"Die Mädchen bedeuten mir alles"

Das sagt der alleinerziehende Vater Thomas D. über seine Töchter Maya und Cayenne. Wie das Familienleben zu dritt funktioniert, was aus der Mutter wurde – und warum jetzt die Unterstützung der AZ-Leser gefragt ist
Sein altes Leben endete, als er einen fremden, fast nackten Mann in seiner Stuttgarter Wohnung antraf. „Wer bist’n du?”, fragte der nur mit Unterhose bekleidete Typ. „Wie bist du hier reingekommen?”
Freunde hatten Thomas D. vorgewarnt. Sie hätten seine Lebensgefährtin, die Mutter seiner beiden Töchter, mit einem anderen Mann gesehen, erzählten sie ihm am Telefon. Thomas D., der beim Sicherheitsdienst der Deutschen Bahn arbeitet, war damals gerade nach München versetzt worden. Die Familie sollte eigentlich bald nachkommen. Seine Freundin und er hatten sich gemeinsam eine große Wohnung in Mühldorf gesucht – weil sie in München nichts Familiengerechtes fanden. Und jetzt das.
Thomas D. packte rasch ein paar Sachen zusammen und nahm seine ältere Tochter mit – Maya, damals drei Jahre alt, ein echtes Papa-Mädchen. Er brachte sie zu seinen Eltern. Die jüngere Tochter, Cayenne (2), und das Kind, das seine Lebensgefährtin mit in die Beziehung gebracht hatte, ließ er erstmal in Stuttgart bei der Mutter.
Das ganze bisherige Leben – ein Trümmerfeld. Nichts hatte mehr eine Ordnung. Wie sollte das gehen? Als alleinerziehender Vater, der immer nur Nachtschichten schob?
Dann, zweieinhalb Monate nach dem Zusammentreffen mit dem Fremden im Flur, machte ein Anruf alles noch komplizierter. Jemand vom Jugendamt war dran und erklärte: Sie hatten auch die anderen beiden Mädchen aus der Wohnung geholt. Seine Ex-Freundin war offenkundig nicht in der Lage, sich um sie zu kümmern. Jetzt waren die jeweiligen Väter gefragt.
Doch für Thomas D. war klar: Er allein mit seinen beiden Mädchen, das würde nicht funktionieren. „Cayenne war damals so krankheitsanfällig”, erzählt er. Also entschloss er sich, die Kleine in eine Pflegefamilie zu geben – und erst einmal ein neues Leben für sich und die ältere Tochter aufzubauen. Eine schwere, schmerzhafte Entscheidung. „Aber ich konnte sie einfach nicht nehmen.”
Die Vorbereitungen für das Leben als alleinerziehender Vater begannen: Thomas D. kündigte die große Wohnung in Mühldorf und fand eine neue Bleibe im Münchner Norden. Die kleine Maya blieb in der ersten Zeit noch bei seinen Eltern in Cottbus. Er musste zuerst einen Kindergartenplatz organisieren.
Das größte Problem aber war sein Job. Bisher hatte er nachts gearbeitet, hatte die Depots der S-Bahn überwacht. Keine kinderkompatible Arbeitszeit. Und die späteste Frühschicht fing bereits um 7 Uhr morgens an – so früh hatte der Kindergarten aber noch nicht auf. Als er seinem Chef die Lage schilderte, sagte der bloß: „Dann erfinden wir eben eine neue Schicht.” Thomas D.’s Arbeitstag fängt seither einfach etwas später an. „Ich saß da und habe geheult”, erinnert er sich an das Gespräch. „Mit so viel Entgegenkommen hätte ich nie gerechnet.”
Das alles ist jetzt sechs Jahre her. Der heute 40-Jährige schildert die schwierigen, chaotischen Zeiten so, als wären sie in einem ganz anderen Leben gewesen. Aus und vorbei. Eine Distanz, die wohl nur gut tun kann. Was für ihn zählt ist das Jetzt.
Und jetzt, während er all das erzählt, kichern seine zwei Töchter im Nebenzimmer um die Wette. Vor drei Jahren hat er nämlich doch auch die kleine Cayenne zu sich genommen. „Es war, als wären die beiden Mädchen nie getrennt gewesen”, erzählt der Papa, der inzwischen das alleinige Sorgerecht für seine Töchter zugesprochen bekommen hat. „Die Mädchen bedeuten mir alles. Es geht nicht mehr ohne.”
Zu ihrer Mutter haben die inzwischen neun und acht Jahre alten Grundschülerinnen heute keinen Kontakt mehr. Wohl aber zu Cayennes früherer Pflegefamilie. Fehlt ihnen eine Mama? „Oh ja”, gibt der Vater offen zu. Wenn sie eine fremde Frau kennenlernten, wären die Kinder rasch auf sie fixiert. „Sie haben aber irgendwann aufgehört, nach ihrer eigenen Mutter zu fragen”, sagt der Vater, der seinen vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen mag.
Das Familienleben zu dritt hat sich gut eingespielt. „Die Mädchen machen es mir sehr einfach”, erzählt er. Sie würden zum Beispiel freiwillig im Haushalt mithelfen. „Und morgens ist sogar der Frühstückstisch meistens schon gedeckt.” Jeden Tag nach der Arbeit holt Thomas D. seine Töchter aus dem Hort. Nur in den Sommerferien sind sie immer ein paar Wochen bei ihren Großeltern – damit der Vater Minusstunden, die bei der Arbeit manchmal auflaufen, reinarbeiten kann. Spätestens nach ein paar Tagen kommt die Sehnsucht: „Wenn die Kinder weg sind, fehlt was.”
Wer sieht, wie die Mädchen mit ihrem Vater toben, mit ihm schmusen oder auch nur um eine Fernseh-Erlaubnis feilschen, merkt selbst: Die drei lassen sich nicht mehr trennen.
An einem Punkt aber hakt es bei der Familie: Das Geld ist knapp. Thomas D. verdient netto gerade mal 1300 Euro. Vor drei Jahren musste er außerdem Privatinsolvenz anmelden. Seine Ex, so erzählt er, habe mit seiner Kundennummer zig Bestellungen bei Versandhäusern getätigt. Als die Mahnungen bei ihm eintrudelten, habe er einen gewaltigen Fehler gemacht – und sie schlicht ignoriert. „Da habe ich wirklich Mist gebaut, denn so bin ich auf den Schulden sitzengeblieben.”
Wenn bei den Mädchen Schulausflüge anstehen, wenn wie jetzt der Kauf neuer Winterklamotten fällig ist oder das alte Sofa ersetzt werden müsste, weiß Thomas D. sich selbst nicht zu helfen. Familien-Besuche in den Zoo oder Zirkus? Ein Luxus, der nicht drin ist (siehe Spenden-Kasten unten).
Im vorigen Jahr haben ihm die dauernden Geldsorgen und auch die Doppelbelastung als berufstätiger Papa so zugesetzt, dass er kurzzeitig ins Krankenhaus musste. Verdacht auf Herzinfarkt, hieß es zuerst. Doch dann stellte sich heraus: „Ich war erschöpft, ausgebrannt”, erzählt Thomas D. Manchmal, da sei es als Alleinerziehender schon recht anstrengend. Wobei er gleich hinzufügt: „Da kann jede alleinerziehende Mutter mitreden.”
Auch seine beiden Kinder haben gesundheitliche Probleme: Sie leiden an einer Hausstaub-Allergie. Manchmal kratzen sie sich so heftig, dass ihre Haut ganz rot ist und sogar blutet.
In den Pfingstferien 2010 ging Thomas D. mit seinen Mädchen in eine, nun ja, Mutter-Kind-Kur. Eine interessante Erfahrung: „Da waren 100 Frauen und zwei Männer.” Sie hätten ihn aber gleich als ihresgleichen behandelt.
Problematischer ist da schon die Suche nach einer neuen Freundin. Die Internetbekanntschaften würden oft nicht ernst nehmen, wenn er ihnen offenbaren würde, dass er sich allein um seine Kinder kümmert – und wären dann, beim ersten Treffen, vor den Kopf gestoßen. „Sie können sich einfach nicht vorstellen, dass ich nicht bloß ein Wochenendvater bin.” Dabei würde er genau das nie sein wollen. „Ohne meine Mädchen wär’ mein Leben leer.”