Die Armut in München nach dem Zweiten Weltkrieg
München - Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sehr viele Münchner arm. Bei der ersten amtlichen Zählung Mitte 1945 erwiesen sich 41.000 der rund 500.000 verbliebenen Münchner als Wohlfahrtsempfänger. Anfang 1947 musste das Wohlfahrtsamt, das zusammen mit dem Wohnungsamt und dem Stadtarchiv in einem zerbombten Gebäude der Winzererstraße arbeitete, über 30.000 der nunmehr 770.000 Einwohner unterstützen, jeder durfte sich 36 Mark im Monat abholen. Im Oktober 1948 lebten immer noch 22.000 Bürger vom Wohlfahrtsgeld und 8.000 von der Fürsorge.
Außerdem waren zu unterstützen: 200.000 Fliegergeschädigte, 20.000 Arbeitslose, 8.000 Frauen, deren Männer noch vermisst waren, 5.000 Invaliden, Kriegsversehrte und Waisen, 3.000 Obdachlose, 3.000 ehemalige KZ-Häftlinge und 8.000 Sozialrentner.
OB Wimmer kümmert sich um die Notleidenden
Eine gewaltige Herausforderung für die städtische und staatliche Sozialpolitik. Da war denn auch Solidarität gefordert. Die Parteien, die Kirchen, die Arbeiterwohlfahrt und nicht zuletzt die amerikanischen Besatzungsbehörden organisierten Hilfsaktionen zugunsten verarmter Bürger, insbesondere für deren Kinder. Ein Herz für diesen Volksteil hatte vor allem der aus der Arbeiterschaft stammende Oberbürgermeister Thomas Wimmer (SPD).
Am höchsten war die Not in der Jugend. Im Schatten der Ami-Kasernen von Harthof im Norden Münchens betätigten sich Halbwüchsige als Schwarzhändler, sie boten sogar Schnaps und Fräuleins an. Schulkinder wurden immerhin durch amerikanische Care-Pakete und eine regelmäßige Schülerspeisung versorgt. Viele aber hatten ihren Vater im Krieg verloren, die Waisenhäuser waren überfüllt. Gymnasiasten wurden durch Raumnot, Schichtunterricht und Stofffülle gestresst, wie der Münchner Kinderarzt Theodor Hellbrügge nachwies. Anfang 1948 wurden in Bayern rund 50.000 Jugendliche als gefährdet oder verwahrlost registriert.

Armut in München hielt sich bis zum Wirtschaftswunder
Not und allgemeine Armut, der sich allenfalls Schieber und Irgendwie-Privilegierte entziehen konnten, dauerten bis zur Währungsreform von 1948. Als dem sogenannten Wirtschaftswunder der 1950er Jahre wachsender Wohlstand folgte, der schließlich im Trend zum Luxus gipfelte, da war Armut lange kein Thema mehr.
Hinter den Kulissen des Wiederaufbaus aber wucherte eine andere, eher unauffällige Art von Proletariat. Die selbst ernannte "Weltstadt mit Herz", die nach den Olympischen Spielen mächtig aufgeblüht war, offenbarte ein zweites Gesicht, das lange Zeit ziemlich verhüllt war: die wachsende Armut breiter Bevölkerungsschichten.
Auslöser waren insbesondere der Verlust zahlreicher Jobs infolge von Rationalisierung, forcierter Entwicklung von Hightech sowie von Abwanderung arbeitsintensiver Gewerbebetriebe. Im Frühjahr 1985 wurde erstmals eine komplette Fabrik, das Motorradwerk Zündapp von chinesischen Arbeitern demontiert und in die ferne Millionenstadt Tianjin transportiert.

Armut ist eine Erscheinung der modernen Leistungsgesellschaft
Es war der Münchner Sozialreferent Hans Stützle (CSU), der 1987 zusammen mit der Inneren Mission und jungen Sozialforschern aus der 68er-Bewegung eine über 100 Seiten starke Studie über die "Neue Armut in München" vorlegte, sie enthüllte bisher wenig bekannte soziale Trends.
Damals wurde aufgezeigt, dass Armut keine Sache von Individuen mehr ist, sondern eine systemische Erscheinung der modernen Leistungsgesellschaft. Sie äußert sich nicht mehr so öffentlich wie früher, sondern verdeckt. Ausgelöst wird diese neue Armut hauptsächlich durch Arbeitslosigkeit, Krankheit oder Scheidung.
Für die Stadt München stellten die offiziellen Armutsberichte von 1980 bis 1992 jedenfalls fest, dass sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger in diesen zwölf Jahren verdoppelt und die der in Armut lebenden Kinder sogar verdreifacht hat, so dass nunmehr fast jedes zehnte Münchner Kind von Sozialhilfe lebte. Tendenz steigend.

Bis 2020: 24.000 Münchner über 65 von Armut betroffen
Dazu kommt in der heutigen Zeit nun eine weitere große Gruppe von sozial Bedürftigen: Tausende von Münchnerinnen und Münchner im Alter von über 65 Jahren sind von Armut betroffen. Deren Zahl dürfte sich auf 24.000 vermehren – bis 2020.
In allzu vielen Fällen reichen einfach die heutigen Sicherungssysteme nicht mehr aus. Um im Alter von der Rente menschenwürdig leben zu können, müsste man 35 Jahre lang 2.535 Euro brutto verdient haben, wie das Amt für soziale Sicherung penibel ausgerechnet hat. Die Altersarmut wird zum Problem Nr. 1 der Solidargemeinschaft. Überproportional betroffen sind laut Sozialreferat "Menschen mit Sprachbarrieren"; gemeint sind Migranten.
Lesen Sie hier: Die Geschichte der Armut in München
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