„Der beste Trick ist Lernen“

Bayerns Bildungsminister Ludwig Spaenle im AZ-Interview über Reformen im Schulsystem, den Übertritt, eklatanten Lehrermangel und übers Spicken.
von  Abendzeitung
Mit seinen Attacken gegen OB Ude hat sich Kultusminister Ludwig Spaenle selbst Kritik eingefangen
Mit seinen Attacken gegen OB Ude hat sich Kultusminister Ludwig Spaenle selbst Kritik eingefangen © Petra Schramek

Bayerns Bildungsminister Ludwig Spaenle im AZ-Interview über Reformen im Schulsystem, den Übertritt, eklatanten Lehrermangel und übers Spicken.

AZ: Wir haben einen kleinen Bildungstest vorbereitet.

LUDWIG SPAENLE: Das ist schön. Aber Mathe mach' ich nicht, damit ich mich nicht zu sehr blamieren muss.

Wir fangen einfach mit Geschichte an: Wer hat wann den Freistaat ausgerufen?

Kurt Eisner in der Nacht vom 8. auf 9. November 1918.

Sauber. Dann zu Heimat- und Sachkunde: Wie viel Quadratkilometer umfasst der Freistaat?

Ich habe keine Ahnung. Vielleicht 300 000? Moment einmal...360 Quadratkilometer hat München, also vielleicht 120 000 Quadratkilometer?

Es sind bloß etwas mehr als 70 500 Quadratkilometer.

Ich glaub’, 36 Quadratkilometer hat München. So ist es richtig.(Anmerkung der Redaktion: Die Fläche Münchens liegt in Wirklichkeit bei 310,43 Quadratkilometern.)

Nächster Versuch – Geographie: Auf wie viel Kilometern fließt die Donau in Bayern? Und welche Städte stellen den Anfangs- und Endpunkt?

Der Anfang ist Neu-Ulm, der Endpunkt ist Passau. Und die Länge? Vielleicht 300?

Schon besser. Es sind 387 Kilometer. Jetzt kommt Mathe doch noch: Wie lautet der Satz des Pythagoras?

a² +b² = 2ab - c²? Es kommt auf jeden Fall a²+2ab irgendwo raus. Aber genau bringe ich das nimmer zusammen. Das Ergebnis ist meiner Erinnerung nach a²+2ab+b². Oder c². So ungefähr.

Die richtige Antwort ist a² + b² = c². Ihre Variante klang eher nach binomischer Formel. Jetzt zu ihrem eigentlichen Fach – Politik. Mängel in der Bildungspolitik haben kräftig Stimmen bei der Landtagswahl gekostet. Trotzdem hat man nicht den Eindruck, dass die neue Regierung viel ändern will.

Es waren drei Sachen, die die Leute aufgebracht haben. Das war zunächst die Lehrerversorgung. Dann das achtjährige Gymnasium – ich war bei der Sitzung im Jahr 2003 dabei, als dessen Einführung beschlossen wurde. Dazu stehe ich. Und ein dritter Grund, der für viel Unzufriedenheit gesorgt hat, war die Kommunikation von Entscheidungen. In Zukunft muss es bei Reformen heißen: Qualität vor Geschwindigkeit.

Ganz konkret: Warum ändert sich denn nichts?

Was meinen Sie mit „ändert sich nichts“? Wir haben eine Agenda aus dem Koalitionsvertrag, die mindestens zehn Punkte umfasst. Bildungspolitik geht mit Kindern um. Daher ist die Frage des Änderns der falsche Zugang. Kinder sind das wichtigste Gut unseres Volkes. Es muss optimale Bedingungen geben, um ihnen den richtigen Bildungsweg zu eröffnen. Der Violinschlüssel für diese Legislatur ist für mich die Frage der Durchlässigkeit des Schulwesens. Das ist Qualität, das ist Gerechtigkeit.

Aber keine Antwort auf die Frage, warum alles beim Alten bleibt – obwohl die Wähler die CSU für ihre Bildungspolitik abgestraft haben.

Fragen Sie doch mal, in welchen Bereichen wir ansetzen wollen. Es gibt eine klare Botschaft: Die achtjährige Form des Gymnasiums in Bayern ist konzeptionell durchgearbeitet. Die Eltern und die Kinder haben einen Anspruch auf Planungssicherheit. Sie brauchen Ruhe und Verlässlichkeit, auch weil jetzt gerade der erste Jahrgang auf die Abiturphase zusteuert.

Und jenseits des G 8?

Bei der Hauptschule geht es darum, sie weiterhin auf die Berufsvorbereitung hin zu ordnen. Dafür brauchen wir in der Fläche möglichst Wohnort nah weiterhin viele Hauptschul-Standorte. Und wir haben den großen Auftrag, Jugendlichen mit Migrationshintergrund bessere Aufstiegsmöglichkeiten im Bildungssystem zu ermöglichen. Da hat Bayern großen Nachholbedarf.

In keinem anderen Bundesland gehen so viele Kinder auf die Hauptschule. 17,3 Prozent aller Hauptschüler in München verlassen die Schule ohne Abschluss. Trotzdem halten Sie am dreigliedrigen Schulsystem fest.

Wir haben kein dreigliedriges Schulsystem in Bayern, wir haben ein differenziertes Schulsystem. Es gibt allein 15 Wege, die Hochschulreife zu erreichen, ohne je das Gymnasium zu besuchen. Wenn Sie die Pisastudien ansehen, hat sich die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft um sage und schreibe zwei Drittel verbessert.

Kann man angesichts der genannten Schulabbrecher-Quote zufrieden sein mit der Bildungsgerechtigkeit?

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Jeder Jugendliche, der keinen Abschluss erwirbt, ist einer zu viel. Bayernweit sind das etwa 8 Prozent. Die Schlussfolgerung muss sein: Die Hauptschule ist zu stärken. Wir müssen die Schüler noch stärker fördern und sie auf den Beruf vorbereiten. Warum sollte man eine Schulart abschaffen, die für bestimmte Schüler das richtige Angebot macht?

Allein an Gymnasien in Bayern fehlen im aktuellen Schuljahr 1200 Lehrer. Wie viel Unterricht fällt aus?

Das kann ich noch nicht sagen, weil die Stichprobenerhebung erst im Februar ansteht – das Ergebnis wird dann natürlich sofort publiziert. Bei den mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern ist es über alle Schularten hinweg schwierig, die vorhandenen Stellen zu besetzen. Ich bin optimistisch, dass die zusätzlichen 2280 Lehrer-Stellen, die wir erreicht haben, besetzt werden können.

Stichwort Übertritt: Sie wollen mit neuen „Gelenkklassen" für Besserung sorgen. Was steckt dahinter?

Die Gelenkklasse ist für mich eher ein technischer Begriff. Wir wollen eine Übertrittsphase schaffen. Die Kinder sollen künftig treuhänderisch von der einen in die andere Schulart übergeben werden – die Lehrkräfte der Schulen sollen miteinander reden. In diesen Tagen wird es auch erstmals ein ausdifferenziertes Übertrittszeugnis geben. Dieses löst das Zwischenzeugnis in der vierten Klasse ab. Für den Übertritt selbst legen wir in den nächsten Wochen ein Konzept vor. Der Elternwille soll dabei stärker berücksichtigt werden. Aber auch die Leistung der Kinder wird weiter eine Rolle spielen.

Zum Schluss ein Bekenntnis: Hand auf's Herz – Sie haben doch auch gespickt, oder?

Klar. Aber ich war recht ungeschickt darin. Dass ich wirklich profitiert habe, war selten. Aber es gab schon ein paar gute Tricks. Nur so viel: Lange Haare waren wirkungsvoll. Der beste Trick aber ist Lernen.

Interview: Julia Lenders

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