„Des is ja wie a Derby“: Fußball beim Türk Gücü München

Ein gewisser Cacau machte hier seine ersten Fußballschritte in Deutschland. Bei Türk Gücü sind sie stolz auf ihren Beitrag zur Integration. Das Thema Rassismus wischt man lieber beiseite.
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Links unten, das ist er: Cacau, im Dress von Türk Gücü München, im September 2000. Hier wurde der Nationalspieler entdeckt.
Thomas Gaulke Links unten, das ist er: Cacau, im Dress von Türk Gücü München, im September 2000. Hier wurde der Nationalspieler entdeckt.

MÜNCHEN - Ein gewisser Cacau machte hier seine ersten Fußballschritte in Deutschland. Bei Türk Gücü sind sie stolz auf ihren Beitrag zur Integration. Das Thema Rassismus wischt man lieber beiseite.

So was müsste mal wieder passieren. „Da kommt so ein dunkler Typ mit zwei Aldi-Tüten“, erzählt Senol Duman, „und der fragt: ,Kann ich hier mitspielen?’ – Den hamma integriert.“

Duman lacht über die Geschichte. Zehn Jahre ist sie her, und „der Typ mit den Aldi-Tüten“ spielt heute in der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Cacau heißt er, seine ersten Schritte in Deutschland machte er bei „den Türken“, hier in München. Bei Türk Gücü.

Noch heute erinnert sich Cacau „an die Freude am Spiel, den Stolz“, und die Sprachschwierigkeiten bei Türk Gücü. „Hoffentlich schießt Cacau nicht das Siegtor am Freitag“, sagt Duman, er ist Fußball-Abteilungsleiter. Das Länderspiel Deutschland - Türkei ist natürlich auch Thema an diesem kühlen Herbstabend in Berg am Laim. „Des is ja wie a Derby“, sagt Duman, Sein bayerischer Akzent ist so stark wie sein türkischer.

Das Spiel ist mehr als ein Kick. Nicht nur, weil die beiden Favoriten der Gruppe A zur Fußball-EM-Qualifikation aufeinandertreffen.

Da spielt ein Mesut Özil für Deutschland und ein Nuri Sahin für die Türkei, in Deutschland geboren sind sie beide. Und die Atmosphäre im Land ist angespannter. Nach der ätzenden und quälenden Sarrazin-Debatte lohnt sich ein genauerer Blick auf das Verhältnis zwischen Deutschen und den „Zuagroasten“. Eine Spurensuche im Leben des traditionsreichsten türkischem Sportvereines von München.

Wo schlägt denn nun das Herz am Freitag: „Natürlich für die Deutschen, ich bin schließlich einer.“ In dröhnendem Bass sagt das der Trainer, Bernd Weiß heißt er, Typ bayerisches Mannsbild, seit 25 Jahren im Geschäft.

„Für die Türkei natürlich“, sagt Gökhan Üstün. Er ist der Kaptitän und mit 35 auch ein alter Hase. Seinen Torwart nimmt er beherzt in den Arm. „Mit ihm haben wir Sprachschwierigkeiten“, feixt Üstün. Max Angerbauer heißt der Schlussmann: „Ich fühl mich hier sauwohl“ sagt der Keeper, „Die Sprache auf dem Platz ist eh Deutsch, nur ihre Geheimkommandos versteh’ ich halt manchmal nicht.“

Angerbauer lacht, die Sprache ist nicht das Hauptproblem, das die Mannschaft plagt. „Eigentlich wollte ich letztes Jahr aufhören“, sagt Bernd Weiß, der Trainer. „Aber dann gab’s hier sportlich wohl Nöte.“ Nurdogan Özcan nickt, der Vereinsvize und sein Sportdirektor Duman haben Türk Gücü schon in besseren Tagen gesehen. Sie haben Weiß verpflichtet, als Retter vor dem Abstieg in die achte Liga: „Das wird verdammt schwer,“ meint Weiß.

„Türkische Kraft,“ heißt Türk Gücü, und die war mal größer. Lang vorbei die Bayernliga-Zeiten Mitte der Neunziger. Über die Landesliga ging’s in der wechselvollen Geschichte bergab in die Bezirksliga Nord. Am Wochenende gab’s eine 7:3 Klatsche in Hilgertshausen. Aktuell sind sie am vorletzten Platz, die Jungs, die aufs Training warten. Am Wochenende ist Kellerduell gegen Allershausen, die Stimmung ist trotzig gut.

„Wir haben Iraker, Albaner, einen Afghanen, und einen Brasilianer haben wir auch“, sagt Özcan stolz, wie damals bei Cacau. „Wir tun was die für die Integration. Wir holen die Jungs von der Straße.“

Ist der Sport ein gutes Mittel der Integration? „Richtig verstanden, ist Sport wie gemacht dafür“ sagt Gunter A. Pilz. Fälle wie Sami Khedira oder Mesut Özil seien „sehr positive Beispiele dafür, was Sport leisten kann“. Der Sportsoziologe erforscht seit 30 Jahren die Wechselwirkung zwischen Sport und Gesellschaft.

„Wenn Sie in eine fremde Stadt ziehen, ist der Sportverein der erste Schritt aus der Isolierung“, sagt Pilz. „Wenn die Vereinskameraden aber nicht akzeptieren, dass Sie keine Schweinswürstl essen und keinen Alkohol trinken auf der Siegesfeier, dann fühlen Sie sich nicht heimisch.“ Ethnische Vereine wie „Türk Gücü“ seien daher vor allem für Neuankömmlinge „der erste Schritt zur Integration“.

Mittlerweile gibt es 13 Vereine mit türkischen Namen im Kreis München, 200 der 450 Mitglieder von Türk Gücü sind aktive Sportler. „Neun Mannschaften haben wir“, sagt Duman. Im Hauptberuf ist er Aufzugsmonteur, und doch steht er „vier mal die Woche mindestens“ auf dem Platz. „Alles ehrenamtlich natürlich, meine Frau macht Stress.“

Klingt alles sehr idyllisch. Gibt es keine Probleme? „Natürlich gibt es Provokationen“, sagt Duman: „Aber da sind unsere Spieler abgebrüht,“ behauptet er. Wie ist das, wenn ein 15-jähriger in der Jugendmannschaft beim Auswärtsspiel die volle Ladung rassistischer Sprüche abkriegt? Bewirkt das nicht das Gegenteil von Integration? „Das passiert ihm auch in gemischten Mannschaften“ sagt Fanforscher Pilz zur AZ. Und auch Kapitän Üstun wischt das Thema Rassismus lieber beiseite: „Es ist eher so, dass türkischstämmige Schiedsrichter gegen uns pfeifen“, sagt der „Kapo“, im Hauptberuf Sportartikelverkäufer: „Die wollen nicht in Verdacht geraten, für uns parteiisch zu sein.“

Und doch, ein Gefühl der Benachteiligung gibt es auch: „Wir sollen Jugendarbeit leisten, für Integration kämpfen, aber eine eigene Anlage bekommen wr nicht,“ klagt Präside Özcan. Es gibt Reibereien mit dem SV Schwarz-Weiß bei dem man nur Untermieter ist. Um Trainingsplätze, Umkleiden und Kabinen: „Aber wir denken positiv.“

Auch am Freitag? Fußball-Abteilungsleiter Duman hat keine Zeit, nach Berlin zu fahren: Im Gegensatz zum Präsidenten. „Ich fahre mit meiner Frau hoch“ sagt Taskin Akkay: „Natürlich halte ich zur Türkei, aber meine Frau ist keine Unterstützung, die ist Deutsche.“

Auf einen Tipp fürs Spiel wollen sich weder Vorstand noch Sportchef einlassen: „Ich will nur, dass beide weiter kommen“, sagt Duman diplomatisch.

Die Hoffnung lebt bei Türk Gücu. Auch darauf, dass vielleicht wieder mal so ein Typ mit zwei Aldi-Tüten vorbeikommt und fragt, ob er mitspielen darf.

Matthias Maus

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