Der Hauptbahnhof - seit 175 Jahren eine Baustelle
München - Der Planungsausschuss befasst sich heute mit dem Entwurf des Architektenbüros Auer Weber für den Neubau des Hauptbahnhofs, den die AZ ja bereits vorgestellt hat. Das Konzept bietet nach Ansicht von OB Dieter Reiter „die Chance, die Empfangsgebäude und das Umfeld ganzheitlich neu zu entwickeln und aufzuwerten“.
Wie sich Gebäude und Umfeld seit nunmehr 175 Jahren entwickelt und ständig verändert haben, beschreibt Karl Stankiewitz in einem demnächst erscheinenden Buch („Wo München wirklich Weltstadt ist“, Sutton Verlag), aus dem die AZ Auszüge bringt.
Dom und Drehscheibe
Schon vor dem großen Bahnhof hatte München eine Eisenbahn. Sie ratterte erstmals am 4. Oktober 1840 „unter dem Jauchzen der dicht gedrängten Zuschauer, dem Donnern der Böller und dem Spiel der Musikchöre“ aus dem „stillen, verlegenen Dörfchen“ Lochhausen nach Augsburg, nachdem schon ein Jahr zuvor ein „bewunderter Eisenstrang“ von München nach Lochhausen in Betrieb gegangen war.
Die Abfahrtsstation befand sich auf dem Marsfeld, in Höhe der heutigen Hackerbrücke. Sie bestand aus einer Holzbaracke mit zwei „Cassa Hütten“, zwei Gleisen, zwei Drehscheiben und einem Maschinenhaus für die Lokomotiven. Immerhin 400 Fahrgäste wurden täglich per Fiaker vom „Carls Thore“ dorthin kutschiert. Ostern 1848 brannte das Provisorium vollständig nieder. Den längst geplanten Neubau übernahm der Kgl. Oberbau- und Generaldirektionsrat Friedrich Bürklein, ein Schüler von König Ludwigs I. Chefarchitekten Friedrich Gärtner. König Ludwig I. Persönlich erkor als Standort die Schießstätte, wo nur die von der Feuerschützengesellschaft betriebene Gaststätte weichen musste.
Binnen zwei Jahren baute Bürklein erstmals in Deutschland eine stützenfreie Tonnenhalle, die einer romanischen Basilika ähnelte. Die „Perronhalle“ war 111 Meter lang und 20 Meter hoch. Sie hatte Rundbogenfenster, fünf Gleise und einige Beamtenwohnungen. Bahnhöfe galten damals als „Dome der Neuzeit“. Auf jeden Fall war dieser „Centralbahnhof“ das erste großtechnische Bauwerk der Residenzstadt, die bei seiner Inbetriebnahme am 1. Oktober 1849 etwas über 100 000 Einwohner zählte.
Immer wieder neu
Schnell aber erwies sich der Eisenbahndom als zu klein. 1500 Reisende täglich drängten bald in die Züge. Bis 1894 wuchs die Bevölkerung auf über 400 000. Zugleich erblühte der Fremdenverkehr. In einem „Buch für Alle“ hieß es 1897: „Die Alpen sind Mode geworden, und was das für den Verkehr bedeutet, kann nur der ermessen, der sich während der Hundstagsferien im Centralbahnhof aufstellt, wenn die Sonderzüge aus Norddeutschland einlaufen. Oft kommen vier bis fünf an einem Tage an, und jeder bringt 500 bis 800 Berliner und Sachsen mit.“
Des Massenstroms wegen musste der Hauptbahnhof, wie er ab 1904 hieß, immer wieder erweitert werden. Realisiert wurde eine „Beflügelung“ des Zentralbaus: 1893 wurde, ebenfalls noch in Holz, auf der Nordseite der Starnberger Bahnhof angebaut, der das erste elektrische Stellwerk Bayerns erhielt. 1922 entstand im Süden auf einem Gleisgelände, wo vorher die Bierzüge rangierten, ein zweiter Flügel, der Holzkirchner Bahnhof. So wurde Münchens Hauptbahnhof zum größten in Deutschland und zum Modell für den dann noch größeren Frankfurter Bahnhof.
Bereits im August 1914 waren Tag für Tag 70 bis 100 Züge voller Soldaten im Hauptbahnhof abgedampft. Truppenverladung, hieß das. Bald nach dem Ersten Weltkrieg tauchte auch schon der Plan einer streckenweise unterirdischen Provinzbahn auf, bis zu deren Verwirklichung aber noch ein halbes Jahrhundert vergehen sollte.
Hitlers Bahnwahn
Dem Krieg fielen die aberwitzigen Planungen Hitlers zum Opfer. Alle Bauprojekte, die von den Nazis für München ersonnen wurden, stellte die „Große Straße“ in den Schatten. Diese acht Kilometer lange und 120 Meter breite West-Ost-Achse sollte vom Stachus bis zur projektierten Autobahn-Spange Stuttgart-Lindau führen. An der Stelle des verschobenen Hauptbahnhofs hatte Chefarchitekt Speer ein „Denkmal der Bewegung“ entworfen. Der 212 Meter hohe Obelisk sollte mit V-2-Stahl verkleidet und mit dem Reichsadler gekrönt werden; im Sockel wollte Hitler die „Blutfahne“ vom Novemberputsch 1923 aufbewahren.
Der zentrale Bahnhof, mit U- und S-Bahn-Anschluss, wäre unter einer gewaltigen Aluminiumkuppel nahe der Friedenheimer Brücke neu erstanden. Beginnen wollte die Sonderbaubehörde das Projekt 1940. Geplante Fertigstellung: 1950-
Die Materialschlacht
Zu diesem Datum aber sah Münchens einst stolzer Hauptbahnhof anders aus. Durch 112 Bombentreffer waren im Direktionsbezirk zwei Millionen Kubikmeter Raumes zerstört. Das entsprach einer Stadt mit 15 000 Einwohnern. Zuerst musste die Reichsbahn den Schienenverkehr und die Sicherheitsanlagen wiederherstellen, was drei Milliarden Mark verschlang.
Bis Juli 1949 war ein Viertel der Gebäude wieder aufgebaut. Insgesamt waren bis dahin verbaut: viereinhalb Millionen Mauersteine, 1,7 Millionen Dachziegel, 120 000 Quadratmeter Glas und 700 000 Tonnen Stahl. Das Geld für die Hochbauten hätte für 2000 Zweifamilienhäuser gereicht.
Bis 1957 dauerte allein die Beseitigung der Trümmermasse. Nun erst konnten das Empfangsgebäude und der Starnberger Bahnhof, beide im Nierentisch-Stil der 50er-Jahre, wieder aufgebaut werden.
München 21
Am 20. Juni 1996 präsentierten OB Ude, Bahnchef Dürr und Wirtschaftsminister Wiesheu ein grandioses Projekt. Titel: „München 21“. Der Kopfbahnhof sollte zum unterirdischen Durchgangsbahnhof werden. Sämtliche Bahnflächen vom Hauptbahnhof bis zur Friedenheimer Brücke sollten aufgegeben und alle Züge, nicht nur die S-Bahn, in einem Tunnel geführt werden.
An Stelle des Zentralbahnhofs sollte ein Einkaufs- und Dienstleistungs-Zentrum mit 400 000 Quadratmetern entstehen, während an Stelle der 16 Gleisanlagen ein Grünzug und eine Randbebauung mit Hochhäusern geplant war.
In Diskussionen zur Machbarkeitsstudie aber haben Kritiker das – wie sie zugaben – „auf den ersten Blick faszinierende Projekt“ zerpflückt. Entweder es sei erfolgreich, dann ruiniere es die Geschäfte der Innenstadt. Oder es sei nicht erfolgreich, dann werde es zur Investitionsruine.
Im Jahr 2001 strich die Bundesregierung das Projekt sang- und klanglos. Ein Bahnsprecher räumte dem Projekt Stuttgart 21 einen „größeren Stellenwert“ ein. Die bitteren Erfahrungen dort ließen auch die obersten Bahnhofsplaner vor den riesigen Dimensionen zurückschrecken. Plötzlich, im Mai 2011, wollten sie sich mit einer kleineren Lösung begnügen, man hätte ja mit einer Bausumme in dreistelliger Millionenhöhe rechnen müssen. Dem Stadtrat wiederum erschien der bahnamtliche Rückzieher kleinlich. Er sprach sich im September 2013 für die Generalplanung eines neuen Empfangsgebäudes aus. Auch der Bahnhofsplatz solle neu und autofrei gestaltet werden.
Statt eines neuen Zentralbahnhofs präsentierte Ude im September 2009 den modernsten Busbahnhof Deutschlands als „neue Visitenkarte der Stadt“. Auf dem Gelände des ehemaligen Container-Terminals an der Hackerbrücke überwölbt eine metallisch glänzende Halle die 29 Terminals. Täglich fahren vom Zentralen Omnibusbahnhofs (ZOB) etwa 160 Fernbusse ab; die Liberalisierung im Fernbusverkehr brachte einen Schub. Inzwischen reicht das Netz bis Rumänien.
Ein ganz neuer Bahnhof
Auch der „alte“ Hauptbahnhof, die permanente Großbaustelle, ist immer noch imponierend genug, die Zahlen der Bahn vom März 2014 sprechen für sich: Auf einem Gelände von 1,9 Kilometern Länge und 400 Metern Breite werden auf 32 Gleisen täglich 250 Züge des Fernverkehrs, 620 Züge des Nahverkehrs und 1020 S-Bahnen bewegt. Sie verbinden München mit 360 Orten in Bayern und mit mehr als 260 Städten im In- und Ausland. Täglich werden bis zu 450 000 Reisende und Besucher hochgerechnet. Im Mai 2014 wurde nach dreijährigem Umbau das für 44 Millionen Euro sanierte und modernisierte Untergeschoss des Hauptbahnhofs eröffnet.
Jetzt fehlt nur noch der ganz große Umbau.