Deutsches Theater: Münchens Faschingshochburg

Ein bedrohtes Stück Stadtkultur: AZ-Reporterlegende Karl Stankiewitz über die große Geschichte der Bälle im Deutschen Theater.
Karl Stankiewitz |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
5  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
Voller Körpereinsatz: Ausgelassen bis semi-akrobatisch feiern die Münchner im Deutschen Theater 1967 Fasching.
Voller Körpereinsatz: Ausgelassen bis semi-akrobatisch feiern die Münchner im Deutschen Theater 1967 Fasching. © Stadtarchiv

München - "Endlich wieder tanzen" - so hatte das Deutsche Theater noch Ende November 2021 jubiliert und plakatiert. So wie alljährlich hatte die Direktion das Hinterhaus in das größte Ballhaus Münchens verwandelt, während die prachtvolle Dekoration und ein genaues Programm noch auf sich warten ließen. Vorsorglich hatte man die Saison, trotz aller Lockerungen, von sechs auf vier Wochen verkürzt. Und selbstverständlich sollte das Personal streng auf die Einhaltung aller gesundheitspolitischen Corona-Vorschriften achten.

Die Galabälle halten das Deutsche Theater stets am Leben

Am 13. Januar 2022 jedoch musste die Direktion die Ballsaison wieder komplett absagen. So wie schon ein Jahr zuvor, als der erste Lockdown den bereits angesagten "Karneval wie anno dazumal" verhindert hatte. Der Optimismus kam zu früh.

Wieder so ein Schlag ins Kontor, wie immer wieder erlebt in Münchens ältester und berühmtester Vergnügungsstätte, die im September 1896 als privater "Feenpalast" eröffnet hatte. Schon zur ersten Premiere musste der Architekt Alexander Bluhm das Geld für den roten Teppich pumpen. Seither wechselten Pleiten, Schließungen, Notsanierungen, Bauverzögerungen einander ab.

Seit jeher im Fasching: Die Beine müssen fliegen!
Seit jeher im Fasching: Die Beine müssen fliegen! © imago/ZUMA/Keystone

Alljährlich rauschende Publikumserfolge

Ziemlich alle Namen, die einst in der heute Entertainment genannten Branche internationalen Glanz hatten, heimsten hier Triumphe sowie hohe Gagen ein.

Doch auch in Sternzeiten blieben Skandale und wirtschaftliche Einbrüche nicht aus. Am 14. Februar 1929 zum Beispiel verbot die Münchner Polizeidirektion, ohne es zu begründen, die fünf eingeplanten Auftritte der schwarzen Erotik-Tänzerin Josephine Baker.

Was das Deutsche Theater wirtschaftlich dennoch am Laufen und im Gespräch hielt, waren seine überschäumenden, sinnenfrohen und gewiss einträglichen Faschings-Galabälle. Neben dem Künstlerhaus und dem einen oder anderen Bierpalast wurde dieses Hinterhaus zur eigentlichen Hochburg der "fünften Jahreszeit" mit ihren Bällen und Maskeraden und Seitensprüngen, wovon zu Anfang des Jahrhunderts so viele Leute geschwärmt hatten. Allein die Weltkriege trübten die organisierte Gaudi, wenn auch nicht vollkommen, denn manche Münchner hielten an Hausbällen fest.

Bälle schon immer das Highlight des Jahres im Deutschen Theater

Als München 1958 seinen 800. Geburtstag feierte, erfasste eine Statistik (besser wohl: eine Schätzung) erstmals das ganze Ausmaß des Faschingstreibens: In den 46 Tagen (eher wohl: Nächten) der Ballsaison waren ungefähr 150 000 narrisch gewordene Münchnerinnen und Münchner (sowie ungezählte Zaungäste) auf 140 Veranstaltungen zugange. Später zählte man über 2000 Bälle.

Aufwendiger denn je ließen Kurt Plapperer, den die Stadt 1965 mit der Geschäftsführung betraut hatte, und dann sein Sohn Heiko die Säle schmücken. Mit 20 Malern und 35 Handwerkern schuf der Bühnenbildner Hans Minarik 1966 ein wahres Märchenschloss.

4000 Sterne leuchteten von der Decke und verlöschten automatisch, 1400 Lämpchen glühten in allen Farben und über dem Tanzparkett schaukelte eine zwölf Meter lange Gondel. Ein Schallpegel mit Blinkalarm sollte für eine erträgliche Lautstärke sorgen. Erholen von all dem Trubel konnte man sich im Weißwurstkeller, der pünktlich um Mitternacht aufmachte.

OB Christian Ude schwärmt vom "Palast des Lächelns"

Jeweils zum Jahresbeginn verwandelte sich das Deutsche Theater in das größte Tanzlokal der Stadt. Alle 1540 ständigen Sitze wurden ausgebaut, um das Tanzparkett darunter freizulegen. Rundum wurden Podeste samt Dinnerbestuhlung aufgestellt. Auf der Theaterbühne wurde eine Terrasse mit Tischen errichtet.

Über dem Orchester hinweg bot sich hier ein Blick in den Ballsaal, der durch zusätzliche Leuchttraversen mit beweglichen Scheinwerfern zauberhaft bestrahlt wurde. Der Silbersaal, den die Bomben als einzige Räumlichkeit verschont hatten, und der Barocksaal verbanden sich mit Ballsaal, Foyer und Innenhof zu einer eleganten Flaniermeile.

Als 1987 die Absicht bekannt wurde, in dem kommunalen Kulturpalast künftig nur noch (lukrativere) Musicals aufzuführen, wandte sich ein Förderkreis zur Rettung des Deutschen Theaters in Briefen an Ministerpräsident Franz Josef Strauß und Oberbürgermeister Georg Kronawitter. Nach fünfstündiger Sitzung gewährte der Stadtrat dem Fasching in der versteckten Passage zwischen Schwanthaler- und Landwehrstraße weiterhin ein Domizil. Und so blieb das Deutsche Theater die wichtigste Ball-Adresse, auch nachdem sich einige Prominenz (vom persischen Kaiserbruder bis zum Fußballkaiser Beckenbauer) längst zurückgezogen hatte.

Strauß und Scheel tanzten zu Gregers Saxophon

Ein Pflichttermin für Verantwortungsträger war der Presseball, dessen Vorläufer im 19. Jahrhundert ein sogenannter Armenball war. Sogar der ungekrönte Bayernkönig Franz Josef Strauß folgte gern mit Frau Marianne den Twist-Klängen von Max Gregers Saxophon, während Entwicklungsminister Walter Scheel die teils kriegerischen, teils exotischen, teils barbusigen Girls des Ballets Africain näher in Augenschein nahm. Besonders gerngesehene Gäste waren Mitglieder der Häuser Wittelsbach und Hohenzollern sowie der Aga Khan mit Gefolge. Sogar wir Journalisten mussten uns in Smoking oder Abendkleid zwängen. Unsere "Mitternachtszeitung" enthielt letzte Klatschnachrichten und flotte Bilder.

Promi-Treffen 1982 (v. l.): Schauspieler Gert Froebe, Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Bergfex Luis Trenker beim Fasching.
Promi-Treffen 1982 (v. l.): Schauspieler Gert Froebe, Außenminister Hans-Dietrich Genscher und Bergfex Luis Trenker beim Fasching. © imago images/Lindenthaler

Diese Tradition der "gehobenen" Schwarz-Weiß-Bälle wurde besonders gepflegt. Seit 2015 bot der "Ball der Sterne" eine ungewöhnliche Mischung von Solosängern und Tänzern. Bevorstehende Musicals wurden angespielt. Die Münchner Symphoniker erinnerten an die schönsten Melodien von vorgestern und Hugo Strassers Big Band an die von gestern.

Ein gesellschaftlicher Höhepunkt in der Geschichte des Deutschen Theaters war sicherlich auch der Galaball zum 70. Geburtstag der AZ 2018 - ganz ohne Pappnase.

Deutsches Theater und Fasching: Eine traditionelle Kombination

Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist das Deutsche Theater mit der offiziellen Faschingsgesellschaft eng verbunden. Zum Ritus der Narrhalla gehören etwa der erste Einzug des Prinzenpaares mit Hofstatt und Garde sowie die Soiree mit Verleihung des Karl-Valentin-Preises, die allerdings manchmal arg danebengeht.

Seit Direktor Kurt Plapperer das Musical erfolgreich importiert hatte, schien das zuvor durch Faschingsfeste, Komödienstadl-Gaudi oder gar Boxkämpfe mitfinanzierte Haus gegen Krisen gewappnet. Doch vergeblich suchte die Stadt, die den maroden Neubau mit Neorokoko-Relikten 1982 übernommen und so vorerst gerettet hatte, einen privaten Betreiber.

Die Milch macht's - Kinderfasching im Februar 1959.
Die Milch macht's - Kinderfasching im Februar 1959. © imago/ZUMA/Keystone

Bedrohtes Stück Kultur: Deutsches Theater

Seit der opulenten Wiedereröffnung im September 2013 musste der stadteigene "Palast des Lächelns" (so OB Christian Ude) versuchen, das meistbesuchte Theater Münchens zu bleiben und nicht abermals in tiefrote Zahlen zu rutschen. Tatsächlich ließen sich alljährlich mehr als 300 000 Besucher von insgesamt 400 Vorstellungen begeistern.

Doch dann kam das Virus - und auch in der Schwanthalerstraße 13 fiel, ausgerechnet zum Beginn des Faschings 2021, der Vorhang. Doch irgendwann soll es weitergehen. Auch beim Münchner Fasching, so meint jetzt ein von der CSU-Fraktion initiierter Antrag, gehe es letztlich um ein Stück Kultur, die offensichtlich bedroht ist.

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
5 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • Witwe Bolte am 27.02.2022 17:01 Uhr / Bewertung:

    Manchmal hat das "Alter" sogar seine Vorteile. Faschingsbälle in den 70ern waren unbeschreiblich toll.
    Z.B.: im Haus der Kunst (wäre heute unvorstellbar), im Regina-Palasthotel, Hotel Bayer. Hof, Olympiahalle (=sagenhafte Deko von einem Stararchitekten), dann diverse BR-Rundfunkbälle, oder im Löwenbräukeller..... und und und.......
    Überall gewesen, überall spielten die tollsten Bands. Und der Eintrittspreis angemessen.
    Anschl. mit dem Auto heim mangels Öffentliche nach Mitternacht.
    Schöne Erinnerungen, so wirds nie wieder werden😭.

  • Der Münchner am 28.02.2022 16:32 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Witwe Bolte

    Münchner Schabernackt nicht vergessen!

  • Der Münchner am 27.02.2022 12:20 Uhr / Bewertung:

    Fasching in München gibt es doch schon lange nicht mehr. Keine Hausbälle, keine Cowboy und Indianer spielende Kinder auf der Straße. Fasching in München mittlerweile vom Mitte September bia Anfang Oktober, außer Corona kommt dazwischen.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.