Die Herbstdult in Zeiten des Coronavirus

München - Die Schlange der Wartenden vor dem Eingang zieht sich an diesem grauen, wolkenverhangenen Sonntagmorgen stolze 200 Meter lang bis hinter an die Ohlmüllerstraße. Die Vorfreude ist spürbar. Endlich wieder durch die Gassen der Bretterbuden flanieren, nach Schnäppchen suchen, eine Bratwurst oder einen Kaiserschmarrn verputzen, endlich wieder Karussell, Büchsenwerfen und Schießbude - endlich wieder Dult. Im Jahr der abgesagten Volksfeste keine Selbstverständlichkeit.
Aber natürlich ist in Zeiten des Virus vieles anders als sonst. Das fängt damit an, dass nicht mehr als 500 Menschen gleichzeitig aufs Dultgelände im Schatten der eingerüsteten Mariahilfkirche gelassen werden. An Ein- und Ausgang stehen Lichtschranken, die das kontrollieren. Wenn die 500 erreicht ist, leuchtet ein rotes Licht am Eingang auf. Erst wenn dieses erlöscht, weil jemand das Gelände wieder verlassen hat, darf der nächste rein.
Einmal drin, gilt eine strenge - von Sicherheitsleuten kontrollierte - Masken- und Abstandspflicht. Das scheint aber niemanden zu stören. Am Bio-Bratwürstl-Standl von Jürgen Braren (62) - gleich gegenüber vom Kettenkarussell - kauft ein Papa seinen Kindern Würstl. Zum Essen am Stand darf die Familie die Masken absetzen. Der Papa muss aber dafür einen Zettel mit seinen Kontaktdaten ausfüllen.
Alle Händler beklagen starke Umsatzrückgänge
Braren ist einer von 140 nach einem Punktesystem ausgewählten Standbetreiber. Normalerweise werden doppelt so viele zugelassen. Das Resultat hat durchaus angenehme Seiten. Der Abstand der Besucher voneinander kann meist mühelos eingehalten werden, auch die Standl stehen weiter auseinander, kein Gedränge und Geschiebe, so wie es in normalen Zeiten auf der Dult hergegangen ist.

Die reduzierte Zahl der Besucher hat aber auch negative Konsequenzen. Alle Händler beklagen starke Umsatzrückgänge. Mindestens ein Drittel, sagen sie. Bei manchen beträgt das Minus auch die Hälfte oder sogar zwei Drittel bislang.
"Die Stammkunden sind alle gekommen"
Auch die Goldschmiedin und Künstlerin Ingrid Weber, die hier ihren Designerschmuck verkauft, muss herbe Verluste einstecken und ist doch froh, lacht der Maske zum Trotze ansteckend. "Die Stammkunden sind alle gekommen", berichtet sie vom ersten Dulttag. Und wirkt dabei regelrecht gerührt.

Das bestätigen auch die Socken-, Masken- und Trachtenverkäufer Willi (43) und Renate Stey (44): "Dass die Stammkunden gekommen sind, ist das Allerwichtigste."
So wie die Besucherin aus Unterschleißheim, die bei ihrem Stammstandl zugeschlagen hat: "Ich hab' mich wieder wie gewohnt mit Messern von der Dult versorgt."
Corona-Dult-Experiment: "Ein Zeichen der Hoffnung"
Die Stadt hat aufgrund der Corona-Umstände die Standgebühren erlassen, nur der Standaufbau kostet, berichtet Marktleiter Hans Spindler. Mussten Maskenmuffel rausgeschmissen werden? "Nein, die Leute sind vernünftig", resümiert Spindler den ersten Dult-Tag.
Trotz der Verluste ist die Stimmung unter den Händlern gut. Klaus Zimmermann (66) und Monika Schneider (67) verkaufen Portemonnaies. "Das Oktoberfest ist für uns ausgefallen." Dass die Dult stattfindet, ist für sie daher ein Zeichen der Hoffnung: "Wir freuen uns riesig."

Nach ein paar Minuten reißt der Himmel auf, die Sonne kommt heraus. Und tut damit das Ihrige, auf dass das Corona-Dult-Experiment (noch bis 25. Oktober) gelinge.