Der Kern des Ganzen

Michi Kern (48) hat ja schon so einiges an- und auf die Beine gestellt in München, vor allem im Nachtleben. Dabei hat er festgestellt: „In der Gastronomie leidet der Kopf.“ Dagegen geht er vor.
Stephanie Schönberger |
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„Ich habe die Möglichkeit, etwas Geld und außerdem ein echtes Interesse, etwas zu bewegen“: Michi Kern.
Daniel von Loeper „Ich habe die Möglichkeit, etwas Geld und außerdem ein echtes Interesse, etwas zu bewegen“: Michi Kern.

München - Zeit? Doch, so 30, 40 Minuten habe er schon, um über sein neues Projekt im Besonderen und sein Leben im Allgemeinen zu sprechen.

Aber erst mal was essen. Auch einen Kuchen? Oder lieber ein Sandwich? Beides vegan natürlich. Und auch Vishnu braucht noch etwas fürs Wohlbefinden. Wasser wäre gut. Der Hund hat Durst. Aber dann kann’s losgehen.

Michi Kern (48), der Mann, der mit seinen Restaurants, Nachtclubs, Cafés, Yoga-Studios und jetzt auch einer Buchhandlung dafür sorgt, dass es den Münchnern nicht langweilig wird in ihrer Stadt, ist bereit. Fangen wir an?

Er sitzt ziemlich entspannt an einem der großen Holztische im Lost Weekend, seinem neuen Baby in der Schellingstraße 3. Buchhandlung und veganes Café in einem ist der Laden mit den hohen Decken.

Die angebotene Literaturauswahl ist eher klein, dafür ungewöhnlich und gut. 3000 Reclam-Bände hat er im Programm, dazu Graphic Novels, Reportagen, Romane, Geschichte, Politik. „Und wenn man alles durch hat, landet man bei den Philosophie-Büchern“, sagt Kern. Weil man wissen möchte, wer sich das mit dem Leben und Dasein alles ausgedacht hat. Er fühle sich wohl hier, sagt er. Vielleicht, weil sich für ihn im und mit dem Lost Weekend so etwas wie ein Kreis schließt.

Früher war hier die traditionsreiche Universitäts-Buchhandlung Heinrich Frank untergebracht, deren Besitzer vor zwei Jahren dann Insolvenz anmelden musste. „Jeder kannte diesen Laden“, sagt Kern. Er natürlich auch.

Anfang der 90er Jahre, nach seinem Zivildienst als Rettungssanitäter, hatte er nämlich begonnen, an der LMU Linguistik zu studieren. Lange hat es ihn damals allerdings nicht an der Uni gehalten. Nach der Zwischenprüfung war Schluss. In der Gastronomie, sagt er, hätte man einfach besser verdient. Nicht, dass es ihm um den fantastischen Banker-Reichtum ging. Aber Geld helfe nun mal, unabhängig zu sein. Und Unabhängigkeit ist ihm wichtig. Mehrere Standbeine zu haben, auch. „Das nimmt den Druck“, sagt er. Darum ist Michi Kern eben auch nicht nur Groß-Gastronom.

Café Reitschule, Zerwirk, Pacha und viele Läden mehr Betrachtet man seine Karriere, muss man sofort an die Redewendung „vom Tellerwäscher zum Millionär“ denken – auch wenn er sagt, er sei „monetär kein reicher Mann“. Allerdings reiche es durchaus, um gut leben zu können.

In vier Phasen hat er seinen Werdegang eingeteilt: Die „Arbeitsjahre“ als Barspüler, Gläserabräumer und Türsteher, die 1987 begannen. Seine „beste Zeit“, die er als Techno-Party-Veranstalter und Disko-Besitzer von Clubs wie der Nachtkantine und dem Ultraschall zwischen 1991 und 1996 feierte. Danach die „Macher-Jahre“, in denen er mit wechselnden Partnern 35 Läden hochzog, unter anderem das Café Reitschule, das Zerwirk und das Pacha, seinen – wie er sagt – bis heute „kommerziell erfolgreichsten Laden“.

Ab 2007 dann die „Beruhigung“ mit Yoga und seinem Philosophie-Studium, dessen Master-Abschluss noch ansteht. Warum ausgerechnet Philosophie? „In der Gastronomie leidet der Kopf unter der Routine und Abstumpfung“, sagt er. Deshalb. Und weil ihm, dem Yoga-Lehrer, in der Yoga-Szene das „Erkenntnis-Interesse“ fehle und ihn das oft „esoterische Geschwurbel“ störe.

Seit November ist er jetzt auch: Buchhändler

Zur Zeit, sagt er, habe er fünf oder sechs Läden. Es ist anzunehmen, dass er die exakte Zahl genau kennt. Fakt ist außerdem, dass Michi Kern in zwei von Reinald Goetz’ Romanen verewigt wurde und es einen Wikipedia-Eintrag über ihn gibt, den er nicht einmal selbst geschrieben hat. Und dass er seit Anfang November eben auch Buchhändler ist.

Klar, einige Leute hätten da schon gelästert, sagt er, streicht sich über die Glatze, die er trägt, seit er sich am Tag seiner Abi-Rede den Kopf rasiert hat, und lacht. Die Leute hätten gesagt: „Bist ja ein Gastronom.“ Und so einer will jetzt Bücher verkaufen.

Es kann aber gut sein, dass das Lost Weekend so etwas wie die Quintessenz seines (beruflichen) Lebens ist. Denn es vereint, was er mag. Die Weisheit, die Politik, die Gelassenheit und die, weil bio und vegan, ethisch korrektere Gastronomie.

Vorherzusehen war das alles nicht, bei seiner Kindheit. Michi Kern wurde 1966 in München geboren. Mit zehn kam er ins Internat der Inneren Mission in Feldkirchen, „ins Kinderheim“, wie er es später nennen wird.

Über die Gründe sagt er nichts, dafür aber: „Das sind tolle Menschen dort.“ Fünf Jahre war er bei ihnen, dann ist er zurück nach München, wo er am Giesinger Asam-Gymnasium Abitur machte.

Zu den Menschen in Feldkirchen hat er bis heute Kontakt. Er besucht sie ab und an, unterstützt Veranstaltungen der Kinder. Und manchmal steht er mit Mitarbeitern der Inneren Mission nachts am Stachus und verteilt alkoholfreie Drinks, „für die sich keine Sau interessiert“.

Er lebt vegan: „Ich bin halt eine wiedergeborene Kuh“

Egal. Er engagiert sich trotzdem. Warum? Er habe viel mit Menschen zu tun und sehe die Probleme. „Ich habe die Möglichkeit, etwas Geld und außerdem ein echtes Interesse, etwas zu bewegen“, sagt er.

Er unterstützt vieles, das meiste im sozialen Bereich, darunter auch Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen. All das macht er ohne großes Bohei um seine Person. Michi Kern wirkt ziemlich uneitel, wie er da so sitzt, freundlich, schlank, in Jeans, knallgrünen Turnschuhen, schwarzer Fleece-Jacke und seinen Mischlingshund Vishnu zu Füßen.

Das jahrelange Nachtleben? Sieht man ihm nicht an. Vielleicht liegt es am Yoga, den er seit 14 Jahren übt. Vielleicht auch daran, dass er seit noch mehr Jahren erst vegetarisch, jetzt vegan lebt. „Ich bin halt eine wiedergeborene Kuh“, sagt er und lacht wieder.

Er sei mit seinem Leben sehr zufrieden. Mit dem, was in München so passiert, dafür oft ganz und gar nicht. Da sind zum Beispiel die Mietpreise, die ihm viel zu hoch sind. Oder die „oberen 10 000“, mit denen er nichts anfangen kann, weil er keinen Bückling machen will. Die Schere zwischen Reich und Arm kritisiert er. Und die Asylpolitik der Stadt, die hätte man besser „händeln“ können.

Würde es ihn nicht reizen, in die Politik zu gehen? „Nein“, sagt er. „Ich will nicht so ein Opportunist werden, der sich nichts mehr zu sagen traut.“ Er sei nicht so berechnend.

Die 30, 40 Minuten sind vorbei, schon seit über einer Stunde sogar. Jetzt muss Kern wirklich los. Vishnu will raus, seine hochschwangere Freundin aus Straubing abgeholt werden. Später muss er noch an die Tür des Pacha, wie jeden Freitag und Samstag. Wäre München ein Gast, den er reinlassen würde? Er überlegt. Sagt dann: „Es könnte ein schwieriger Gast sein. Weil es zu viel Geld hat, arrogant und nicht mit der Fähigkeit ausgestattet ist, aus wenig viel zu machen.“ Aber reinlassen würde er München wahrscheinlich doch. „Es ist ja“, sagt Michi Kern, „schon auch ein sympathischer Gast.“

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