Der Fall Shepherd: Asyl für US-Deserteur?

Flucht vor dem Irak-Einsatz: Das Verwaltungsgericht in München verhandelt über die Zukunft von André Shepherd.
Natalie Kettinger |
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„Ich bin zuversichtlich“: André Shepherd vor der Verhandlung im Gerichtssaal.
dpa „Ich bin zuversichtlich“: André Shepherd vor der Verhandlung im Gerichtssaal.

München - Mindestens 937 Mal habe George W. Bush im Zusammenhang mit dem Irakkrieg gelogen, sagt André Shepherd. „Die US-Regierung hat ihrem Volk, ihrem Militär und den Vereinten Nationen die Unwahrheit gesagt.“ Anders als behauptet habe es im Land von Saddam Hussein keine Massenvernichtungswaffen gegeben. Anders als behauptet habe die „Koalition der Willigen“ im Irak nicht die freie Welt verteidigt, sondern während einer völkerrechtswidrigen Invasion schwere Kriegsverbrechen begangen.

Shepherd floh vom Stützpunkt seiner Einheit und beantragte Asyl

2007 wollte André Shepherd, Wartungsmechaniker für Apache-Hubschrauber im Irak, kein Rädchen in dieser Kriegsmaschinerie mehr sein. Er floh vom Stützpunkt seiner Einheit im mittelfränkischen Katterbach und beantragte 2008 Asyl in Deutschland.

Gestern verhandelte das Verwaltungsgericht in München über die Zukunft des bundesweit ersten „US-Deserteurs aus Gewissensgründen“.

Denn Shepherds Asyl-Antrag war 2011 abgelehnt worden. Er focht die Entscheidung an, das Verwaltungsgericht bat den Europäischen Gerichtshof um Hilfe bei der Auslegung von EU-Recht. Dieses urteilte 2015: Eine drohende Freiheitsstrafe oder die Entlassung aus der Armee könnten nicht als Asylgründe im Sinne des EU-Rechts gelten.

Shepherd hatte sich 2003 bei den US-Streitkräften verpflichtet. Nach einem abgebrochenen Informatik-Studium, Gelegenheitsjobs und einem Dasein auf der Straße habe er sich nach einem geregelten Leben gesehnt. „Ich wollte meine Füße wieder auf den Boden bekommen“, sagte gestern vor Gericht.

Auch die Kameraden sollen Angst vor einem Einsatz gehabt haben

Im September 2004 wurde seine Einheit in den Irak verlegt. Erste Zweifel meldeten sich. „Keiner meiner Kameraden wusste, was wir da eigentlich sollten. Uns war gesagt worden, wir kämen, um den Menschen zu helfen. Doch die hatten solche Angst vor uns, dass sie am liebsten weggelaufen wären oder auf uns geschossen hätten.“

Im Internet sei er auf verstörende Berichte gestoßen: „Es gab Gerüchte, dass US-Soldaten Leute von der Straße gekidnappt und sie misshandelt haben. Außerdem habe ich von Plünderungen erfahren.“

Dass die Apaches, für deren Funktionsfähigkeit er sorgte, an der Zerstörung von Falludscha beteiligt waren, habe ihn erschüttert. Vor Gericht nannte er die Bombardierung einen „Missbrauch der Luftwaffe“.

Trotz allem verlängerte der Soldat seinen Vertrag

Trotzdem verlängerte André Shepherd seinen Vertrag zwei Mal: erst im Winter 2004 noch während seines Einsatzes im Irak, dann ein Jahr später. Zu diesem Zeitpunkt war er wieder in Mittelfranken und litt nach eigenen Angaben unter dem Erlebten. „Es war wie ein Posttraumatisches Stresssyndrom. Ich konnte nicht mehr in den Spiegel schauen. Ich habe getrunken.“ Trotzdem unterschrieb er erneut. „In Kenntnis der Vorfälle im Irak, der Handlungsweise der Streitkräfte und mit dem Gefühl, moralisch verantwortlich zu sein, haben sie den Militärdienst in einer Kampftruppe im Kampfeinsatz verlängert“, stellte Richter Josef Nuber fest. Ein Verhalten, das Fragen aufwirft.

André Shepherd hielt dagegen, dass er durch die Verlängerung eine erneute Stationierung im Irak hatte vermeiden wollen. Das habe ihm sein Rekrutierungsoffizier garantiert. „Das war sogar der Rekrutierungsslogan.“ Außerdem hätten andere Führungskräfte dasselbe behauptet. Trotzdem erhielt Shepherd 2007 erneut einen Einsatzbefehl für den Irak – und beging Fahnenflucht.

Juristen rechnen mit Berufungsverfahren

Das Verwaltungsgericht München verhandelte den Fall bis in die Abendstunden hinein. Am Donnerstag will es gegen 11 Uhr seine Entscheidung in dem Verfahren verkünden.

Shepherds Anwalt Reinhard Marx rechnete aber in jedem Fall mit einer Fortsetzung der juristischen Auseinandersetzung: „Wenn wir gewinnen, geht die Gegenseite in Berufung, und wenn die Gegenseite gewinnt, gehen wir in Berufung.“

André Shepherd wird so oder so in Bayern bleiben: Er ist mit einer Deutschen verheiratet und besitzt eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis.

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