Diamaltgelände in Allach: Zwischen Schrott und Abenteuer
München - Verwittert wie ein Geisterschloss ragt das Gemäuer der Alten Suppenwürze sechsstöckig in den Münchner Himmel. Ein paar Meter nebendran ist das alte Werkstattgebäude zu sehen, dahinter das Kesselhaus mit rotem Kamin, in dem die Backmittel- und Suppenwürzefabrik Diamalt (1902-1994) einst aus Steinkohle Strom erzeugt hat.
Frühere Diamalt-Werke in Allach: Schrottplatz und "Lost Place" in München
Es ist noch nicht lange her, da dehnte sich auf dem aufgelassenen Areal der Allacher Industrieanlage ein Schrottplatz aus, an die acht Fußballfelder groß. Man wusste nicht so recht, wer da welche Geschäfterl machte zwischen Ludwigsfelder-, Georg-Reismüller-Straße und den Bahngleisen. Wer da hauste in Bretterbuden und Containern und was so alles an Flüssigkeiten in den Boden lief. Man wunderte sich über junge Leute, die das Gemäuer als aufregenden "Lost Place" durch unterirdische Gänge aufsuchten und verbotenerweise Partys feierten, aber so war es eben.

Dann kamen die Kaisers, und es kam Matthias Mertmann - beide auf der Suche nach einem irgendwie coolen Platz zum Leben und Arbeiten, um 2009 war das. Und als der Grundeigentümer, der gerade Geld brauchte, ihnen zwei Flächen aus dem Schrottplatz herauslöste und verkaufte, ahnten sie noch nicht, auf was sie heute blicken würden: Eine Megabaustelle nämlich, mit riesigen Kränen, Baggern, Bauzäunen, Kieshaufen, Baucontainern - und einem Rohbauwürfel neben dem anderen.
Neues Wohnviertel für 2.000 Menschen im Nordwesten von München
Es sind Schluchten aus Beton, die hier gerade entstehen. 721 Wohnungen für an die 2.000 Menschen, drei Kitas und ein Platz mit Nachbarschaftstreff. Ein neues Viertel mitten im alten, bäuerlichen Allach im äußeren Nordwesten Münchens - die Aria Wohnbau (früher Isaria) nennt es "Diamaltpark". Aber zurück zu den Kaisers. Thomas Kaiser hatte eine Villa mit Garten gesucht, groß genug für seine Familie, seine Onlinemarketingfirma und Praxisräume für seine Frau Stephanie, die Heilpraktikerin ist. Die ehemalige Fabrikantenvilla am Rand des Schrottplatzes, gelb mit grünen Fensterläden, das alte Allach mit dem Mariahimmelfahrtskirchlein im Rücken, war perfekt.

"Die Kiesfläche, die abgestellten Schrott-Lastwagen, die Müllhalde", sagt er, "das war kein schöner Anblick." Aber irgendwie seien die Jahre schon auch "ein Abenteuer" gewesen. Oft schlichen Jugendliche drüben in und auf der Suppenwürze herum, Bands haben Musikvideos vor der Geisterhauskulisse gedreht. Ein Nachbar berichtete mal von einem Pornodreh auf der Baustelle, und einmal, das erinnert Thomas Kaiser gut, sei sogar das SEK dagewesen, nachdem sein Sohn auf einem Dach Leute mit Gewehren gesehen hatte. Es waren dann aber nur mit Softairwaffen ausgerüstete Spinner.

Anwohner sind skeptisch: "Schlagartig 2.000 Nachbarn kriegen, das ist erstmal gewöhnungsbedürftig"
Seit gut zwei Jahren nun leben sie mit Baulärm, Staub und Dreck. Oft, sagt Stephanie Kaiser, radeln ältere Allacher vorbei, kopfschüttelnd, "sie finden das schrecklich, mit den vielen Neubauten jetzt und den vielen Zuzüglern, die da ins Dorf kommen werden". Die Kaisers selbst sind entspannter. "Also ich bin neugierig", sagt Stephanie Kaiser, "ich hoffe, dass es auch nachbarschaftliche Nähe und Zwischenmenschliches geben wird, nicht nur Häuserschluchten." Da geht es ihr wie Matthias Mertmann, der damals nicht nur ein Stück Schrottplatz, sondern gleich das ganze alte Kesselhaus mitgekauft und saniert hat für seine Familie und seine Medizintechnikfirma.

Einen Teil, unterm Backsteinkamin, hat er zur Loftwohnung umgebaut, einen Teil zu Büros. Den ehemaligen Heizkessel hat er als Museumsstück erhalten, und auch die frühere Maschinenhalle darf ihre Patina behalten, für Events in der Zukunft, wenn es mal wieder Events geben wird. "Schlagartig 2.000 Nachbarn kriegen, das ist erstmal gewöhnungsbedürftig", sagt Mertmann, aber irgendwie sei er auch gespannt auf die neuen Menschen, gegen die er sich nicht mit einem Zaun abgrenzen werde, "ich bin eh nicht so der Gartentyp". Vor seiner Tür soll die Grünfläche einfach in den öffentlichen Park für alle übergehen.

Altes Gebäude soll zum "Leuchturmprojekt" werden: Büros im Loft-Look

Dass es "ganz sicher lebendig und wunderbar urban" wird, glaubt jedenfalls Pascal Fuckerieder, der hier als Bezirksausschusschef (SPD) der örtliche Stadtteilfürst ist - wobei er die Vorbehalte vieler alteingesessener Allacher kennt. Das Viertel, bislang noch dünn besiedelt mit all den Ackerflächen drumherum, habe Platz für Zuzügler. Es werde eine schöne Mischung werden aus bezahlbaren Wohnungen am Rand und schicken Eigentumswohnungen, die zentraler an den historischen Gebäuden liegen. Mit Spannung könne man auch erwarten, was aus der Alten Suppenwürze mal werden wird.

Gerade baut die Optima-Aegidius-Gruppe das Gemäuer um, zu "The Malt", einem "Leuchtturmprojekt" mit 5.000 Quadratmeter "modernen Loft-Büros im Industrie-Look", Wohnungen unterm Dach, Dachterrassen, Eventflächen und einer Kita im Haus. Aus dem flachen historischen Werkstattgebäude davor könnte eine Gastronomie mit Biergarten werden. "Ich sehe schon vor meinem geistigen Auge die Bedienungen herein- und heraushuschen", sagt Fuckerieder, "super wird das." Und nebenbei, falls jemand in Allach das alte Schrottplatzgefühl vermisst, er muss nur auf die andere Seite der Ludwigsfelder Straße schauen, dort liegt noch das alte Junkersgelände brach, mit der historischen Junkershalle, jede Menge Schrottfahrzeugen und Raum für Ideen. Aber das ist eine andere Geschichte.
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