"Die Intensität hat sich gesteigert": Straftäter in München werden immer jünger

München - Eine Gruppe Jugendliche quält und tyrannisiert über mehrere Stunden hinweg zwei Schülerinnen in Bogenhausen. Längst kein Einzelfall mehr. Jugendtypische Gewalttaten nehmen stark zu: Schlägereien, Überfälle, räuberische Erpressung, Diebstahl, Vandalismus.
Die Tatorte sind über das gesamte Stadtgebiet verteilt – Pasing, die Messestadt Riem, am Stachus oder auch im Englischen Garten. Auffallend viele Delikte werden von Intensivtätern begangen, manche sind gerade mal 14 Jahre alt und füllen mit ihren Straftaten trotzdem schon ganze Aktenordner.

Früher galten Täter, die gegen den Kopf traten als Ausnahme in München
"Die Intensität hat sich gesteigert", stellt Franz Gierschik fest, der als Oberstaatsanwalt die zuständige Abteilung für Jugendkriminalität leitet. Als er vor fast 20 Jahren anfing, galten Täter, die auf ein am Boden liegendes Opfer eintraten, noch als besonders brutale Ausnahmeerscheinung. "Die Zustände von damals wünscht man sich beinahe zurück", sagt Gierschick, "mittlerweile gehen die mit Macheten aufeinander los". Man könne "die Dinger für 18 Euro im Baumarkt bekommen".
Der Unterschied zu früheren Zeiten sei, so Gierschik, "dass unsere Jugendlichen halt schlicht und einfach bewaffnet sind". Sie haben nach Beobachtungen von Polizei und Staatsanwaltschaft immer häufiger Messer dabei, die auch eingesetzt werden. Die mutmaßlichen Täter sind nahezu immer männliche Jugendliche - zu 95 Prozent sind es junge Burschen, mancher offenbar im Testosteronrausch.
Mädchen spielen in der Münchner Statistik kaum eine Rolle – mit Ausnahmen
Mädchen spielen laut Statistik kaum oder nur sehr selten eine Rolle. Doch es gibt Ausnahmen: So wie eine 14-jährige Schülerin, die zusammen mit vier Freunden, der älteste ist 17, zwei zwölf und 15 Jahre alte Mädchen in Bogenhausen über drei Stunden mit Schlägen und Tritten attackierten, mit einem Messer bedrohten und ausraubten.
"Solche Fälle wühlen auf", sagte Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) am Freitag bei einem Besuch bei der Staatsanwaltschaft München I, weil "man fassungslos zuschauen muss, wie Jugendliche andere Jugendliche erpressen, ausrauben und Gewalt ausüben".

Woran es liegt, dass Jugendliche immer öfter zu schwerer Gewalt bereit zu sein scheinen, darüber rätseln auch die Ermittler. Erklärungsversuche gibt es etliche. "Die Corona-Pandemie war natürlich ein Einschnitt. Das war für die Jugendlichen sehr belastend", sagt eine Staatsanwältin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, weil sie es mit besonders gefährlichen jungen Intensivtätern zu tun hat.
Die Juristin spricht auch von "ungesunden Gruppendynamiken", von Gewalt unter jungen Menschen, die sich in der Gruppe gegenseitig anfeuern und aufstacheln. Aber auch von Jugendlichen, die viel Zeit im Internet auf (sozialen) Medien, in verschiedenen Foren und in Chats verbringen.
Die Zahl der Tatverdächtigen in München ist um 6,1 Prozent gestiegen
Laut dem aktuellen Sicherheitsreport des Polizeipräsidiums ist die Zahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren in 2022 in München im Vergleich zum Vorjahr um 6,1 Prozent auf 8533 gestiegen. Erheblich nahm die Anzahl der tatverdächtigen Kinder unter 14 Jahren zu: Sie stieg um fast 28 Prozent.
Laut Oberstaatsanwalt Franz Gierschik bearbeitete seine Abteilung 2023 alleine im ersten Quartal 100 Fälle von Raub und räuberischer Erpressung. Immer häufiger werde dabei auch Untersuchungshaft gegen Tatverdächtige verhängt, die jünger als 16 Jahre sind. In früheren Jahren war das die absolute Ausnahme. Der Anteil gravierender Delikte wie Raub oder räuberische Erpressung steige. 2023 werde neue Rekorde bringen, befürchten Experten.
Intensivtäter und Jugendgruppen sind in München auf dem Vormarsch
Die Ermittler sehen Delikte von Intensivtätern und Jugendgruppen klar auf dem Vormarsch. "Der Großteil schwerer und wiederholter Taten wird vorwiegend durch eine kleine Gruppe von Intensivtätern verübt", sagte Justizminister Eisenreich. Manche Tatverdächtige haben bereits mit zwölf oder 13 Jahren so viel auf dem Kerbholz, dass sie an ihrem 14. Geburtstag als Intensivtäter in die "Propergruppe" aufgenommen werden.
Weil es immer mehr Fälle von Jugendgewalt gibt, fordert Eisenreich längere Jugendarrest-Zeiten. Bislang kann ein solcher Arrest für höchstens vier Wochen verhängt werden. "Das ist aus unserer Sicht zu kurz", sagte Eisenreich und spricht sich als Höchstmaß für drei Monate Jugendarrest aus. Der Forderung nach einer Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters schließt sich der Minister nicht an.