Serie

Der Obststandl-Didi und seine Kindheit in den 60ern: Ich und die Schweigerbande

In Teil 1 der AZ-Serie erinnert sich der Obststandl-Didi, 1958 geboren, an den ersten Schultag, Mutproben in Haidhausen - und das Wichtigste überhaupt: wie er als Siebenjähriger mit den Sechzgern Deutscher Meister wird.
von  Obststandl-Didi (alias Dieter Schweiger), Protokoll Irene Kleber
Lausbua Didi (l.) mit seinem Bruder Schorschi (r.) und dem Spezi Franzi Mitte der 1960er am Eisbach im Englischen Garten.
Lausbua Didi (l.) mit seinem Bruder Schorschi (r.) und dem Spezi Franzi Mitte der 1960er am Eisbach im Englischen Garten. © privat / Repro: Sigi Müller

München ist ja sowieso schön, aber in den 1960ern! Da war München sauschön. Da war ich im Englischen Garten Räuber und Schandi spielen, bin in den Eisbach reingesprungen, da hat er noch gar nicht Eisbach geheißen, da waren auch noch keine Surfer da.

Aufgewachsen bin ich erst in Berg am Laim, meine Eltern, mein Bruder Schorschi, der Fernseh und ich, wir haben in einem winzigen Häusl auf 30 Quadratmeter gewohnt. 1964 sind wir nach Haidhausen umgezogen, in die Comeniusstraße 8. In der Straße wohn ich heute noch, nach 57 Jahren, bloß jetzt auf Hausnummer 3.

Didi 1961 mit seiner Mama in Berg am Laim. Da wohnen sie in diesem winzigen Häusl auf 30 Quadratmetern - aber mit tollem Garten.
Didi 1961 mit seiner Mama in Berg am Laim. Da wohnen sie in diesem winzigen Häusl auf 30 Quadratmetern - aber mit tollem Garten. © privat / Repro: Sigi Müller

Fußballspielen mit den Cousins im Gang

Die Haidhauser Wohnung war 100 Quadratmeter groß und die einzige im Haus mit Bad. Der Gang war 15 Meter lang, und immer wenn meine Cousins da waren, haben wir da Fußball gespielt, zum Leidwesen vom Ehepaar Straubinger unter uns. Die Wohnung hätten wir ohne meinen Opa nie bekommen. Mein Vater war Hochkranführer und Alleinverdiener, das war den Vermietern damals wie heute zu riskant. Aber dann hat der Opa Weisenbach, ein Bauunternehmer aus Trudering, die Miete ein Jahr im Voraus bezahlt. Da ist der Vermieter weich geworden. Meine Eltern wohnen da immer noch.

Wir Kinder sind im Winter damals am Maxibergerl beim Maximilianeum Schlittenfahren gewesen, und am Friedensengel hat man Skifahren können. Wir waren nicht so perfekt angezogen wie heute im Schnee, aber in unserer Küche ist ein Sofa gestanden und ein Holzofen. Ich hab also nach dem Schlittenfahren meine eisigen Haxn ins Backrohr reingehängt und die blaugefrorenen Zehen wieder aufgetaut.

Heute schaut der Obststandl-Didi natürlich so aus, am Standl an der Uni.
Heute schaut der Obststandl-Didi natürlich so aus, am Standl an der Uni. © Sigi Müller

Milch, Eier, Brezn, Zigaretten - Einkaufen in Haidhausen

Haidhausen war in den 1960ern zwar kein Glasscherbenviertel mehr, aber so ein Mittelding schon. Im Viertel haben noch viele alte Leut gewohnt, und da war natürlich die Milchfrau, die Frau Brenner, die hat aus einer Pumpe die Milch in eine Glasflasche eingeschenkt, die man daheim selber ausgewaschen hat, der Liter 40 Pfennig. Da hast auch am Sonntag hinten läuten können, Tschuldigung, der Mama san d'Eier ausganga.

Vorn am Eck hatte der Pröbstl sein Lebensmittelgeschäft und in der Sedanstraße waren gleich zwei Kramerläden. Die Semmel hat acht Pfennig gekostet, die Brezn zehn Pfennig und das Zigarettenpackerl zwei Markl.

Didi auf dem Arm vom Onkel Hermann im Tierpark Hellabrunn.
Didi auf dem Arm vom Onkel Hermann im Tierpark Hellabrunn. © privat / Repro: Sigi Müller

Dann sind die Supermärkte gekommen. Die Oma war mal dort, weil man gesagt hat, dass es da viel billiger ist. Aber dann hat sie an der Kassenschlange so pressieren müssen mit dem Kleingeldsuchen, keine Kramerin hat gfragt, wie's ihrem Hund, ihrem Mann, ihrem Kanarienvogel geht oder besprochen, wie man was kocht oder brät. Wie man dann zurück zum Kramer wollte, weil man gemerkt hat, dass es da viel schöner ist, war kein Kramer mehr da. Die Milchfrau hat Ende der 1960er zugesperrt.

In zehn Sekunden in der Wörthschule

Ich bin in der Wörthschule eingeschult worden, Comenius- Ecke Wörthstraße, mit Schultüte, Stoffhose, Pulli und Fliege. Unser Vater hat immer drauf gschaut, dass wir Buben ordentlich ausschauen. Den Lederschulranzen und meinen ersten Setzkasten, wo die Buchstaben drin waren, hätte ich heut noch gern.

Ich hab den kürzesten Schulweg von allen gehabt, weil unsere Wohnung schräg gegenüber von der Schule war, in zehn Sekunden war ich dort. Bis der Schneider-Rotzbub gekommen ist, der hat direkt gegenüber von der Schule gewohnt, noch näher, und hat mir den Rang abgelaufen. Ich seh den heute noch manchmal, wir lachen immer noch drüber.

Didi - Anführer der Schweigerbande

Wir Lausbuam aus Haidhausen, sechs Stück, haben damals an der Kobellwiesn hinterhalb vom Hofbräukeller die gefürchtete Schweigerbande gehabt, nach mir benannt, weil ich war der Anführer. Wir haben Fußball gespielt, im Gebüsch die ersten Zigaretten geraucht, Pfeil und Bogen gschossn und Blasröhrl, immer auf d'Leut und dann hamma uns versteckt.

Mutproben haben auch dazu gehört, und so hab ich einmal einen Apfel stehlen müssen, draußen in der Auslage beim Lebensmittelgschäft am Eck Sedan-/Metzstraße. Leider hat mich die Nachbarin gesehen. Und am Abend hat ihr Mann, der Anwalt Klaus Rossmann, zwei Meter groß, bei meinen Eltern geläutet...

Ich hab natürlich als Strafe gleich ins Bett müssen. Aber wie ich in der Früh erklär, dass das eine Mutprobe war, sagt der Vater: Ja mei, des is dann ja koa Stehlen ned. Die Schweigerbande hat's bis zur fünften Klasse gegeben. Dann hamma gsagt, jetzt müssma aufhörn mit dem Schmarrn.

65er Mercedes Ponton - das Lieblingsauto

In meiner Kindheit waren in Haidhausen zwei Kohlenhändler, der Frey in der Metzgerstraße und einer in der Preysing, die haben ihre Kohlen mit der Pferdekutsche ausgefahren. In der Innenstadt ist die Straßenbahn durch die Kaufinger- und Neuhauser Straße gefahren, vom Stachus zum Marienplatz. Da waren die Fußwege eng, trotzdem sind die Leut lässig aneinander

vorbei gegangen. Anders als heut, wo sie dauernd um den Straßenraum streiten. Beim Knagge und Peitz, das war ein Herrenbekleidungsgeschäft, ist es besonders eng gewesen, und vorn beim Augustiner hat man sein Schaschlik heraußen an der kleinen Bude essen können, da war ich mit meinem Vater oft.

Ein Auto haben sie auch damals, diese fesche Borgward Isabella.
Ein Auto haben sie auch damals, diese fesche Borgward Isabella. © privat / Repro: Sigi Müller

Mein Lieblingsauto war der 65er Mercedes Ponton, den mein Opa gehabt hat, schwarz mit Faltdach. Super hab ich auch die Borgward Isabella gefunden und den VW Karmann Ghia.

Eine Mark Eintritt ins Sechzgerstadion

Als ich ein Bub war, hat der FC Bayern München ja praktisch noch barfuß mit Kokosnüssen im Englischen Garten Fußball gespielt. Da hat's für mich bloß einen wichtigen Verein gegeben: 1860 München, weil mir der Radi Radenkovic so gefallen hat. Und weil Giesing genau so derhaut war wie Haidhausen, sind wir Haidhauser zu den Giasingern ins Sechzgerstadion gegangen, der Eintritt war eine Mark.

Dass er immer ein Sechzger war, kann man in seinem Buch nachlesen.
Dass er immer ein Sechzger war, kann man in seinem Buch nachlesen. © Sigi Müller

1965 war ich das erste Mal mit'm Papa da, ich war immer in der Stehhalle an der Mittellinie auf dem Stangerl drobengehockt. Damals hat's im Stadion noch Glasflaschen gegeben, Paulaner und Cola, die wir Buben eingesammelt haben, für 20 Pfennig Pfand. Unser Rekordumsatz waren amal 18 Mark! Mit dem Geld hab ich mir für zehn Mark einen Wimpel gekauft, auf der Vorderseite war Sechzig drauf, auf der Rückseite das legendäre Spiel von 1965 im Wembley-Stadion, West Ham United gegen Sechzig, 2:0, leider.

Die Deutsche Meisterschaft 1966 live miterlebt

Der Wahnsinn war aber, dass ich 1966 als Siebenjähriger die Deutsche Meisterschaft erlebt hab. Beim Endspiel gegen Hamburg war ich im Stadion, bei Regen. Wenn ich heut am Sonntag zu Sechzig geh und eine Ehrenkarte für die Haupttribüne krieg, ist das die größte Ehre für mich. Da hock ich dann neben meinen Meisterlöwen von 1966, Fredy Heiß, Hansi Rebele, Bernd Patzke, mit einer hoibn Bier und a paar Wiener, und mir redn über früher. Da pfeif ich auf jeden VIP-Bereich mit Champagner in der Allianz Arena. Ehrlich.


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