„Der Hund bedeutet mir alles“

München - Die kleine Tracy, ein wuscheliger Havaneser-Welpe, bedeutet Günther H. alles. „Ich hänge sehr an ihr. Es gibt nichts Aufrichtigeres als die Zuneigung eines Hundes“, sagt der 63-Jährige. Dann geht sein Blick ins Leere. Seit einer guten Woche hat der Münchner seine Hündin nicht mehr gesehen. Und seine Angst ist groß, dass er sich ganz von ihr verabschieden muss.
Den Hundekorb hat er schon weggeräumt. „Ich habe es nicht mehr ausgehalten, ihn anzuschauen.“
Was ist passiert? Am Dienstag, 3.Dezember, geht Günther H. mit Tracy abends spazieren. In der Nachbarschaft hat seine sechs Monate alte Hündin eine Freundin, die sie zufällig treffen. Die beiden Welpen tollen über eine Wiese.
Plötzlich stürmt ein großer Hund auf die zwei kleinen Tiere zu und stürzt sich auf Tracys Spielkameradin, die gleich anfängt zu jaulen. Tracy selbst erschrickt so sehr, dass sie wegrennt.
Der schwarze Welpe verschwindet in der Dunkelheit, bevor Günther H. ihn aufhalten kann. Tief besorgt sucht der Tierhalter die Gegend ab. Vergeblich. Er kann Tracy nicht finden. Er informiert die Polizei, die ihm zunächst nicht helfen kann. Gegen 22 Uhr klingelt sein Telefon. Ein Polizist ist dran und sagt ihm, ein Hund sei in der Guido-Schneble-Straße in Laim in ein Auto gelaufen.
Günther H. eilt sofort hin. Seine Tracy liegt auf der Straße, mit weit geöffneten Augen. Sie blutet am Hinterbein. Vorsichtig nimmt er sie hoch und trägt sie an die Seite. Kein anderer durfte sie zuvor berühren. Tracy, wild vor Schmerzen, schnappte nach allen. Erst ihr Herrchen darf ihr helfen.
„Sie hat mir so unfassbar leid getan“, sagt Herr H.
In der chirurgischen Tierklinik wird festgestellt: Die Hündin hat Brüche an den hinteren Schienbeinen, am Hüftgelenk, am Beckenboden. „Sie hat wohl noch versucht abzudrehen“, erklärt sich Günther H., warum Tracys Verletzungen alle im hinteren Bereich sind.
Rasch wird ihm klar, dass er für die Kosten der anstehenden OP und der Nachbehandlung – rund 2500 Euro – nicht aufkommen kann. „Ich habe gleich die Karten auf den Tisch gelegt und gesagt: Ich kann das nicht bezahlen.“
In Fällen wie diesem bleibt der Klinik, die sich auch irgendwie finanzieren muss, nur ein Weg: Sie lässt sich von den Haltern unterschreiben, dass sie ihre Tiere abgeben. Das Tierheim deckt dann wenigstens die Materialkosten für die Behandlung, übernimmt die „Patienten“, wenn es ihnen besser geht – und versucht, sie neu zu vermitteln. Auch Herr H. stimmte notgedrungen zu, dass er Tracy abtritt. „Ich habe Rotz und Wasser geheult“, erzählt er. „Der Hund bedeutet mir alles.“
Der 63-Jährige lebt derzeit von Hartz IV. Er wohnt in einem zwölf Quadratmeter großen Zimmer ohne Dusche. Dabei war Günther H. früher sogar gut situiert. 30 Jahre lang hatte er einen Malerbetrieb in München. Doch irgendwann machte sein Körper die Arbeit nicht mehr mit. Ein Leistenbruch folgte auf den nächsten.
Mit Anfang 50 versucht sich Herr H. deshalb an einem ganz neuen Job und geht als Quereinsteiger ins Nachtleben. Seine Disko läuft einige Jahre lang gut. Doch in dieser Zeit begeht der Münchner den wohl größten Fehler seines Lebens. „Ich habe zeitweise Leute ohne Anmeldung beschäftigt“, erzählt er. „Ich hab’s aus Dummheit gemacht, nicht aus Böswilligkeit.“ Die Behörden werfen ihm in diesem Zusammenhang auch Steuerhinterziehung vor.
Kurzum: Günther H. wird zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Er verliert sein komplettes Vermögen sowie seine private Altersvorsorge, in die er immer einbezahlt hatte.
Welche Fehler auch immer er als Disko-Betreiber gemacht hat: Er hat sie abgebüßt. Jetzt ist er mittellos und allein – viele Freunde haben sich abgewandt. „Wäre ich jünger, könnte ich nochmal durchstarten. Aber in meinem Alter geht da nichts mehr.“
Eine Bekannte, die um seine Verzweiflung wusste, wollte ihm eine Freude machen – und schenkte ihm Tracy. Um sie hat Herr H. sich liebevoll gekümmert. Bis zu dem Unfall.
Inzwischen ist die Hündin operiert worden und auf dem Weg der Besserung. An den Schienbeinen wurden Platten angebracht, die nach sechs bis acht Wochen wieder raus müssen. „Tracy ist der Star der Klinik“, sagt Tierärztin Carolin Werres, „ein lieber Hund“.
In den nächsten Tagen darf sie die Klinik verlassen. Günther H., der am Sonntag Geburtstag hat, wünscht sich sehnlichst, dass sie nicht ins Tierheim muss. „Wenn ich Tracy zurückbekäme, wäre ich überglücklich.“