Der CSD wird zur Politiker-Parade

München - Nur 50 Meter trennen den SPD-Mann und den CSU-Mann am Samstagnachmittag auf dem Christopher Street Day. Und doch sind es Welten: Der eine spricht gerade auf der Bühne. Der andere steht im Schatten eben dieser. Der eine bekommt gerade frenetischen Applaus für den Satz „Nach 20 Jahren Vorbildfunktion von München ist jetzt höchste Zeit, in ganz Bayern für Gleichberechtigung von Schwulen und Lesben zu sorgen“. Der andere muss sich zeitgleich rechtfertigen, warum CSU-Generalsekretär Dobrindt Schwule als „schrille Minderheit“ bezeichnete.
Der eine ist Oberbürgermeister Christian Ude von der SPD. Der andere ist OB-Kandidat Josef Schmid von der CSU.
Die CSU entert den CSD. Vorsichtig, aber erstmals mit Unterstützung aus der Staatsregierung. Schmid wird begleitet von Kultusminister Ludwig Spaenle. Damit ist erstmals ein schwarzer Minister beim CSD. Eine Stunde Zeit haben sich die beiden Politiker für ihren Rundgang genommen. Ein bisschen Shake Hands hier, ein bisserl Beschnuppern da – ohne viel Trara. Die CSU müht sich tapfer, aber zur christsozialen Kernkompetenz zählt der Umgang mit der schwul-lesbischen Gemeinschaft nicht gerade.
Als einzige Partei ist die CSU nicht mit einem eigenen Wagen bei der Politparade um die Altstadt mitgezogen. Und wer die zum Teil wüsten Beschimpfungen von manch grell geschminktem CSD-Teilnehmer gehört hat, ahnt, dass das wohl auch die bessere Entscheidung war. Wobei auch die CSU eine schwul-lesbische Gemeinschaft hat: Lesben und Schwule in der Union (LSU) heißt sie – sie gibt es schon sehr lange. Schnittmengen mit dem Straßenfest sind also da, aber nicht alle Parteimitglieder können sich mit der neuen Weltoffenheit anfreunden.
Gleichstellung von homosexuellen Lebenspartnerschaften, Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare – damit tun sich viele noch sehr schwer in der CSU.
Doch Josef Schmid gibt sich zuversichtlich: „Ich bin vorne mit dabei, wenn sich die CSU ändern wird“, sagt er. „Aber es gibt eben Widerstände in der Partei, die ausdiskutiert werden müssen, bevor wir auf Veranstaltungen wie dieser wie andere Parteien auftreten können." Es klingt überzeugend, was er sagt. Seine Schultern zucken nicht mal.
Der Christopher Street Day erinnert an den Aufstand von Homosexuellen gegen Polizeiwillkür in der New Yorker Christopher Street im Jahre 1969. Doch die Parade setzt sich nicht nur für Schwule und Lesben ein, sondern auch für Bisexuelle und Transgender. Es soll ein Zeichen gesetzt werden gegen Ausgrenzung und Diskriminierung.
In München wird er seit 1980 gefeiert. Zunächst mit nur 50 Teilnehmern. Doch mittlerweile marschieren 5000 Menschen alleine bei der Parade mit. 80000 Zuschauer sind heuer gezählt worden – ein gigantisches Straßenfest.
Die „Community“ beobachtet die politische Diskussion um und über sie sehr genau. Die Einschränkung beim Adoptionsrecht für homosexuelle Lebenspartnerschaften, die letztendlich vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde, machte die Union nicht unbedingt beliebt bei den CSD-Fans. Und auch Homosexuelle gehen wählen.
„Wir haben politisches Gewicht“, sagt Michael, der ein quietschbuntes Outfit trägt, offen schwul lebt und seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. Michael steht keine zwei Meter von Kultusminister Spaenle und OB-Kandidat Schmid entfernt, als er das sagt. Prompt werden er und sein Partner Robert zu einem Foto mit der schwarzen Polit-Prominenz überredet. Spaenle schüttelt Robert staatsmännisch die Hand und witzelt über sein schwarzes Polo-Hemd: „Einen Schwarzen muss es auf jedem Foto geben.“ Robert überspielt die etwas absurde Situation souverän.
Nein, der CSD ist keine rot-grüne Parteiveranstaltung. Aber Rot-Grün hat es hier offensichtlich einfacher. Claudia Roth und OB-Kandidatin Sabine Nallinger von den Grünen zum Beispiel, die mit Prosecco und Technobeats auf dem Laster tanzen und sogar Autogramme schreiben. Oder auch Michael Mattar (FDP) und natürlich Noch-OB und Vollzeit-Wahlkämpfer Christian Ude, der unter Jubel die Parade in der Früh eröffnet, mitmarschiert, zufrieden winkt und dann von Thomas Niederbühl (Rosa Liste) auf der Bühne „zum ersten lebenslangen CSD-VIP“ gekürt wird. Ude selbst wird es später als „erfrischendes Bad in der Menge“ bezeichnen.
Eigentlich soll der Christopher Street Day kein Wahlkampf sein. Da sind sich alle Udes, Roths, Schmids und Reiters einig. Doch das bunte Treiben ist heuer eine fast schon perfekte Projektionsfläche. „Trittbrettfahren“ nennt sowas das schwule Pärchen Michael und Robert, nachdem das Foto mit CSU-Mann Spaenle im Kasten ist. Es fallen Begriffe wie „lachhaft“ und „Propaganda“. Aber auch: „Jede Partei gehört hier hin.“
Stumpfen Stimmenfang kann man dem wackeren Spaenle und tapferen Schmid gar nicht vorwerfen. Fast niemand bemerkt das CSU-Team, das mit einem 10er-Tross von der homosexuellen Polizeigemeinschaft über die homosexuelle Studentenvereinigung zu den homosexuellen Führungskräften zieht. Spaenle hat mittlerweile den CSD-Sticker „Some people are gay, des basst scho!" am Rücken kleben. Dann muss er weiter zum nächsten Termin. Der einstündige Rundgang ist nach 50 Minuten vorbei.
Am Ende des Tages darf Schmid doch noch auf die Bühne. Die OB-Kandidaten aller Parteien sollen tausenden Zuschauern erklären, was sie für die schwul-lesbische Gemeinschaft tun wollen. Nach einer nicht ganz parteineutralen Anmoderation von CSD-Sprecherin Rita Braatz sagt Schmid: „Die CSU hat immer für die Szene abgestimmt.“ Und: „Unter mir werden keine Freiheiten wieder abgeschafft.“
Das Publikum reagiert tolerant. Es schweigt.