Deutsches Museum öffnet Schatzkammer: Geheime Dokumente und ihre Geschichte

29 Jahre lang hat Wilhelm Füßl das Archiv im Deutschen Museum geleitet. Hier zeigter "seine" ganzbesonderen Schätze.
Nina Job
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Wilhelm Füßl mit einer Zeichnung von Otto Lilienthal für ein zusammenklappbares Fluggerät.
Wilhelm Füßl mit einer Zeichnung von Otto Lilienthal für ein zusammenklappbares Fluggerät. © Daniel von Loeper

München - Mit weißen Baumwollhandschuhen öffnet Wilhelm Füßl behutsam Mappen und Kartons. Ganz vorsichtig hebt er Zeichnungen heraus, Bücher, Fotos, Tonbänder. Es sind alles wertvolle, zum Teil Jahrhunderte Jahre alte Originale. 29 Jahre lang hat Wilhelm Füßl das Archiv im Deutschen Museum geleitet. Seit eineinhalb Jahren ist er im Ruhestand. Doch gestern ist der 66-Jährige noch einmal zurückgekehrt an seinem langjährigen Arbeitsplatz. Füßl hat ein Buch geschrieben über das Museumsarchiv, das wohl niemand so gut kennt wie er. Gestern stellte er sein Buch vor - und präsentierte dabei gleich einige seiner Lieblingsschätze.

Zeitdokumente als echte Raritäten

Das Archiv des Deutschen Museums beherbergt Dokumente im Wert von über einer Milliarde Euro. 380 Nachlässe bedeutender Wissenschaftler werden hier verwahrt, darunter von acht Nobelpreisträgern. Auch der Nachlass des Luftfahrtpioniers Karl Wilhelm Otto Lilienthal lagert hier. Zehn Jahre lang pflegte Wilhelm Füßl den Kontakt mit dessen Nachkommen, bis schließlich alle neun einwilligten. "Das Archiv des Deutschen Museums ist eines der bedeutendsten Spezialarchive für Wissenschaft und Technik", betont Wilhelm Füßl. "Hier wird nicht nur verwahrt, Wissenschaftler aus aller Welt kommen hierher, um zu forschen."

Schatzgrube und Archiv

Und das Archiv ist eine Schatzgrube. Hier werden Briefe von Einstein bei konstanten 17 Grad aufbewahrt, außerdem Tausende Handschriften, Museumsakten, technische Zeichnungen, Karten, Dokumentationen der Luft- und Raumfahrt oder Nobelpreis-Medaillen aus massivem Gold. Die älteste archivierte Urkunde stammt von 1270. Aber auch Skurriles wie die originalen Tonbänder von Oskar Sala, der die berühmten Vogelschreie für Hitchcocks "Vögel" künstlich schuf, sind im Archiv aufbewahrt. Auch etwa 1,4 Millionen Fotos lagern in Schränken im Archiv, fein aufbewahrt in säurefreien Kartons - darunter das erste, das jemals von München aufgenommen wurde. Und würde man alle Dokumente aneinanderreihen, würden sie von der Museumsinsel bis zum Tierpark Hellabrunn reichen.

Füßl arbeitet übrigens schon an weiteren Büchern. Eine Biografie über Museumsgründer Oskar von Miller ist fast fertig. Das Nächste widmet er dessen engstem Mitarbeiter Artur Schönberg.

Wilhelm Füßl: "Schatzkammer für Technik und Wissenschaft" (29,90 €, Verlag Dt. Museum)

Das erste Foto von München

Carl August von Steinheil und Franz von Kobell haben im Jahr 1839 die ersten Fotos mit selbst konstruierten Kameras angefertigt.

Blick auf St. Michael: Die Aufnahme stammt von 1839.
Blick auf St. Michael: Die Aufnahme stammt von 1839. © Daniel von Loeper

Im selben Jahr hatte der französische Maler Louis Daguerre erstmals fotografische Aufnahmen veröffentlicht. Das Papiernegativ gilt heute als erstes Foto, das jemals von München gemacht worden ist. Es wurde in der heutigen Fußgängerzone in der Neuhauser Straße aufgenommen. Die Fassade von St. Michael und die Augustinerkirche sind gut zu erkennen. Gefunden wurde dieses Dokument aus der Frühzeit der Fotografie 1994. Es lag in einem verschmutzten Umschlag im Nachlass von Steinheil.

Das älteste Stück

Eine Pergamenthandschrift des Universalgelehrten, Philosophen, Theologen und Bischofs Albertus Magnus (1193-1280) ist der älteste Schatz im Archiv des Deutschen Museums. Der erste Satz des "Physicorum Libri VIII" lautet aus dem Lateinischen übersetzt:

PK in Deutsches Museum, Bibliothek Deutsches Museum, Wilhelm Füßl, Foto: Daniel von Loeper
PK in Deutsches Museum, Bibliothek Deutsches Museum, Wilhelm Füßl, Foto: Daniel von Loeper © Daniel von Loeper

"Es beginnt das Buch der physikalischen Erkenntnisse". 129 Seiten aus Tierhaut sind eng beschrieben. Um Platz zu sparen, wimmelt es nur so von Abkürzungen. "Niedergeschrieben hat es Albertus Magnus nicht selbst, dafür gab es mittelalterliche Schreibstuben", sagt Füßl. Die Handschrift wurde 1912 in einem Münchner Antiquariat entdeckt. Wilhelm Füßl: "500 Mark hat sie gekostet. Heute müsste man ein paar Nullen dranhängen."

Der Code der Kernspaltung

Es ist ein unscheinbares Notizbuch voller Zahlen - eines, das die Welt veränderte. Denn es dokumentiert die Entdeckung der Kernspaltung. Die Chemiker Otto Hahn und Fritz Straßmann sowie die Physikerin Lise Meitner wollten durch die Bestrahlung von Uran Elemente erzeugen, die schwerer als das Ausgangsmaterial sind.

Otto Hahns Laborbuch.
Otto Hahns Laborbuch. © Daniel von Loeper

Vom 16. auf den 17. Dezember 1938 geschah bei einem ihrer Experimente etwas, das sie sich erst nicht richtig erklären konnten. Sie hatten eine Uranprobe mit Neutronen bestrahlt, dabei entstanden mehrere neue radioaktive Isotope. Hahn publizierte die Entdeckung, ab 1939 wurde der Versuch vielfach weltweit wiederholt. Letztlich führte das Experiment zum Atombombeneinsatz in Hiroshima. Hahn bekam nach dem Krieg den Nobelpreis. Sein "Laborbuch" vermachte er 1960 dem Deutschen Museum.

Das erste Foto einer Frau

Bei den Ausräumarbeiten in den Museumsdepots kam 2018 eine Aufnahme zum Vorschein, die weder eine Inventarnummer trug noch einem Objektbestand zugeordnet werden konnte. Heute zählt sie zum Rarissima-Bestand des Archivs. Es handelt sich um eine sehr frühe Daguerreotypie, vermutlich von 1839. Sie gehört zum Nachlass des Chemikers Eilhard Mitscherlich, den sein Sohn Alexander Mitscherlich dem Deutschen Museum vermachte.

Dieses Porträt entstand 1839.
Dieses Porträt entstand 1839. © Daniel von Loeper

Der Porträtierte ist der Astronom Johann Franz Encke (1791-1865). Das Foto ist von Eilhard Mitscherlichs Frau Laura - wohl der ersten bekannten deutschen Fotografin. Möglicherweise sogar weltweit.

Spionage-Fibel

Wilhelm Füßls Lieblingsstück im Archiv ist das "Spionagetagebuch", ein Skizzenbuch von Georg von Reichenbach. Der Münchner Ingenieur reiste 1791 als junger Mann nach England, um dort im Auftrag der bayerischen Regierung Industriespionage zu betreiben. Dem Münchner hatten es vor allem die Dampfmaschinen von James Watt angetan.

Eine Watt'sche Dampfmaschine.
Eine Watt'sche Dampfmaschine. © Daniel von Loeper

Doch der wollte den jungen Deutschen nicht in seine Geheimnisse einweihen. Daraufhin verschaffte sich Reichenbach heimlich nachts Zugang zu Watts Fabriken. Damit das gelang, bestach er Mitarbeiter mit Whisky und Tabak, wie er in Briefen festhielt. Füßl: "Ein paar Jahre später wurden dann auch in Bayern Dampfmaschinen gebaut." Nach Reichenbach sind eine Straße und eine Brücke benannt.

Hitchcocks Vogelgeschrei

Den Film "Die Vögel" von Alfred Hitchcock kennen wohl die meisten. Einen großen Anteil am Gruseleffekt haben die Filmmusik und das Geschrei der Vögel. So sehr es auch unter die Haut geht, echt ist es nicht. Die Geräusche samt Vogelgeschrei hat der Berliner Oskar Sala auf einem Instrument erzeugt, einem Trautonium. Sala gilt als Pionier der elektronischen Musik.

Tonband von Oskar Sala.
Tonband von Oskar Sala. © Daniel von Loeper

Er entwickelte ein Instrument, das Friedrich Trautwein 1930 gebaut hatte, systematisch weiter. Bis zu seinem Tod war Sala der Einzige, der es spielen konnte. Er hat seinen Nachlass dem Deutschen Museum vermacht. Darunter sind fast 2.000 Tonträger, die mittlerweile digitalisiert wurden. Sie umfassen 20.000 Dateien mit einem Volumen von vier Terabyte.

Graf Zeppelins Rede

Der älteste Tonträger im Archiv ist eine Rede von 1908: "Ein Wort des Grafen Zeppelin an das deutsche Volk": Bei der Ansprache handelt es sich um eine Dankesrede für die "Zeppelinspende des deutschen Volkes". Hintergrund war der Absturz des Starrluftschiffs LZ 4 in Echterdingen am 5. August 1908, der die weiteren Entwicklungen zu stoppen drohte.

1908 auf Schellack gepresst.
1908 auf Schellack gepresst. © Daniel von Loeper

Durch einen anonymen Aufruf kamen sechs Millionen Mark Spenden zusammen. Sie ermöglichten dem Grafen den Bau weiterer Luftschiffe. In der Rede verspricht der Graf: "Meine Luftschiffe werden bald zu den betriebssichersten Fahrzeugen zählen, mit welchen weite Reisen bei verhältnismäßig geringster Gefahr für Leib und Leben der Insassen ausführbar sind." Die Rede wurde auf zwei Schellackplatten gepresst, die in einer samtbezogenen Schmuckkassette liegen.

Das NS-Atomprogramm

Das größte Aufsehen in seiner Karriere hat Füßl mit der Veröffentlichung der Papiere zum deutschen Atomprogramm der Nazizeit erregt. Am 18. Dezember 1998 konnte das Archiv des Deutschen Museums die Geheimdokumente übernehmen. Die Originale wurden 1944 und 1945 von einem Spezialkommando der US-Streitkräfte namens "Alsos" in Deutschland beschlagnahmt oder sind auf die Verhöre durch "Alsos" zurückzuführen.

Mit "Geheim-Stempel".
Mit "Geheim-Stempel". © Daniel von Loeper

Die Dokumente umfassen 11.602 Seiten. Dazu gehört auch ein Bericht des Physikers Carl Friedrich von Weizsäcker vom 17. Juli 1940. Titel: "Eine Möglichkeit der Energiegewinnung aus 238U", den er für das Heereswaffenamt der Nazis geschrieben hat.

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  • Der wahre tscharlie am 23.11.2022 16:38 Uhr / Bewertung:

    Unglaublich, was für Schätze im Archiv des Deutschen Museeums lagern.

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