Der Krieg unter Kollegen: Mobbing boomt

Die Mobbing-Beratung München schlägt Alarm: In Zeiten der Krise werden immer mehr Angestellte drangsaliert - die Müncher Fleischfachverkäuferin Maria T. erzählt in der AZ vom täglichem Terror bei der Arbeit.
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30 Jahre Arbeit - und am Ende Psychotherapie: Die Fleischfachverkäuferin Maria T. ist wegen Mobbings krank geschrieben.
Martha Schlüter 30 Jahre Arbeit - und am Ende Psychotherapie: Die Fleischfachverkäuferin Maria T. ist wegen Mobbings krank geschrieben.

MÜNCHEN - Die Mobbing-Beratung München schlägt Alarm: In Zeiten der Krise werden immer mehr Angestellte drangsaliert - die Müncher Fleischfachverkäuferin Maria T. erzählt in der AZ vom täglichem Terror bei der Arbeit.

Sie hat ihren Job und ihre Gesundheit verloren. Warum, weiß Maria T. (Name geändert) nicht genau. Es ging mit Worten los. Blöde Sprüche von Chefs, freche Fragen, falsche Anweisungen. Die Attacken führten zu einer Abmahnung und zum Vorwurf, sie habe gestohlen. Heute ist die Fleischfach-Verkäuferin krank geschrieben: Ende Februar brach sie zusammen, ihre Nerven hielten dem jahrelangen Druck nicht mehr mehr stand. Maria T. hat Schlafstörungen, ihr Selbstvertrauen ist zerschmettert. Sie geht nicht mehr zur Arbeit – sie geht zur Psychotherapie.

So wie ihr geht es zurzeit vielen in München. Mobbing in der Firma nimmt zu – wegen der Wirtschaftskrise. Das bekommen auch die Telefonseelsorger der Mobbing Beratung München mit: Rund 20 Menschen rufen jede Woche beim Mobbing-Telefon an, in ganz Deutschland sind rund 1,5 Millionen Menschen betroffen.. „Die Hintergründe haben jetzt immer öfter mit der Krise zu tun. Die Angst um den Arbeitsplatz begünstigt Mobbing“, sagt der Initiator der Beratung, Psychologe Ludwig Gunkel. Betroffen sind vor allem ältere gestellte. „Sie stellen fest, dass es mehr Kritik an ihrer Arbeit gibt. Kleinigkeiten werden zu Konflikten, aber niemand unternimmt einen ernsthaften Versuch, die Dinge zu klären, so dass sie weiter eskalieren und zu Mobbing ausarten.“

Die Attacken bei der Arbeit wirken wie ein schleichendes Gift. Gunkel definiert Mobbing als „unfaire und unsachliche Attacken über längere Zeit hinweg.“ Die Angst und der Konkurrenzdruck machen Kollegen oder Chefs zu Feinden. „Da kommen Sprüche, dass Alte zu teuer sind und weniger Leistung bringen.“ Die wenigsten wehren sich dagegen. Weil sie nicht können. Maria T. arbeitete seit 30 Jahren in der Münchner Metzgerei. Die 52-Jährige galt als die beste Verkäuferin ihrer Filiale und machte auch mal selbstbewusst den Mund auf – auch gegenüber ihren Chefs. „So habe ich es gelernt. Ich tat es für die Firma, sie war wie eine Familie für mich. Der Job war mein Leben.“

Wie ein Putzlappen behandelt

Das wurde jahrzehntelang honoriert: Maria T. wurde übertariflich bezahlt. Sie bekam Weihnachtsgeld. Kam der Geschäftsführer in die Filiale, schüttelte er ihre Hand. Anfang 2008 änderte sich das. Für den neuen Bezirksleiter war Maria kein Leistungsträger – sie war ein Problem: „Er kritisierte mich ständig, behandelte mich wie einen Putzlappen, auf den er herumtrampeln kann – auch vor anderen. Ihm war nie etwas gut genug.“

Anfangs blieb sie stark, dann bekam ihr Panzer erste Risse. „Ich war immer in Hab-Acht-Stellung, dachte: Was versucht er heute?“ Als sie Ende Januar nach einigen Tagen Krankheit in den Laden kam, rief der Chef sie in sein Büro. Ob das so weitergehen würde mit ihrer Gesundheit. Sie könne ja aufhören, den „Dienst quittieren.“ Einen Monat später der nächste Schlag: Eine Abmahnung wegen Diebstahls. Maria T. hatte übrig gebliebenes Essen mitgenommen.„Das war nie ein Problem gewesen.“ Diesmal schon.

Die Abmahnung riss das, was von Marias Selbstvertrauen blieb, in Stücke. Sie ließ sich sofort krank schreiben, bis heute kehrte sie nicht mehr in die Arbeit zurück. Sie schrieb einen Brief an den Geschäftsführer – keine Antwort. Ihr Anwalt schickte einen zweiten. Keine Reaktion. Das machte alles nur noch schlimmer: Nachts konnte die zweifache Mutter nicht schlafen, tagsüber heulte sie die ganze Zeit. Sie machte sich Vorwürfe, was laut Experten bei Mobbing-Opfern typisch ist. „Ich habe erst in der Psychotherapie gelernt, mir nicht die Schuld zu geben.“

Heute ist sie sicher, dass ihr Chef sie los werden wollte. Sie war zu alt, zu taff und zu teuer, „Jetzt stellt er junge, billige Lehrlinge ein und gibt ihnen einen Halbjahresvertrag. Ich bin bestimmt nicht die Letzte, die so gehen muss.“ Ihre Kollegen haben ihr eben aus diesem Grund nicht geholfen, meint sie. „Die haben ja alle Angst um ihren Job.“ Was aus ihr jetzt wird, kann Maria T. nicht sagen, nur eins ist klar: Zurück geht sie auf keinen Fall. „Lieber gehe ich putzen.“

Thomas Gautier

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