Die Akte Klatten: Sgarbi wollte 290 Millionen
MÜNCHEN - Ein Vernehmungs- protokoll der Münchner Polizei kursiert im Internet. Das Dokument enthüllt, wie die tragische Affäre der Milliardärin mit dem Schweizer Gigolo Helg Sgarbi begann - und warum sie endete.
Er spielte mit ihr und zockte sie ab. Jetzt sind Ermittlungsakten in der Affäre Susanne Klatten im Internet aufgetaucht: Ein Vernehmungsprotokoll der Münchner Polizei vom 29. April 2008. Von 10.18 bis 12.22 Uhr sitzt die reichste Frau Deutschlands, Susanne Klatten (46), mit ihrem Anwalt im Polizeipräsidium und beichtet: Wie sie ihren Erpresser Helg Sgarbi (43) kennen lernte. Wie er sie umgarnte. Wie sie zweifelte und ihm doch vertraute – bis er 290 Millionen wollte und sie ihrem Mann alles beichtete.
Sgarbis Anmache: Geschäftsmann und Geheimagent
9. bis 22. Juli 2007: Susanne Klatten trifft Sgarbi im Tiroler Hotel Lanserhof zum ersten Mal. In den letzten drei Tagen ihres Aufenthalts sucht er ihre Nähe. Sie gehen spazieren, reden. Er gibt sich als Geschäftsmann im Feld „Neue Energien“ aus - ein Thema, das Klatten interessiert. Sgarbi erzählt, er sei mit fünf Jahren mit seinen Eltern nach Brasilien oder, Klatten ganz sich nicht genau erinnern, Argentinien gezogen und mit 16 zurück in die Schweiz. Mit seinem Vater habe er sich überworfen. Jetzt ist Sgarbi für Susanne Klatten ein Major der Schweizer Armee und Sonderbeauftragter für streng geheime Operationen im Ausland. Außerdem sei seine Ehe gescheitert. Er gibt ihr seine Handynummer. Sie reist ab.
26. August: Sgarbi schickt Susanne Klatten eine SMS: Er muss sie dringend sprechen. Sie verabreden sich am Nachmittag im Hotel Tulip-Inn in Schwaig. Dort erzählt er ihr, in Miami die Tochter eines Mafiabosses angefahren zu haben - bricht dann das Gespräch ab. Klatten ahnt: Er will Geld, wundert sich aber, warum er nicht hartnäckiger fragt. Sie denkt in den folgenden Tagen oft über dieses Detail nach. Sie hatten eine intensive Zeit, sie fühlt sich schuldig, ihm nicht helfen zu wollen.
Das querschnittsgelähmte Mafia-Mädchen
30. August/1. September: Sie gibt ihm noch eine Chance, sie reden wieder. Sgarbi sagt, es gehe nicht um Geld, sondern um Liebe.
6. September: In einem Zimmer des Holiday Inn in Schwabing sagt Sgarbi, er brauche 7 Millionen Euro – das Mädchen sei querschnittsgelähmt. Er träume jede Nacht von diesem schrecklichen Unglück. Sie will ihm das Geld geben – Sgarbi braucht es in bar. Sie ruft ihren Vermögensverwalter an und ordert die Summe in 200-Euro-Scheinen.
Die Übergabe
7. bis 10. September: Sie telefonieren mehrmals und treffen sich am 10. im Holiday Inn. Susanne Klatten schlägt vor, ihm das Geld in der Tiefgarage des Hotels zu übergeben. Ein Fahrer hat ihr die Millionen aus Frankfurt gebracht. Sie lagert sie zuhause in Schwabing in einem Karton.
11. September: Treffen in der Garage. Sgarbi lädt einen Karton voller Geld in einen gemieteten Audi A6, stopft es später in Sporttaschen und fliegt in die Schweiz. Am Telefon sagt er ihr, das Geld sei jetzt auf einem Schweizer Konto.
Sgarbis Ultimatum
Ende September: Nach weiteren Treffen mietet Sgarbi eine Wohnung in München in der Wilhelm-Hertz-Straße, gleich hinter dem Holiday Inn.
29./30. September: Susanne Klatten spürt: Ihr Mann ahnt etwas von ihrer Affäre. Der ist angeblich gerade im Ausland auf einer Mission als Sonderbeauftragter.
Erste Oktoberwoche: Klatten und Sgarbi treffen sich in der rund 50 Quadratmeter großen Wohnung. Sie ist völlig kahl: Keine Vorhänge, keine Möbel, nicht einmal eine Zahnbürste. Aus Angst, erkannt zu werden, kauert sie hinter einer Mauer. Beide sitzen auf dem Boden. Sgarbi sagt, er wolle bald zu Ikea. Susanne Klatten erzählt Sgarbi von ihren Eheproblemen – da bittet er sie: Verlasse deinen Mann, komm mit mir. Finanziell könne er ihr nichts bieten – er kenne aber einen Investmentfonds. In diesem Augenblick merkt Susanne Klatten: Er redet wieder über Geld. Mit Investment meint er ihr Vermögen. Sgarbi spricht von 290 Millionen Euro.
Die Beichte
8. bis 10. Oktober: Susanne Klatten ruft ihren Anwalt an. Die Liaison ist eine Gefahr für ihre Familie. Sie beichtet alles ihrem Mann und ruft Sgarbi an: Es ist aus. Er fragt sie, ob ihr jemand eine Pistole an den Kopf halte?
12. Oktober: Susanne Klatten ist im Lanserhof. In den folgenden Tagen gibt Sgarbi ein Kuvert an der Rezeption ab.
Der Erpresserbrief erreicht Klatten im Lanserhof
16. Oktober: Klatten öffnet den unadressierten Umschlag – darin: ein Brief und pikante Fotos von einem Liebestreffen im Holiday Inn. Laut Klatten wurden sie am 20. oder 21. August gemacht, sie erkennt es an ihrer Kleidung. Wer fotografierte, weiß sie nicht. Von Ernano Barretta, dem Komplizen und Sektenchef Sgarbis, hat sie nie etwas gehört. Sgarbi fordert einige Tage später am Telefon „Vier Mal Seven up“, vier Mal sieben Millionen – später nur noch 14. Der Schweizer zeigt sein wahres Gesicht.
Nachtrag: Nach dem Erpressungsversuch geht Susanne Klatten zur Polizei und zeigt Sgarbi an. Mit dem Gigolo macht sie einen Treffpunkt für die Geldübergabe aus - und schlägt das Tiroler Örtchen Vomp vor. Datum: 14. Februar 2008. Dort findet Helg Sgarbi kein Geld, sondern österreichische Polizeibeamte und Polizisten des Bayerischen Landeskriminalamts.
Thomas Gautier