Der Fall Brunner: "Zwei Welten trafen aufeinander"

MÜNCHEN - Die Anklage verlangt die Höchststrafe für einen der beiden Peiniger, der Verteidiger von Markus S. bestreitet einen Mord und fordert "deutlich weniger als sieben Jahre" für den älteren Schläger. Am Dienstag wurden die Plädoyers im Mordfall Dominik Brunner gehalten.
Saal 101, Münchner Jugendgericht, 10.06 Uhr: Die Zuhörerplätze sind alle belegt. Es beginnen die mit Spannung erwarteten Plädoyers im Mordfall Dominik Brunner (50). 70 Minuten spricht Staatsanwältin Verena Käbisch. Sie bleibt beim Mord-Vorwurf, fordert die Höchststrafe: „Dominik Brunner hat am 12. September letzten Jahres Zivilcourage gezeigt. Dafür hat er mit dem Leben bezahlt.“ Für Markus S. (19) fordert sie zehn Jahre, für Sebastian L. (18) acht.
Der 50-jährige Geschäftsmann Dominik Brunner hatte damals im September vier Schüler vor Markus S. und Sebastian L. beschützt, bei der folgenden Prügelei am Bahnsteig von Solln starb er. „Er hat nicht weggesehen, sondern eingegriffen und versucht, vier Jugendliche davor zu bewahren, Opfer einer Straftat zu werden.“ Dass Brunner den ersten Schlag geführt hat, dass er letztendlich an Herzversagen gestorben sei, wie sich während des Prozesses herausgestellt habe, „das ändert nichts an der Schuld“, sagt die Staatsanwältin.
Ursache für seinen Tod sei der Kampf gewesen: „Niemand hat Anspruch auf ein gesundes Opfer“, führt die Anklagevertreterin aus. Ja, Brunner habe ein vergrößertes Herz gehabt, der Stillstand sei aber von der massiven Gewalt ausgelöst worden. „Der Grund für Brunners Tod sind die beiden Angeklagten. Ohne sie würde er noch leben.“ Bei Sebastian S. sei der Tötungsvorsatz klar: Er habe so stark gegen den Kopf getreten, dass man den Abdruck an der Schläfe gesehen habe. Käbisch: „Wer so tritt, muss mit dem Tod seines Opfers rechnen. Er hat aus niedrigen Beweggründen gehandelt.“ Er habe auch keinerlei Reue gezeigt, er habe nur gelacht, als die Obduktionsfotos von Brunner auf dem Richtertisch lagen. Und: Er habe selbst von einem „Kampf ohne Grenzen“ gesprochen, habe beweisen wollen, „dass er sich von niemanden etwas sagen lässt“.
Sie forderte für Markus S. wegen Mordes, räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zehn Jahre Haft. Bei Sebastian L. sieht sie die Lage etwas anders: „Er ist einen Zentimeter vom Tötungsvorsatz entfernt.“ Gegen ihn spreche, dass auch er aus niedrigen Beweggründen gehandelt und anfangs mitgemacht habe. Für ihn sei zu werten, dass er aufgehört habe zu treten, als Brunner schon am Boden lag – und versucht habe, seinen Komplizen wegzuziehen. Für ihn fordert Käbisch acht Jahre. In beiden Fällen sei das Jugendstrafrecht anzuwenden: Sebastian L. war zur Tatzeit noch Jugendlicher, Markus S. zeige „Reifeverzögerungen“. Die zehn Jahre sind nach dem Jugendstrafrecht die Höchststrafe.
Dann kommt der Auftritt von Nebenklägerin Annette von Stetten, die die Eltern von Dominik Brunner vertritt. Sie fordert ebenfalls eine Verurteilung wegen Mordes für Markus S., für Sebastian L. plädiert sie auf Körperverletzung mit Todesfolge. Vor allem aber schildert sie stellvertretend das tiefe Leid der Eltern. Der Vater Oskar Brunner (80), der den Prozess verfolgen wollte, ist nicht mehr in der Lage, am Verfahren teilzunehmen.
„Die Mutter ist zum Pflegefall geworden. Sie hat starke Schmerzen und muss Morphium nehmen. Der Vater leidet unter einer schweren Depression, er nimmt Medikamente mit schlimmen Nebenwirkungen. Bei den Eltern ist eine Leere entstanden, es gelingt ihnen nicht einen Moment, die Trauer um ihren Sohn zu vergessen“, sagt die Rechtsanwältin direkt an die beiden Angeklagten gerichtet. Sie hören reglos zu. „Ich möchte, dass Sie anfangen zu begreifen, was Sie hier getan haben“, fährt sie fort. „Sie haben drei Menschen auf dem Gewissen: neben Dominik Brunner auch seine Eltern.“ Die beiden jungen Männer hätten eine „Spur der psychischen Verwüstung“ hinterlassen, redet Annette von Stetten ihnen ins Gewissen. „Die Eltern werden wohl nie über den gewaltsamen Tod ihres Sohnes hinwegkommen.“
Vor allem an Markus S., der sich im Gerichtssaal die Zeit auch mit Schreiben von Rap-Texten vertrieb, wendet sich die Vertreterin der Eltern: „Ihnen geht die ganze Veranstaltung schlicht am Arsch vorbei!“ Er verzieht keine Miene.
Dafür spricht dann sein Anwalt. Hermann Sättler: „Da trafen zwei Welten aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Welt des Dominik Brunner und die Hip-Hop-Welt.“ Brunner, Manager, Vorstandsmitglied eines Unternehmens mit 600 Angestellten, der es nicht mochte, wenn man laut wurde. „Einer ohne Kinder. Markus S. und Sebastian L. passten in keinster Weise in sein Normbild.“ Sättler sagt, dass Brunner versucht habe, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen. Aber auch die anderen, die Angeklagten, fühlten sich ungerecht behandelt. Für sie sei es am Anfang eine jugendtypische Blödelei, die dann eskaliert sei.
Sättler zitiert eine Zeugin: „Sie hielt Brunners Verhalten für völlig überzogen.“ Er skizziert wieder die Szene in Solln, wie Brunner die Kinder schützend ins Wartehäuschen schickt und vor den Angeklagten in Boxerhaltung rumgetänzelt sei. Die Verteidiger von Markus S. bestreiten einen Mord und fordern für ihren Mandanten "deutlich weniger als sieben Jahre". Die beiden Anwälte bewerteten die Tat am Dienstag in München in zwei Phasen, zunächst als Körperverletzung mit Todesfolge und in der zweiten Phase als versuchten Totschlag.
Erst als Brunner am Boden lag, sei eine bedingte Tötungsabsicht bei Markus S. anzunehmen gewesen. Den Ausschlag für die massiven Schläge habe aber der Erstschlag Brunners auf dem Bahnsteig der S- Bahn-Haltestelle München-Solln gegeben. th/dpa