Der Rikscha-Pionier: München elektrisch entdecken

Einst als Fahrer für Touristen gestartet, hat Falk Hilber schon früh an elektrisch betriebenen Lastenrädern getüfelt. Ein AZ-Werkstattbesuch im Schwabinger Westen.
Marie Heßlinger |
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Und los geht die Fahrt: Falk Hilber auf der Rikscha draußen in Schwabing.
Daniel von Loeper 4 Und los geht die Fahrt: Falk Hilber auf der Rikscha draußen in Schwabing.
Man muss schon genau hinschauen, um die elektronische Unterstützung auszumachen.
Daniel Loeper 4 Man muss schon genau hinschauen, um die elektronische Unterstützung auszumachen.
In seinem Element: Hilber bei der Arbeit
Daniel von Loeper 4 In seinem Element: Hilber bei der Arbeit
Alles an seinem Platz: Werkzeug in der Werkstatt.
Daniel von Loeper 4 Alles an seinem Platz: Werkzeug in der Werkstatt.

München - Die Garagentore in der Schleißheimer Straße 183 sehen mit ihren Flügeltüren aus wie die eines Pferdestalles. Und was Falk Hilber dazwischen hervorschiebt, sieht auch ein bisschen aus wie eine Pferdekutsche.

Der Rahmen glänzt schwarz, die Sitze sind aus braunem Kunstleder. Das Fahrzeug hat Sicherheitsgurte, eine filigrane Überdachung und Lampen an der Front. Wer sich in die Sitze sinken lässt, spürt Wind auf seinen Wangen und hört ein leises Surren: Das "City Modell" ist eine Rikscha mit Elektroantrieb. Ein E-Bike also, mit dem man Touristen-Paare wie in einer Kutsche vor sich herschieben kann - oder Kinder und Senioren.

Man muss schon genau hinschauen, um die elektronische Unterstützung auszumachen.
Man muss schon genau hinschauen, um die elektronische Unterstützung auszumachen. © Daniel Loeper

Schon vor Jahren hat Falk Hilber damit begonnen, an einer E-Rikscha zu basteln, die sich an Privatkunden verkaufen ließe. Hilber hat unter anderem die Internet-Plattform rikschaguide.com ins Leben gerufen, auf der Rikscha-Fahrer ihre Dienste anbieten.

Immer wieder hatten Familien ihn darauf angesprochen, ob er ein solches Fahrrad auch verkaufe - was er verneinte. Dann kam Corona. Und Hilber und seine Kollegen hatten Zeit, E-Rikschas in Handarbeit für den Verkauf zu fertigen. "Genieß es", sagt der 35-Jährige nun, während er in die Pedale tritt.

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Rikschas als Ersatz für Sänftenträger

Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in Japan die Rikscha: Sänftenträger wurden durch zwei Reifen ersetzt, und nun zog nur noch ein Mensch das Gefährt. Später wurde auch der Vordermann durch ein Rad ersetzt - die Fahrradrikschas waren geboren. 1997 gab es die ersten in München. Zehn Jahre später kam Falk Hilber in Kontakt mit ihnen: Sein Bruder arbeitete als Rikscha-Fahrer. Hilber schloss sich an.

"Das war Höchstleistungssport", erinnert sich Hilber an jene Zeit, als er 22 war und Menschen in der Rikscha herumfuhr. Zur Hochsaison wie der Wiesnzeit um die 17 Stunden pro Tag.

"Da ging man wirklich an die Grenzen des körperlich Machbaren." Seine Oberschenkel brannten und wuchsen. Abends traf er die anderen Rikschafahrer ausgehungert im Wirtshaus. "Wir haben weggefuttert, was ging."

Die Arbeit machte ihm Freude. "Mit meinen Fahrgästen Touren zu unternehmen, die Geschichte der Stadt zu erzählen, man hat gutes Geld verdient", zählt Hilber die Vorzüge seiner Arbeit auf.

Er hat die kleine Fahrradtour nun beendet und sitzt zwischen Werkbänken und Hebebühne. Hilber hat eine weiche Stimme, einen melodischen Singsang.

In seinem Element: Hilber bei der Arbeit
In seinem Element: Hilber bei der Arbeit © Daniel von Loeper

Er ist Philosoph. Erst spät bei einem Aufenthalt in Jordanien beschloss er, sein Leben ganz der Rikscha zu widmen.

Eigentlich war es ein Missgeschick, das Hilber diesen Weg aufzeigte. Damals arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität in München am Lehrstuhl für arabische Philosophie. Für einen Arabischkurs zog er nach Jordanien. Doch dort in Amman fiel auf, dass er für die Verlängerung seines Doktorats versehentlich einen Euro Studiengebühr zu wenig überwiesen hatte.

"Höchstleistungssport": Rikschafahren ohne Unterstützung

Hilber wurde exmatrikuliert, mit der Möglichkeit, das Geld nachträglich zu überweisen. Er war drauf und dran, das zu tun. Doch gleichzeitig riefen ihn seine Rikscha-Kollegen an, für deren Arbeit er sich in den Vorjahren in München politisch engagiert hatte. "Komm zurück", sagten sie.

Hilber beschloss, das mit dem Doktor sein zu lassen. "Ich schrieb sofort eine zweite E-Mail, dass das doch so passt mit dem fehlenden Euro und ich die Universität verlassen werde", erinnert Hilber sich. Er kam zurück nach München, und gründete die Plattform rikschaguide.com. Das war 2017.

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Schon einige Jahre zuvor hatte Hilber mit Rikscha-Kollegen begonnen, Rikschas mit E-Antrieb zu bauen. "Wir waren da echt die Pioniere", sagt Hilber über jene Zeit vor zehn Jahren, "da war noch nichts mit E-Mobilität und E-Bikes." Heute indes gebe es kaum mehr einen professionellen Rikscha-Fahrer, der ohne E-Antrieb fahre.

Und nun scheint sich ein neuer Wandel zu vollziehen: Die Rikscha soll Privatgefährt werden. Mehr als 6000 Euro kostet das "City Modell", die E-Rikscha von Hilber und seinen Kollegen der Manufaktur Coolly. Leise soll das Fahrzeug sein, und "richtig robust, langlebig, mit einem geringen Wartungsaufwand", sagt Hilber.

Alles an seinem Platz: Werkzeug in der Werkstatt.
Alles an seinem Platz: Werkzeug in der Werkstatt. © Daniel von Loeper

Technische Transformation - aber schrittweise

Weil laut Hilber vermehrt auch Altersheime Bedarf an Rikschas angemeldet hätten, haben sein Team und er zudem ein Modell für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung entwickelt: Es hat mehr Griffe zum Festhalten, die Fußleiste lässt sich abnehmen. Und dank des E-Antriebs muss nun kein Fahrer mehr so in die Pedale treten wie Hilber damals.

Dass der für die Batterien nötige Rohstoff Lithium begrenzt ist und unter fragwürdigen Bedingungen abgebaut wird, dass die Akkus der E-Bikes noch nicht vollständig recycelbar sind, sieht Hilber dabei durchaus kritisch. "Jetzt wird's philosophisch", sagt er. "Ich glaube, dass technische Transformation nachhaltig möglich ist. Aber das ist ein sukzessiver Prozess."

Der Philosophie hat Hilber den Rücken nicht ganz zugekehrt. "Ich schreibe", sagt er. Veröffentlicht habe er noch nichts. Aber: "Who knows. Eins nach dem anderen." Dann muss Hilber los. Zur nächsten Tour. Er fährt zwei Touristen zwei Stunden durch die Altstadt und den Englischen Garten.

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