Die AZ blickt hinter die Kulissen!
Seit genau 40 Jahren wird im Tantris aufgetischt. Die AZ hat eine Schicht lang im Allerheiligsten dieses Gourmettempels verbracht: in der Küche. Hier herrschen Präzision, Perfektion – und Stille
Ausgerechnet die Entenleber trägt der Ober in die Küche zurück. „Der Gast mag kein Fleisch, mein Fehler“, sagt er und stellt den Teller vor Tantris-Koch Hans Haas ab. Es ist 13.17 Uhr, und eigentlich müsste Haas die 16 Teller vor ihm und die acht hinter ihm dringend füllen. Die Gäste des Schwabinger Gourmettempels dürfen nicht länger als zehn Minuten auf einen Gang warten. So lautet Haas’ selbstauferlegter Takt.
Doch jetzt liegt die Entenleber vor ihm. Und zerrt am Zeitplan. Haas zieht die Bänder seiner Schürze fest, dreht sich zu Sous-Chefin Sigi Schelling. Sie dreht den Stabmixer durch die Sauteuse. „Wir machen...“ – „...Kürbissuppe“, antwortet Haas. Eine Minute später steht diese mit Basilikumöl beträufelt vor dem Gast. 600 Teller in drei Stunden – es ist ein normaler Samstagmittag im Tantris, das am heutigen Freitag sein 40-jähriges Jubiläum feiert.
Bis Weihnachten sind die 100 Plätze am Wochenende ausgebucht. Ein Vier-Gänge Menü kostet mittags 125 Euro. Dafür ist auf den Tellern einiges geboten, und Extrawünsche sind so normal wie die große Austernplatte auf Eis. Der Gast an Tisch 14 verträgt keinen Sellerie, der italienische Restaurant-Chef „bekommt bloß keine Trüffelnudeln“. Und an Tisch 4, „da sind Stammgäste, da will ich wissen, wenn die gehen, dann gibt’s noch ein Glas Marmelade mit“. Während einige Gäste an der Bar an Champagner, Pils oder Fruchtcocktail nippen, garnieren die Hilfsköche im Akkord. „Tisch 2, Tisch 20, Tisch 17“. Haas lädt die vor zwei Minuten noch leeren Teller aufs Tablett. Jetzt thronen darauf Goldmakrele mit Thai-Mango-Marinade, Kürbissuppe mit Jakobsmuschel oder Rotbarbe mit Graupen-Spinatgemüse.
Die Kellnerin sucht ihre Serviette. „Auf, jetzt auf. Dein Westenbandl ist offen. Und nimm die Kürbissuppe vorsichtig, damit die nicht schwappt“, mahnt Haas. Seit 20 Jahren schwingt er im Tantris das Küchenzepter. Er hat Promis von Thomas Gottschalk bis Loriot bekocht, Trends gesetzt und sich selten welchen unterworfen. „Mein Menü mache ich, wenn ich weiß, was angeboten wird“, sagt er. Oft werde bis zur letzten Minute gefeilt. Jeden Morgen schreibt er es selbst per Hand, geschwungene Buchstaben, die von Lammnuss oder Rochenflügel kündigen, von Mohnschmarrn und gefüllten Griesknödeln.
Danach beginnt für ihn der wichtigste Akt des Tages: die Vorbereitung. „Ohne System wird das nix, die Soßen, das Fleisch, das muss alles fertig sein, wenn der erste Gast das Tantris betritt“, erklärt Haas über einer Tasse Kaffee, während er eine Makrele aufschneidet. Sie ist die Vorspeise, die die Erwartungen auf das Menü hochschraubt. Die Filets kommen aufs Tablett, die Enden in eine Schale. „Fürs Personal“, sagt Haas und würzt mit Öl und Salz. „Über Nudeln schmeckt das gut.“
14 Köche dirigiert Haas, und legt doch gerne selbst Hand an. Nachdem er die Rotbarbe entgrätet hat, lässt er das Fett vom Wollschwein für die Terrine aus, karamellisiert Maroni, mahlt Pfeffer, wischt Fischreste vom Boden. „Ich bin da, wo es mich braucht.“ „Servus, Hans!“ ruft’s rein, „Servus, Franz, wie geht’s?“, ruft Haas seinem Spezl zu. Franz möchte eine Flasche Wein borgen. Und wie war noch der Tipp für die Gans? „Kleine Glasflasche in den Bauch, dann gart’s von innen“, sagt Haas und stoppt vor dem Bräter mit Poltinger Lamm. „Rippchen?“ „Chef, können Sie mir das Extra-Menü noch schreiben?“, fragt die Bürokraft.
Es ist 11.47Uhr, das Öl zischt auf dem Herd, Sous-Chefin Schelling tranchiert die Terrine für das Amuse Gueule, Haas schreibt. „Viele Stammgäste haben noch nie in die Karte geschaut“, sagt Haas. „Ich mach’ ihnen schon, was sie mögen.“ Die Bestellungen trudeln ein. Haas murmelt in ein Mikrofon. „Zweimal Makrele, zweimal Jakobsmuschel, viermal Rotbarbe, dreimal Kalbsschulter, einmal Reh.“ „Oui!“ „Hoi! „Jo!“, ertönt es. So bestätigt jeder Koch, dass er seine Aufgabe verstanden hat. „Wenn einer nicht antwortet, dann hör’ ich’s. Und dann hört er von mir“, sagt Haas und schmunzelt. Er weiß, dass sein Küchenregime als eines der angenehmsten in München gilt. „Ich schrei’ nicht, ich mach’ eine Ansage, und gut ist’s.“ Nur in einem ist er pingelig: Stille soll in seiner Küche herrschen.
Die Butter brutzelt, Teller scheppern, die Köche schwenken stumm Spätzle, filetieren das Reh wortlos. „Wo ist die Marmelade für Tisch4?“ fragt Haas. Brutzeln, Scheppern, Stille. „Tja, dann“: Haas eilt ins Kühlhaus, auf der Suche nach der Marmelade. Tantris-Essen sei nichts für jeden Tag, meint Haas. „Das kannst du nicht immer essen, auf einer Skihüttn will ich keine Seezunge.“ Er selbst esse gerne Schnittlauchbrot „und zu Hause kocht meine Frau“. Haas eilt zu einem jungen Koch. „Drück’ die Frühlingszwiebeln nicht, schau so, schneiden“, sagt er und zieht das Messer durch die Zwiebel. Ein Klaps auf die Schulter, Haas geht weiter.
Die Bestellung von Tisch 4, dem Stammgast, kommt. Der Wunsch: Schnitzel. Während seine Köche Reh und Lamm anbraten, schwenkt der Sternekoch die drei Stücke Kalb selbst in der Butter. „Schnitzel mache ich genauso gerne wie die Rotbarbe“, sagt er, „eine Leber braten kann jeder, aber Schnitzel ist eine Kunst.“ Zwei Stück wandern zum Gast, das dritte teilen die Köche. „Halt, das Tablett zurück“, ruft er der Kellnerin hinterher. Haas träufelt drei Tropfen Schaum über das Reh, dreht das Spinatblatt auf den Graupen von längs auf quer. „Kann gehn.“ Perfektion sei ihm wichtig. „Sonst hältst du Sterne nicht“, sagt Haas.
Er schaut die abgeräumten Teller durch, bevor sie gespült werden. „Wenn einer nicht aufgegessen hat, will ich das wissen.“ Das einzig Annehmbare sei eine zu große Portion. „Wenn jemandem etwas nicht schmeckt, mach’ ich’s neu.“ Es ist 15.20 Uhr, als der letzte Griesknödel über die Durchreiche geht. Schichtende. Spülwasser trieft über die Küchentresen. Haas zieht Gräten aus Fischfilets. Die nächsten Gäste kommen in drei Stunden.