Die Ausgangssperre ist dahin: Wie reagieren die Münchner darauf?
München - Vielleicht ist es der Schnee, der den Drang nach draußen dämpft. Schlag halb neun am Montagabend rieselt es weiß aus dem Abendhimmel, eine Uhrzeit, in der viele Münchner zuletzt hektisch auf die Uhr geschaut haben, um bis zur Ausgangssperre um 21 Uhr pünktlich daheim zu sein.
Ausgangssperre in München nach zehn Wochen aufgehoben
Die Sperre wurde nach fast zehn Wochen aufgehoben, die Straßen könnten belebt sein. Sind sie aber nicht. In der Fraunhoferstraße im Glockenbachviertel gähnt die Leere so laut, dass sogar der eine einsame Radler aus der Ferne zu hören ist. Die Jugend, die vor 20 Uhr noch beim Edeka am Gärtnerplatz Bier eingekauft und munter die Bänke belagert hat, hat sich verstreut.
Beim Bergwolf am U-Bahnausgang immerhin brennt Licht. Ein Pärchen, ein Jugendlicher und Markus, ein Ingenieur (50), stehen vor der Kult-Currywurstbude, es ist nach 21 Uhr. "Super", sagt Markus, "jetzt noch Abendessen für die Familie zu holen, das nimmt echt viel Zeitdruck raus."

Eine Salatschüssel voll dampfender Pommes lässt er sich füllen, dazu einen Berg Mayo, "und spazieren gehen könnten wir auch gleich noch, nach dem langen Herumgesitze am Schreibtisch." Drüben an der Isar machen das schon eine Handvoll Leute, auch ein Jogger trabt flussaufwärts, die Wittelsbacherstraße entlang. "Laufen, nachdem die Kinder im Bett sind, endlich!", ruft er schwer atmend, aber lachend, dann verschwindet sein Reflektorlicht auch schon im Dunkel unter den Isarbäumen.

Freiluftfeiern am 24-Stunden-Kiosk an der Reichenbachbrücke

Vom 24-Stunden-Kiosk an der Reichenbachbrücke dringt munteres Kichern herüber, drei Leute, jeder ein Augustiner in der Hand und dick eingepackt in Mütze und Schal, albern miteinander herum. Was es zu feiern gibt? "Ich hab meinen Bruder seit Mitte Dezember nicht mehr gesehen", erklärt Julius (38), Cloud-Softwaremanager und Vater zweier kleiner Kinder.
Seit März sitzt er im Homeoffice, "mein Highlight des Tages ist der Besuch im Supermarkt", scherzt er, "heute hab ich Druck gemacht, weil ich einfach mal raus musste nach dem Kinder-ins-Bett-bringen." "Ging ja sonst nie", sagt Bruder Cornelius (30), ein heiteres Bierlächeln im Gesicht, Prost! Schad, dass die Kneipen noch nicht auf sind, dann eben Freiluftfeiern.

Gegen 22 Uhr geht der Schnee in Schnürlregen über. Weiter südlich am Baldeplatz sind nun etliche Autos unterwegs, der 132er-Bus kommt aber fast leer vorbei, nur drei Menschen sitzen drin, inklusive Fahrer. Während auf einer Bank ein paar Jugendliche friedlich ratschen, schlendern Isabella (28) und Matteus (33) über die Wittelsbacherbrücke. Die französische Anwältin und der Softwareentwickler aus Brasilien arbeiten seit zwei Jahren in München, kennengelernt haben sie sich aber gerade erst, auf einem Datingportal.
Trotz Aufhebung der Ausgangssperre ist in München nach 21 Uhr nicht viel los

Das ist aber nicht das allererste Date heute, oder? Doch, sagen beide mit sehr süßem Glanz in den Augen, und es sei "really cool", dass sie ihr erstes Treffen, das um 19 Uhr begann, nicht vor 21 Uhr schon wieder beenden mussten. So viel zu erzählen, und nun ist der Abend ja noch jung. Sie haben die Nacht auf weiter Flur fast allein. Zurück, gen Norden, sind die Straßen dunkel und leer, nur ein paar Kneipenschilder leuchten, vielleicht, damit man im Noch-immer-Gastrolockdown nicht ganz vergisst, dass es sie gibt.

Der Bergwolf ist längst zu gegen halb elf, länger auflassen für Currywurst und Pommes hat sich wohl nicht gelohnt. Auch an der Tanke im Isarparkhaus an der Baaderstraße, wo im Sommer gern mal die Partyhölle tobt, ist tote Hose. Zehn Leute seien da gewesen seit 21 Uhr, sagt Verkäufer Christian Henschke.
Zweien habe er nach 22 Uhr erklären müssen, dass sie ihr Bier zwar gern draußen trinken dürfen, aber dass er ihnen um die Zeit keins mehr verkaufen darf. Sind sie halt wieder abgezogen, nach Hause, vermutlich. Die große Straßenparty im Schnee-Regen ist ausgefallen zum Start in die kleine Freiheit nach neun. Für die nächsten Tage ist Schönwetter angesagt.