Die AZ-Debatte: Wird München immer hässlicher?
Mit der Kritik an der „Schuhschachtel-Architektur“ in München sprechen wir vielen Menschen aus der Seele. Die AZ-Leser klagen über „Käfighaltung“ und „Steinquader-Wüsten“. Die Diskussion, ein Interview mit einem Architekten.
München - Lesen Sie untenstehend eine kleine Auswahl aus den vielen Briefen und mehr als hundert Onlinekommentaren, die die AZ-Redaktion seit dem Wochenende erreicht haben.
Über den Zaun
Danke für Ihren treffenden Schuhschachtel-Blues. Aber wenn für eine 145-Quadratmeter-Parzelle in einer Schuhschachtel 1,42 Millionen Euro bezahlt werden, wie in der Nymphenburger Straße, ist es kein Wunder, dass die Käfighaltung in München überhand nimmt. Eine Stadtrundfahrt durch Barcelona beispielsweise verzaubert mit Architektur-Highlights im Minutentakt. Und München? Verzaubert mit dem ADAC-Hochhaus. Lieber neuer OB der Weltstadt München, bitte schauen Sie in Ihren Ferien auch mal über den Zaun und fliegen Sie nicht immer nur nach Mykonos.
Manfred Fischer
Der Inhalt ist wichtig
Nicht die Schuhschachtel ist wichtig, sondern der Inhalt. Der „Schuh“ muss passen. Was die Bewohner aus der jeweiligen Siedlung machen, indem sie ihre Balkone bunt bepflanzen, die Gärten verschieden gestalten usw. – das wird dann individuell. Wenn ich in meine Wohnung komme, ist mir die Mauer drumherum egal. My home is my castle. Hatte nicht jedes Jahrhundert, jedes Jahrzehnt einen Baustil, der unverwechselbar zuzuordnen ist? Gehen Sie durch alte Siedlungen, dann können Sie genau sehen: aha 30er Jahre, 70er Jahre usw.
Irene Lory
Dritte Zerstörung
Ihr Autor hat ja sowas von recht. Da fällt mir nur ein, frei nach Erwin Schleich: „Die dritte Zerstörung Münchens.“ Als geborene Münchnerin, die sich aus beruflichen Gründen und hobbymäßig mit Geschichte, Kunstgeschichte, Handwerk und Architektur beschäftigt, ist das einfach nur grauenvoll. Es geht nur um Gewinnmaximierung, auch bei den Architekten, denn man entwirft einmal so ein Gebäude und kann das dann beliebig, ohne viel Kostenaufwand, variieren.
Angela Häfele
Lesen Sie hier: Der Triumph der Schuhschachtel - eine Polemik
Den Mund aufmachen
Als alter (85 Jahre) Münchner verfolge ich diesen Trend zur Verschandelung unserer Stadt seit langem und bin froh darüber, dass sich mal einer traut, den Mund aufzumachen: wie im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“.
A. Süss
Ohne Charme
Sie haben mir aus der Seele gesprochen. Hinter unserem Wohnhaus entstehen derzeit auch solche Schuhschachteln. Und oberhalb der S-Bahn-Station Mittersendling, Luftlinie 200 Meter, gibt es diese Schachteln bereits seit kurzem. Überteuerte Eigentumswohnungen ohne Charme und Pep. Mir ein Rätsel, wie man da wohnen mag. Schade, dass offensichtlich keine Architekten in München mehr zum Zuge kommen, die mutigere und (menschen-)freundlichere Entwürfe anbieten (etwa Richtung Hundertwasser).
Dagmar Fischer
Bleiben Sie dran!
Im Münchner Westen, wo ich wohne, ist ein neues „preisgekröntes Schuhschachtelviertel“ in Planung: Freiham. Die wunderbaren Anfänge des ach so tollen Stadtteils sind bereits südlich der S- Bahn zu bewundern. Einfallsloser geht es nicht mehr. Liebe AZ und Herr Makowsky, bleiben Sie dran. Es geht nicht nur um die Wohnungsnot, von der sie täglich schreiben, die auch, wenn wir alles zubauen, nicht kleiner werden wird, sondern um die Lebensqualität von uns allen.
Angelika Weinzierl
Ein Armutszeugnis
Ein ganz großes Dankeschön. Wie armselig unsere Architektur ist, kann ich nur bestätigen. Wird denn an der Uni nichts anderes mehr gelehrt? Wo bleibt der goldene Schnitt? Wo sind gute Ideen? Im 21. Jahrhundert, mit den Möglichkeiten der heutigen Technik, stellt sich diese Gilde ein Armutszeugnis aus. Der Plattenbau lebe hoch. Sehr, sehr arm.
Ingrid Reslar
Kein Geschmack
Ich stimme Ihrem Artikel voll zu. Ich mag schon gar nicht mehr in die Innenstadt fahren, da alle Neubauten nur noch nüchterne Kästen mit viel Glas sind. Aber es ist leider am Stadtrand auch nicht anders. Ich wohne in Obermenzing und stelle beim Spazieren gehen fest, dass die schönen alten Häuser mit Giebeldach abgerissen werden und neue Flachdach-Bunker entstehen. Da fragt man sich schon, ob die jungen Leute gar keinen Geschmack mehr haben.
Roswitha Heller
Schrecklich
Was werden unsere Nachkommen denken, wenn nur noch Beton, Glas und Metall das Stadtbild prägen? Die vielen Fremden kommen doch wegen der schönen alten Bauten oder gelungener, formschöner Neubauten in unsere Stadt. Aber Schuld tragen doch die Behörden – wer auch immer – die diese schrecklichen „Schuhschachteln“ genehmigt haben. Unser OB wohnt ja auch lieber im schönen Schwabing, wo noch gemütliche Häuser stehen. Hoffentlich ändert sich bald etwas, bevor es zu spät ist! Machen Sie weiter so!
Roswitha Kolb
Depri-Grau
Billig, fad und einfallslos. Hinter der Neumünchner Architektur steckt doch bestimmt ein geschickter Werbefeldzug der Psychotherapeuten. Bei so viel Deprigrau, gedecktem Einheitsweiß, und verschwimmendem Hornhautocker kann man nicht gesund und gut gelaunt wohnen und leben. Da freut man sich schon fast über ein lustiges, auflockerndes Graffiti an den Wänden. Warum ist so eine Konstruktion nicht mal lila, rot, hellblau oder grün? Ach ja, da kommen dann die Beamten, verängstigten Langweiler mit verstaubten Vorschriften und verordnen München noch mehr Ödnis. Traurig, oder nicht?
Klaus Dränle
Prädestiniert
Ein toller und zutreffender Bericht. Gerade die Bewohner der Welfenhöfe sind doch für Depressionen geradezu prädestiniert.
Uwe Müller
Keine Ausreden mehr
Es macht einfach keinen Spaß, durch solch uninspirierte Steinquader-Wüsten zu laufen, geschweige denn, sich gemütlich in ein Café zu setzen und darauf schauen zu müssen, wie zum Beispiel in den Riemarcaden. Was der DDR die Plattenbauten, die vom Westen naserümpfend als phantasielose und hässliche Alltags- und Gebrauchsarchitektur verunglimpft wurden, sind uns jetzt diese schrecklichen Verfehlungen! Nur gibt es jetzt und hier keine Ausreden mehr: Wir hätten nämlich das Geld, das Material, die Stararchitekten und Gremien, die sowas genehmigen „dürfen“ – wir haben ja Demokratie und Gewaltenteilung!
Claudia Bleistein
Lesen Sie hier: Warum ist Mänchen so langweilig? - Ein Interview mit Architekt Peter Ebner
Bitte Folgeartikel
Was noch zu erwähnen wäre, ist das neue „Stadtviertel“ Südseite, in Obersendling. Schachtel an Schachtel. Die neuen Wohntürme, mit aller Gewalt so schnell wie möglich gebaut, und nun kann man nicht einziehen, weil sie durchnässt sind. Bitte schreiben Sie doch noch einen Folgeartikel: Es gibt noch viel mehr solcher Gebäude und Projekte für die Zukunft.
Marco Raffeck
Im Jugendstil?
Was ist eigentlich so übel an Schuhschachteln? Ganze Areale Münchens stehen noch herum im Charme des Wiederaufbaus der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Ein paar Schuhschachteln drum herum könnten schon einiges davon verdecken. Gut, im 19. Jahrhundert, da hatten wir Historismus und Jugendstil. Aber Bayernkaserne im Jugendstil? Was das kosten täte! Und mit dem rechten Winkel konnten schon die Inkas gut leben, und auch die Ägypter.
In der AZ las ich, dass in München 250000 Wohnungen fehlen. Jugendstil statt Schuhschachteln? Im 19. Jahrhundert waren die Wohnungen zwar noch billiger, aber heute, mit 8,50 Euro Mindestlohn? Was kosten die Münchner Wohnungen denn dann?
Robert Rauch
- Themen:
- Bayernkaserne