Die AZ beim Hutmacherkurs: "Schöne Finger werde ich nie haben"

München – Wer auf die Schwarz-Weiß-Fotos von ganz früher schaut, wird es sofort sehen: In damaligen Jahrzehnten galten Mann und Frau beinahe als nackert, wenn sie ohne Hut aus dem Haus sind. Alle haben einen auf. Ganz aus der Zeit gefallen ist diese Kulturtechnik des Kopfbedeckens dennoch bekanntlich nicht.

Und spätestens zum Oktoberfest ist er wieder da, der traditionelle Hut, der zur Tracht passt, manchmal mit Feder. Und es gibt sie noch, die Traditionshäuser, die solche Hüte verkaufen, immer seltener, dafür zeitgemäßer.
Eines dieser Häuser hat sein Atelier in der Dachauer Straße: Hut Breiter. In der Geschäftsführung: die Geschwister Alexander und Angela Breiter – in fünfter Generation!

Hutmacher in München: Freitag, 10. November, es ist soweit. Der Kurs beginnt
Seit einigen Jahren bieten sie hier Hutkurse an. Hutkurse? „Ja sie können sich dort farblich und stilistisch Ihren eigenen Hut zusammenstellen. Eigenhändig, mit Anleitung“, sagt Breiter, als ihn die AZ zufällig bei einer Grundsteinlegung trifft.
Einen eigenen Hut bauen, das klingt doch mal nach einer außergewöhnlichen Erfahrung. Die Kurse sind beliebt und gut gebucht. Freitag, den 15. November, ist es dann so weit. Zehn Uhr vormittags.

Im Atelier der Familie Breiter steckt jahrzehntelange Tradition. Es riecht nach Wasserdampf und auch ein wenig chemisch. Hier im zweiten Stock des Rückgebäudes an der Dachauer Straße 16. Später erfahre ich, dass eine klare Flüssigkeit ein wenig ausdünstet, die man zum Hutmachen braucht: ein Härter, genannt „Steife“.

Doch jetzt muss erst einmal die Typenfrage geklärt werden – und das geht schnell. Ich habe einen etwas größeren Kopfumfang und ein eher rechteckiges Gesicht. Das erfahrene Chefinnen-Duo Brigitte Schönauer und Elke Bengel braucht da in der Regel nur wenige Sekunden zur Einordnung. Seit 47 Jahren ist Schönauer im Geschäft, Bengel seit 38 Jahren.
Nicht umsonst sind hier seit Jahrzehnten der Clown des Circus Roncalli, Produktionsfirmen von Rosamunde-Pilcher-Romanen oder auch Uschi Glas Stammkunden.

Jackie Kennedys Favorit: die Pillbox
Also zur Grundform. Es gibt Dutzende für Männer und Frauen. Pork Pie, Deerhunter, Panama, Traveller, Matelot, Cowboyhut, Pillbox (einer der Lieblingshüte von Jackie Kennedy)... Schönauer schaut mich über den Brillenrand an, während ich die Hüte durchprobiere.
„Ich seh schon, großes Gesicht, großer Kopfumfang, Pork Pie steht Ihnen nicht. Sie brauchen den Traveller“. Auch die Farbe ist schnell gefunden: Anthrazit-Grau.

Wir gehen zusammen zu den Rohlingen. Sie sind aus Wildhasenhaar, ein perfektes Material für Filz. Kommt aus Portugal, weil dort sehr viele Wildhasen leben. „Wildhasenhaare wachsen wie Widerhaken“, sagt Bengel später.
Nur so können sie offenbar verfilzen, weil sich die Haare in Maschinen ineinander verhaken und dadurch zu Stoffbahnen verarbeitet werden können.

Nächster Stopp Wasserhahn. Bengel macht den Rohling richtig nass, lässt den Stoff mit Wasser volllaufen, wringt das Ganze wieder aus, um gleich den Rohling unter heißen Dampf zu halten. Das versuche ich. Keine Chance für Schreibtischtäter. Es schmerzt.
Bengel übernimmt, sie kennt das gut, wenn manchen beim Kurs zu heiß auf den Fingern wird. Sie hat mehr Hornhaut. „Einen Tod muss man sterben“, sagt sie, „schöne Finger werde ich nie haben.“

Viel Handwerk, viel Kunst: Hämmer, nähen, drücken, ziehen, backen
Bengel zieht den heißen Rohling über die Traveller-Holzfassung. Sie vergewissert sich vorher nochmal. 61 steht auf dem Holz, mein Kopfumfang. Dann fixiert sie mit Nägeln das „Pedigrohr“ – eine Art Strohschnur – an den Rändern, damit der Filz die richtige Form annimmt.
Auf der Holzdecke, in der Hutmitte und am unteren Rand muss die Schnur festgenagelt werden. Ich kann übernehmen.

Ich ziehe mit aller Kraft am Filz und fixiere die Schnur (siehe Bild links unten), hämmere diagonal die Nägel, die Bengel zuvor mit bloßer Hand ins Holz drückt. In der Mitte und am unteren Hutrand nochmal. Finger und Unterarme brennen. Bengel ist nicht zufrieden. „Du darfst dem Filz keine Chance lassen!“, sagt sie und übernimmt nochmal. Jetzt sitzt alles.

Damit der Filz nachher glatt ist, muss nun gebürstet werden. „Immer gegen den Uhrzeigersinn, wir sind auf der Nordhalbkugel“, sagt sie. Eine alte Hutmacherregel. Da bin ich wieder ganz Amateur. Meine Finger bleiben mehrmals an den Nägeln hängen. Ich kratze mir die Fingergelenke ein wenig auf.

Mit Bengel geht es zum Hut-Ofen. Ein Backofen? „Trockenofen!“, sagt sie. Nur so nimmt der Hut die Grundform an. Etwa 1,5 Stunden bei 75 bis 80 Grad. Tür zu. Es ist kurz vor Mittag. Was wohl jetzt noch kommt? „Die Garnitur“, sagt Schönauer. Also das, was einmal um den Hut aufgenäht wird.

Man macht nicht so oft seinen eigenen Hut: "Ich empfehle, mutig zu sein"
Die Auswahl ist groß. „Ich empfehle, mutig zu sein“, sagt Schönauer. Leder (die einfachste und sportliche Variante), Stoff, gesteppt, dreifarbig, geflochten, kordelartig, Seide und Baumwolle. Ich entscheide mich für etwas Dreistufiges. Blau, schwarz-weiß liniert. Und schwarz. Lange nicht mehr gemacht:
Per Hand brauche ich eine Steppnaht, um später an einer Maschine alles zusammenzunähen. Man muss hier kein Naturtalent sein – alles ist mit Anleitung machbar.
Nach einer Maschinennaht um den äußersten Hutrand („Einfass“) wird der Rest abgeschnitten. Es wird still im Raum. Alle acht Teilnehmer nähen ihre Garnitur auf, per Hand. Die Finger verkrampfen, Geduld ist gefragt. Am Ende kommt ein Verschlussstück aus dem gleichen Stoff an die Stelle, wo die Garnitur abschließt. „Schleife?“, fragt Bengel. „Lieber diagonal“, sage ich.

Auch das Paar Magdalena Fritz (28) und Paul Huber (22) sind zufrieden mit dem Ergebnis. Der Hutmacherkurs ist ein Geburtstagsgeschenk. Sie haben sich heute je einen Trachtenhut angefertigt. Paul, ein Zimmerer, ist zum zweiten Mal da. Staub, Regen, Sonne: „In der Arbeit hat irgendwann jemand damit angefangen“, sagt er, „jetzt tragen fast alle einen Hut.“ Praktisch sei das. „Und hält sogar die Ohren warm“, sagt Paul.
Magdalena braucht den Hut nicht unbedingt beruflich, sie ist Vertriebsmitarbeiterin. „Zum Schluss fehlt einem schon die Energie nach so einem langen Tag“, sagt sie, „aber es hat sich gelohnt“.