Die Karawane der Drogen
MÜNCHEN - Hauptbahnhof, Harthof, Orleans-Platz, Schwabing und jetzt offenbar das Sendlinger Tor: Wie die Rauschgiftszene seit den 80ern wandert – und wie die Polizei darauf reagiert
Die Polizei kommt, die Karawane zieht weiter – so läuft das Katz- und Mausspiel zwischen Münchner Drogendealern und Polizisten seit 20 Jahren. Ab Anfang der 90er wanderten Junkies, Kiffer und Verkäufer von Brennpunkt zu Brennpunkt – bis die Polizei sie wieder vertrieb. Jetzt ist das Sendlinger Tor in Verruf geraten.
Die Gegend, zu der Drogenfahnder auch Nussbaumpark, Klinikviertel, Hackenviertel und die Agip-Tankstelle in der Herzog-Wilhelm-Straße zählen, ist laut dem stellvertretenden Leiter des Drogendezernats, Hubert Halemba, aber noch lange keine Szene.
Und schon gar kein Brennpunkt: „Dort stehen kranke Menschen herum, die pöbeln und Leuten Angst machen“, sagt Halemba. Ein Handel mit Heroin oder anderen harten Drogen fände nicht statt.
Das Angebot folgt der Nachfrage
Noch nicht – Münchens Kreuz mit den Drogen folgt nämlich einem Muster: „Das Angebot folgt der Nachfrage“, sagt Halemba. Viele Süchtige sind dort, wo sie Hilfe bekommen: etwa bei einer der sieben Methadonausgabestellen, von denen eine am Sendlinger Tor liegt, oder Kontaktstellen und Arztpraxen. Dealer tauchen früher oder später auch auf. „Das Sendlinger Tor überwachen wir durch Zivilbeamte“, sagt Halemba. Kommt es dort zu „Drogenkriminalität“, schreitet die Polizei ein.
Das ist seit 20 Jahren die Strategie in der Schlacht gegen Drogen: „Wir wollen eine Verfestigung der Szene auf jeden Fall vermeiden“, sagt Halemba, der seit 1984 als Drogenfahnder arbeitet. Hat sich eine Szene mit festen Handelsstrukturen etabliert, kriegt die Polizei sie nur sehr schwer wieder weg – Halemba denkt an Zürich, den Berliner Bahnhof Zoo oder die Marihuana-Szene am Monopteros Ende der 80er. Dort brauchte die Polizei ganze zehn Jahre, um aufzuräumen. „Wir haben sogar die Reiterstaffel eingesetzt.“
Heute sind solche Zeiten vorbei. Wer Marihuana kaufen will, muss einen Dealer kennen.
„Sie können nicht einfach in den Park gehen.“ Auch harte Drogen werden laut Halemba in privaten Wohnungen verkauft.
Früher war das anders – da konnten Münchner ihre Drogen auf offener Straße kaufen. Eine kleine Chronologie der Rauschgiftszenen:
Ende der 80er:
Heroin und Kokain werden in Wohnungen verkauft – nur im Englischen Garten ist Marihuana leicht zu bekommen.
1990-1993:
Kosovo-Albaner organisieren den Handel harter Drogen rund um den Hauptbahnhof. Schwarzafrikaner warten an S- und U-Bahn–Stationen wie am Marienplatz auf Kunden. Dann steigen sie gemeinsam in die U-Bahn und fahren zu einem Treffpunkt außerhalb der Innenstadt.
Besonders beliebt ist der Norden, etwa die Gegend um die Haltestelle Harthof. Dort werden die Drogen verkauft. „Das war schwer zu observieren“, sagt Hubert Halemba, „wir brauchten sehr viele Leute – und sie konnten uns leicht abschütteln.“
1993-1995:
Der Handel mit Artzney wie Valium und Morphium blüht an der Ecke Giselastraße/Leopoldstraße. Am Seehaus-Kiosk in der Nähe des Kleinhesseloher Sees trifft sich die „Saftszene“: Codein-Abhängige, die Hustensaft als Heroin-Ersatz trinken. „Bei schönem Wetter standen da 70 bis 80 Leute“, erzählt Halemba.
1995-2000:
Am Orleansplatz in Haidhausen kommen Junkies aus Rosenheim, Traunstein oder Miesbach per Zug am Ostbahnhof an. Außerdem steht ein großer Kontaktladen, in dem viele Süchtige medizinische Betreuung, ein Bett oder Methadon bekommen. Irgendwann tauchen auch die Dealer auf.
2002/2003:
Wieder Handel mit Heroin am Hauptbahnhof und in der Landwehrstraße beim Kontaktladen L23.
2003 bis heute:
Dealer ziehen sich wieder in Wohnungen zurück. Die Polizei versucht, sie mit V-Männern, Informanten und Überwachungen zu erwischen.
An Party-Punkten wie dem Maximiliansplatz oder der Kultfabrik werden Händler ihre Partydrogen wie Amphetamine („Speed“), Kokain oder Pillen („Ecstasy“) los. Die verschwinden an Ort und Stelle – in den gierigen Rachen oder Nasen der Nachtschwärmer.
Thomas Gautier
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