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"Die Leute können nicht glauben, was für einen Job ich habe": Wo diese Münchnerin anpackt

Der Rangierbahnhof Nord in München ist Bayerns wichtigster Knoten für den Güterverkehr. Die AZ hat eine Frau besucht, die die Riesenzüge im Griff hat.
Eva von Steinburg
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Die Gleisharfe auf dem Rangierbahnhof. Hier hat sich eine besondere Flora entwickelt. Es gibt sogar mediterrane Pflanzen.
Die Gleisharfe auf dem Rangierbahnhof. Hier hat sich eine besondere Flora entwickelt. Es gibt sogar mediterrane Pflanzen. © Bernd Wackerbauer

München - Diese Frau packt an: Maria Landa ist von Beruf Lokführerin. Die junge Frau hat metallic-blau lackierte Fingernägel, Pferdeschwanz – und eine souveräne Ausstrahlung. Die 29-Jährige fährt Güterzüge – und hat eine Menge Kraft. Am Rangierbahnhof München-Nord zerlegen Rangierer jeden Tag die eingetroffenen 740 Meter langen Züge: Waggon für Waggon wird mit der Hand entkoppelt. Seit ihrer Ausbildung bei der Deutschen Bahn fällt Landa diese schwere Handarbeit leicht.

Maria Landa muss zum Entkoppeln einen 20-Kilo-Bügel aus einem Eisenhaken wuchten. Danach den Bajonettverschluss der Luftschläuche für die Zug-Bremsen aufhaken. Die AZ-Reporterin macht einen Selbstversuch beim Koppeln: Erst im vierten Anlauf klappt es, zwei Wagen im Gleis zusammenzukoppeln. Und anstrengend ist es auch.

Rangierbahnhof Nord in München: Güterzüge sollen intelligenter und leistungsfähiger werden

Einen 20-Kilo-Bügel zu führen braucht Muskelkraft und Geschick. Zugleich ist es ein Gefühl von Macht, schweres Eisen an schweres Eisen zu hängen. Danach sind die Handschuhe schmutzig, die Leuchtjacke verschmiert.

Florian Zölch, Leiter des Rangierbahnhofs München-Nord erklärt: "In Zukunft soll bei der DB Cargo die Digitale Automatische Kopplung zum Einsatz kommen. Sie macht Güterzüge intelligenter und leistungsfähiger." Und weiter: "Dann wird es endgültig vorbei sein mit dem Cargo-Image von alt, laut und rostig."

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Der Güterbahnhof in München ist die wichtigste Drehscheibe in Bayern

Die Zeichen stehen auf Veränderung am großen Münchner Cargo-Bahnhof im Norden. Das Areal liegt versteckt in einer Senke zwischen Allach und Fasanerie. Von der Dachauer Brücke in Ludwigsfeld erahnt man die Größe. Das grüne Gelände mit den Gleisen ist 450 Meter breit und sechs Kilometer lang. Anwohner lieben die Natur mit ihren goldenen Blättern: Am Bahndamm geht eine Frau mit zwei Hunden spazieren. Ein Teil der Wege ist freigegeben für Radfahrer und Jogger.

Fabrikneue Autos, Eisenschrott, aber auch Müll, all das wird mit den Cargo-Zügen von München aus über den Brenner oder zurück gebracht.
Fabrikneue Autos, Eisenschrott, aber auch Müll, all das wird mit den Cargo-Zügen von München aus über den Brenner oder zurück gebracht. © Bernd Wackerbauer

Eine rote Lok zieht langsam drei Waggons mit Gefahrengut auf ein Gleis. Ist in dem Tank mit dem Flammenzeichen Benzin oder Chlor? Ungewiss, aber Entzündliches. Auf offene Waggons sind Buchenholzstämme und Baumaschinen geschnallt. Abends und nachts wird hier Volumen gewälzt: Der Rangierbahnhof München Nord ist Bayerns wichtigste Drehscheibe für fabrikneue Autos, Produkte der Chemieindustrie, Eisenschrott, Stahl, Getreide oder Hygieneartikel. Per Schiene gehen die meisten Güter von Allach über den Brenner nach Italien.

Sicherheit geht vor: Vor der Abfahrt kontrolliert die Eisenbahnerin ihre Lok 

Zugnummer und Gleis hat sie notiert: Mit Sicherheitsweste und Helm betritt Maria Landa – nach zwei Schulterblicken – den Gleisbereich. Sie sucht ihre Lok und schließt sie auf. Vor der Abfahrt am Verwaltungsbau, Ludwigsfelder Straße 95, läuft sie einmal um die Lok herum. "Das ist Vorschrift, wie in der Luftfahrt. Jeder Pilot geht vor Abflug einmal um sein Flugzeug", erklärt Rangierbahnhof-Mitarbeiter Andreas Schmid. "Alles okay! Die Maschine ist in Ordnung und betriebsbereit", erklärt Maria Landa. "Nur einmal habe ich etwas gefunden, ein Sandrohr war leicht verbogen", erinnert sich die junge Eisenbahnerin.

Maria Landa hat diese tonnenschwere Lok im Griff, sie mag es, schwere Fracht hinter sich zu haben, sagt die 29-Jährige zur AZ.
Maria Landa hat diese tonnenschwere Lok im Griff, sie mag es, schwere Fracht hinter sich zu haben, sagt die 29-Jährige zur AZ. © Bernd Wackerbauer

Sie sitzt vor Monitoren, bedient Hebel mit der Hand. In der Lok fällt ein Feuerlöscher auf, und eine Kehrschaufel. Normalerweise ist am Tablet-Computer der Fahrplan hinterlegt – und die Papiere für die Güter. Dokumente über Diesel-Ladungen, Flüssiggas oder Kerosin gibt es immer in Papierform – aus Vorsicht, damit die Feuerwehr bei einer Störung sofort den Inhalt der Waggons checken kann. "Sicherheit hat im Cargo-Betrieb oberste Priorität", sagt die Chefin über mehr als 7.000 PS.

"Vor den vielen PS habe ich Respekt, aber ich beherrsche die Lok", erklärt Maria Landa. Vor jeder Reise macht sie zwei Bremsproben: "Ich mag es, schwere Fracht hinter mir zu haben. Mir gefällt die Verantwortung." Ihre Zugmaschine kann 30 bis 40 Lkw-Trailer auf die Reise bringen. Das ist der entscheidende Vorteil der Bahn. Das System Schiene ist prädestiniert für den umweltfreundlichen Transport von schweren Gütern über weite Entfernungen. Ein Güterzug bringt 30 bis 40 Lkw weg von Straße und Autobahn.

Müll, Altkleider, Nudeln – all das wird hier transportiert

Die Räder greifen am Rangierbahnhof ineinander: "Mich fasziniert die Menge an Gewicht, die Tonnagen, die wir auf die Schiene bringen", meint Standortleiter Florian Zölch. Beim Frachtgut hat sich einiges getan: Lebendtransporte von Vieh macht die DB seit Jahren nicht. Dafür gibt es mehr Mülltransporte in grünen Tuben. "Das ist hochverdichteter Müll in speziellen Containern für ein Müllheizwerk in Burgkirchen", so Florian Zölch.

Metallschrott bringen Güterzüge von München bis zu den Mittelmeer-Häfen in Italien. Von dort aus geht es nach Afrika. Über Mülltransporte bis nach Asien, weiß man bei der DB nichts: "Wir sind nur der Transporteur. Für uns ist alles Fracht: Altkleider oder Plastikverpackungen, Waschmittel oder Nudeln", sagt ein Bahn-Mitarbeiter.

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Lokführerin: "Ich mag die Ruhe alleine in der Maschine"

Würde die Lok nach Modena oder Verona rollen, könnte sie 140 Stundenkilometer maximal erreichen. Doch die Lok mit der Abendzeitung bleibt am Allacher Rangierbahnhof: Gelbe und rosa Blümchen säumen die Gleise. Ein Bussard fliegt auf. Wechselkröte und Eidechsen fühlen sich hier wohl. Biologen haben am Bahndamm mediterrane Pflanzen gefunden. Im Löschteich ist das Wasser so sauber, dass darin Flusskrebse leben.

In der Ferne pfeift ein Güterzug. Lokführerin Maria Landa hat ihre rote Lok geparkt – und lächelt: "Die Leute können es oft nicht glauben, was für einen Job ich habe." Doch: "Ich mag die Ruhe alleine in der Maschine. Ich traue mir die Lok einfach zu", sagt sie selbstbewusst. Wer etwas übrig hat für Eisenbahnromantik: Neue Lokführer werden gesucht – auch am Allacher Rangierbahnhof. Die DB will den Anteil der Schiene am Güterverkehr bis 2030 von 18 auf 25 Prozent erhöhen.

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  • Judgechaos am 18.11.2023 23:44 Uhr / Bewertung:

    Noch kein Pöbler hier ? Ach so Samstag Abend, die Puls Klause ruft 😀

  • Sarah-Muc am 18.11.2023 12:14 Uhr / Bewertung:

    Klasse, die Frau ist super. Schön , mal was Positives zu lesen - und die Leute müssen auch entsprechend bezahlt werden. Die Bahn kann sich glücklich schätzen über solche Mitarbeiter.
    Und wenn die mal streiken wird man ja wohl für diese Zeit Lösungen finden. Wenn man kein
    Sturkopf ist.

  • Bluto am 18.11.2023 10:30 Uhr / Bewertung:

    Mir war nicht klar, dass Güterwaggons noch von Hand gekoppelt werden.
    Das finde ich erschreckend.
    Irgend jemand will offenbar tatsächlich nicht, dass die Bahn zur echten Konkurrenz für die Straße wird.
    Vielen Dank für den Artikel!

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