Die lange Nacht der Museen: Nacht-Eulen mit Muse

Impressionen aus einer langen Nacht: Ein gerupfter Vogel in der Landesbank, Kopflosesim Lenbachhaus-Kunstbau, Psychodelischesin der Paulskirche – und ein 10-Stunden-Film
Stehtische mit halb gefüllten Proseccogläsern. Hinter verhohlener Hand wird gekichert. Einige tuscheln oder reiben sich nachdenklich am Kinn. Der ,Birdman’ schüttelt seinen Käfig, weiße flauschige Federn wirbeln zu Boden. Er hebt ihn hoch, schüttelt ihn und wird immer energischer. Er zuckt, windet sich - und geht zu Boden. Stille. Applaus. Ein gerupfter Vogel am Boden - ausgerechnet in der Bayerischen Landesbank. Organisatorin Nina Matt hat das Spektakel genau beobachtet: „Viele Besucher sind schon richtig lange hier. Offenbar hat es sie sehr fasziniert.“
20000 Kunst- und Kulturliebhaber zogen am Samstag von 19 bis 2 Uhr durch rund 90 Museen, Galerien und Kirchen. Performance-Künstler Hans Langner (45) alias ,Birdman’ war Teil dieser Langen Nacht der Münchner Museen.
Ob Malerei oder Fotografie, laufende Ausstellung oder Aktionskunst: Neben den großen Häusern wie Deutsches Museum und den Pinakotheken nahmen auch viele kleine Institutionen und Galerien teil. Erstmals in diesem Jahr dabei und deswegen heiß begehrt: das Museum Brandhorst. Letztes Jahr noch im Rohbau - heuer gab es die Werke von Warhol, Hirst und West zu besichtigen. 4323 Kunstbegeisterte spazierten an dem Abend durch die Hallen des Museums. Lange Schlangen vor der Kasse und auf der Straße waren da nicht zu vermeiden.
Zwei Stühle auf einem Kreisel in Schweinchenrosa oder kopflose Figuren mit quadratischen Körpern auf hochpoliertem Parkett: Ein Anziehungsmagnet war auch die neue Ausstellung von Erwin Wurm im Lenbachhaus-Kunstbau. 217 Besucher wurden allein in den ersten 30 Minuten gezählt. Mehr als 100 durften aus Sicherheitsgründen nicht hinein in den Bau. Das Kunstwerk der aufgerichteten Gewürzgurke wäre sonst womöglich in einem unbedachten Moment zerstört worden. Miriam Steiner gefällt’s. Die 22-Jährige erklärt das mit einem Augenzwinkern so: „Der Erwin ist schließlich Österreicher - genau wie ich“.
Nicht lustig und skurril, sondern ruhig, andächtig und melancholisch: So lässt sich die Stimmung an diesem Abend in der St. Paul’s Kirche vielleicht am besten beschreiben. Der Raum verdunkelt sich, nur das Flackern der Kerzen ist zu sehen. Die Musik ebbt ab, verstummt dann ganz. Ein Moment der absoluten Stille. Bis die Kirchenbögen in gleißend rotem Licht erstrahlen, sanft ins Gelbe wechseln - und auch die Orgelklänge werden immer heller. Die Holzbänke sind um 21 Uhr gut gefüllt. Paare schmiegen sich aneinander. Einige knien und beten. Andere blicken in die Opferkerzen, die vor dem Altar in einem Halbkreis erleuchten - und Teil der Lichtinstallation „Überfließende Himmel" von Stefan Knor sind.
Die hartgesottenen Museennacht-Freunde trotzen der Kälte, mummeln sich dick ein und ziehen weiter. Die alten Holzdielen des Hotels Mariandl am Beethovenplatz knarren. Zersägte Straßenschilder hängen im Treppenhaus. „Zimmer Frei" heißt das Kunstprojekt, das hier bereits seit 2000 regelmäßig stattfindet.
Der Hotelbetrieb liegt lahm. Künstler haben die Zimmer neu gestaltet. Doris Day ertönt aus dem einen. Fransen-BHs aus Glaskugeln hängen an den Wänden. Ein Hauch 50er Jahre liegt in der Luft.
Wissenschaftlich und interaktiv: In der Ausstellung „Milestones“ im Siemens-Forum erklärt Kuratorin Ute Böhme interessierten Besuchern erst den Zeigertelegraf, dann den Quecksilberdampf-Stromrichter. Per Knopfdruck verwandelt sich das Gebilde in eine Leuchtdiode. „Eins meiner Lieblingsexponate“, verrät Ute Böhm. Und dem Andrang nach zu urteilen, geht es den meisten Besuchern wie ihr.
Kurz nach Mitternacht. Ein Museum geht noch. Klares Muss: die Ausstellung „So sorry" des Chinesen Ai Weiwei im Haus der Kunst. Besucher wandeln durch ein Geflecht aus Tieli Hölzern von demontierten Tempeln der Qing Dynastie. Ein Film zeigt den Chang’an Boulevard Abschnitt für Abschnitt . 10 Stunden und 13 Minuten lang. Hinsetzen und ausruhen.
Sylvia Petersen