz, um bekannte Orte zu überprüfen“, berichtet Joachim Lorenz, Referent für Gesundheit und Umwelt. Wenn Nistplätze von Ratten bekannt werden, werde sofort ein Kammerjäger beauftragt, der mit Ködern die Nager ausrottet. Im Anschluss besuchen die Mitarbeiter die Nistplätze immer wieder, um zu überprüfen, ob sich erneut Tiere angesiedelt haben.

„Eine permanente Kontrolle des ganzen Stadtgebietes ist allerdings nicht möglich“, so Lorenz weiter. Daher sei das RGU auf Hinweise von Bürgern angewiesen. Denn wer in München einen Kammerjäger beauftragt, muss das niemandem melden.

Wenige Probleme, sagt also die Stadt. „Viele Probleme“, sagt der Schädlingsbekämpfer. Eine Erklärung für die sich häufenden Beschwerden könnte Sebastian Manz-Buck haben. Er ist ebenfalls Schädlingsbekämpfer und sagt: „Die Tiere sind im Herbst und Winter nur sichtbarer als sonst. Wenn es kalt wird, ist auch die Nahrung knapp. Dann verlieren vor allem Nager die Angst vor Menschen“. Mehr Ratten als sonst gebe es dann nicht, ihre Anwesenheit falle nur deutlicher auf.

Zumal der Mensch die Tiere oft unnötig anlockt: Taubenfütterungen, ohnehin verboten, sind das Schlaraffenland für Ratten. Dazu sagt Kai Wetzel vom Unternehmen ASS: „Das stimmt. Trotzdem sitzt das Problem tiefer. Vor allem Ratten sind unglaublich intelligente Tiere. Unsere Bekämpfung ist für sie lächerlich.“ Ein großes Problem sieht Wetzel auch in Neubauten: „Da bleiben viele alte Rohre liegen. Die sind perfekt für Rattenfamilien.“ In New York sei das Problem dramatisch. „Vielleicht auch bald in München“, so Wetzel.

Wie kann sich München also am besten gegen Ratten und Kakerlaken wehren? Experte Wetzel hat einen Vorschlag: „Schluss mit den Ausschreibungen! Die Stadt muss in Zonen aufgeteilt werden. Jede Firma ist dann für eine zuständig und die Daten müssen zentral ausgewertet werden.“ Nur wenn die Stadt und alle Schädlingsbekämpfer zusammenarbeiten, könne man Herr über die Krabbeltiere werden.

 

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