Der anstrengende Alltag einer Pflegerin

Wie geht es wirklich zu in der Altenpflege? Die AZ hat Anita Bilic einen Arbeitstag lang in einem Untergiesinger Altenheim begleitet.
Matthias Maus |
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Anita Bilic kümmert sich um einen Bewohner.
Katharina Alt Anita Bilic kümmert sich um einen Bewohner.

Wie geht es wirklich zu in der Altenpflege? Die AZ hat Anita Bilic einen Arbeitstag lang in einem Untergiesinger Altenheim begleitet.

München - Herr B. möchte so gerne noch was vorspielen. „Das ist meine Frau“, sagt er und nimmt seine Violine. Er hat wunderschön gespielt, früher mal. Der Bogen gleitet sacht über die Saiten.

Danach greift er zu einem Buch, das er geschrieben hat: „Das ist meine Geschichte“, sagt er und blättert – Anita Bilic lächelt. „Ja ich weiß, aber wir müssen jetzt wirklich...“ Sie steht auf. Wir lassen Herrn B. allein.

Was wird Herr B. erzählen, wenn seine Verwandten ihn das nächste Mal besuchen? Wird er sagen: „Die haben mich einfach stehen lassen. Die hatten gar keine Zeit für mich“? Das stimmt nicht, wäre aus seiner Sicht dennoch nachvollziehbar.

Aber Herr B. ist nicht allein hier auf der zweiten Etage im Altenheim St. Franziskus in Untergiesing. Und Anita Bilic (32), die Verantwortliche für die Pflege heute, hat wirklich viel zu tun. Wie ist das mit dem Stress im Altenheim? Ist es wirklich nur Gehetze? Ist Krankenpfleger wirklich so ein ruinöser Beruf? Was ist dran an den Horror-Storys aus unseren Heimen? Die AZ begab sich auf Spurensuche.

Es sieht alles tiptop aus in St. Franziskus. 62 Mitarbeiter kümmern sich um 77 Bewohner, und ja, sagt die Caritas, gerne könne man einen Tag dabei sein, um den Alltag der Pfleger und der Bewohner zu erleben. „Wir wehren uns dagegen, dass alles an der Pflege so schlecht gemacht wird“, sagt Michaela Stern, die Leiterin von St. Franziskus. „Natürlich gibt es schlimme Vorfälle in Heimen.“ Und auch das: „Natürlich ist es nicht schön, alt zu sein, Schmerzen zu haben und auf Hilfe angewiesen zu sein.“

Happy Ends gibt es wenig in einer Umgebung, die praktisch niemand lebend verlässt. Anita Bilic, die Herrn B. gerne noch länger beim Geigenspiel zugehört hätte, hat heute morgen mit einem Auszubildenden 14 weitere Menschen zu betreuen. Sie ist konzentriert und freundlich: „Manche Bewohner sind ganz selbstständig, schlafen lange,“ sagt Frau Bilic.

Aber dann gibt es eben Frau Schmid und die anderen. Sie brauchen „Grundpflege“. Um sechs hat Anita Bilic angefangen, jetzt ist Frau Schmid dran. Seit einem Schlaganfall vor fünf Jahren ist sie halbseitig gelähmt. Waschen, anziehen, ein paar Schritte gehen mit dem Rollator. Eine Viertelstunde hat Frau Bilic Zeit dafür. „Man denkt: Waschen kann jeder“, sagt Bilic. „Wenn Sie die Bewohner aber falsch anfassen, bekommen sie Schmerzen, dann werden sie böse.“

Seit 2001 ist die examinierte Altenpflegerin im Job, und sie kennt das alles: „Die Ablehnung, das Schimpfen, das Schlagen.“ Gute Ausbildung könne das verhindern – „und ein freundliches Wesen“, sagt die Pflegerin. Frau Schmid freut sich über die paar Schritte, die sie am Rollator noch gehen kann: „Genug gewandert“ sagt sie und lächelt. Sie fühlt sich augenscheinlich wohl in St. Franziskus.

Am Anfang ist das aber ganz selten so – in allen Heimen: „Ich will nach Hause!“ Das ist der erste Satz der neuen Bewohner am Abend des ersten Tages, sagt Frau Bilic, überall. Der Verlust der gewohnten Umgebung, der Selbständigkeit, eine schreckliche Niederlage. Und was sagt man dann? „Hier ist es doch auch schön“ zum Beispiel. Das ist sicher ein schwacher Trost.

„Wir achten darauf, die Bewohner zu fordern, sie sollen tun, was sie noch können“, sagt Anita Bilic: „Viele kommen ins Heim und sagen: Macht mal.“ Das sei aber nicht das Ziel. Auch so entstehen Geschichten à la: „Niemand kümmert sich um mich.“

Herr B. allerdings kann nicht mehr viel. Er ist über 90, war mal ein wichtiger Journalist in München. Jetzt lächelt er freundlich, summt vor sich hin, in seinem Zimmer zeugen Reise-Bildbände und Klassik-CDs von einem einst gebildeten Mann. Anita Bilic rasiert ihn: „Wenn man ihm sagt, er soll sich waschen, dann putzt er manchmal den Spiegel.“

Sie hat alles erlebt: Demente Bewohner, die mit Vorliebe Zahnprothesen sammeln – die der Mitbewohner, versteht sich; die das Essen im Klo runterspülen. „Die kann man aber nicht einfach mit Medikamenten sedieren – da herrscht Sturzgefahr.“

Mehr als 50 Prozent der Bewohner sind dement; es werden immer mehr. „Diese Menschen muss ich ernst nehmen“, sagt Frau Bilic: „Wenn sich eine Frau vor dem Krokodil unter ihrem Bett fürchtet, dann hole ich das Krokodil eben raus.“ Validation nennt man das, auch das gehört zu dem komplexen Beruf: „Entweder man liebt ihn, oder man hasst ihn.“

Einfach nur sagen: Das ist ein krisensicherer Job, das reicht nicht. Man braucht eine positive Einstellung, wie sie Frau Bilic vermittelt: „Ich tue Gutes und bekomme Geld dafür.“ Und: „Wenn mich jemand tagsüber angelächelt hat, dann ist das am Abend für mich eine tiefe Befriedigung.“

50 Prozent der Bewohner, das sagt die Statistik, sterben binnen eines Jahres. Der Tod ist kein Fremder hier bei einem Altersschnitt von 86. Auch damit muss man umgehen: „Ich habe keine Berührungsängste“ sagt Anita Bilic, „weder mit Ausscheidungen noch mit dem Tod.“ Es sei so wichtig, dann alles schön herzurichten, sagt sie. Das ist der Eindruck, den die Angehörigen in Erinnerung behalten. Und ja, es gibt Fälle, da wachsen einem die Bewohner ans Herz: „Und dann weine ich auch.“

Viele zerbrechen an dem Job, halten ihn nicht aus, auch körperlich. Trotz technischer Hilfsmittel und absenkbarer Betten – Menschen zu heben ist schwere Arbeit. „Wir haben zwei Mitarbeiter, die sind seit über 25 Jahren bei uns“, sagt Heimleiterin Stern. Aber sie macht keinen Hehl daraus: „Manchmal passt es einfach nicht.“ Im Bundesschnitt liegt die Verweildauer in Pflegejobs bei acht Jahren.

Eine examinierte Altenpflegerin fängt mit 2200 Euro an, in München mit Ballungsraumzulage. Anita Bilic ist auf dem Weg zu Frau S. Die wiegt unter 40 Kilo, muss gefüttert werden. Mit offenem Mund liegt die alte Dame im Bett, ein Stofftier im Arm.

„Bald kommt die freche Bine wieder“, erzählt Frau Bilic. Bine ist der Hund der Tochter: „Die springt immer aufs Bett“ sagt Frau Bilic und füttert Frau S. mit noch einem Löffel Fruchtjoghurt. Die alte Dame seufzt. Die Pflegerin sagt: „Ein Bürojob würde mich killen.“

 

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