Demjanjuk-Prozess: Erst Rollstuhl, dann Bett

Es war der 3. Verhandlungstag im Fall Demjanjuk. Am Morgen konnte er noch aufrecht im Rollstuhl sitzen, am Mittag brauchte er dann ein Bett, während die Nebenkläger ihr Leid schilderten. Das lief nicht ohne Tränen ab.
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John Demjanjuk steht wegen Beihilfe zum Mord in 27.900 Fällen vor Gericht.
AP John Demjanjuk steht wegen Beihilfe zum Mord in 27.900 Fällen vor Gericht.

MÜNCHEN - Es war der 3. Verhandlungstag im Fall Demjanjuk. Am Morgen konnte er noch aufrecht im Rollstuhl sitzen, am Mittag brauchte er dann ein Bett, während die Nebenkläger ihr Leid schilderten. Das lief nicht ohne Tränen ab.

Für einen Eklat im Münchner Schwurgerichtssaal sorgte gestern John-Demjanjuk-Verteidiger Ulrich Busch. „War nach Ihrem Eindruck die Judenpolizei schlimmer als die Nazis?“ hatte er den KZ–Überlebenden Robert Cohen gefragt.

Doch auf die Nachfragen der aufgebrachten Anwälte der Nebenkläger wollte er keine Quelle für seine Behauptung nennen. Richter Ralph Alt drohte ihm, beim nächsten Mal das Mikrophon abzudrehen. Cohen aber konterte Buschs Frage: „Es gab keine jüdische Polizei, nur einen Ordnungsdienst.“ Schon zum Prozess-Auftakt hatte Busch mit der Gleichsetzung Demjanjuks und der jüdischen Häftlinge als Opfer der Nazis Empörung ausgelöst.

Demjanjuk zeigt keine Regung

John Demjanjuk selber verfolgte ohne jede Regung den Prozess. Die Anklage wirft Demjanjuk Beihilfe zum Mord an 27 900 Juden in Sobibor vor. Vormittags noch im Rollstuhl sitzend, musste man dem 89-Jährigen nachmittags ein Lattenrost-Bett aufbauen. Die zweite Hälfte der Sitzung begann mit 35 Minuten Verspätung. „Er klagt über Kreuzschmerzen“, so der Arzt Albrecht Stein zur AZ. Am Samstag hatte er noch Besuch vom Erzbischof Antony der ukrainischen Gemeinde in den USA bekommen. Der Geistliche, der den Angeklagten Demjanjuk bereits beim ersten Prozess in Israel begleitet hatte, sah sich gestern auch den Verhandlungstag an.

Zu hören bekamen er und der Angeklagte die Lebensgeschichte vieler Nebenkläger. Oft unterbrochen von Tränen und Schluchzen berichteten sie, wie sie ihre Familien in Sobibor, Auschwitz und anderen Vernichtungslagern der Nazis verloren haben.

Schreckliche Schicksale sind im Gerichtssal zu hören

„Ruth war die Liebe meines Lebens. Sie ist in demselben Zug wie meine Eltern nach Sobibor transportiert worden“, erzählt der ehemalieg Amsterdamer Apotheker Philip Jacobs (87). Eltern und Geliebte starben am 23. Juli 1943 in den Gaskammern des polnischen Vernichtungslagers. Jacobs: „Ich habe noch heute Schuldgefühle, weil ich überlebt habe. Die Vergangenheit ist mein Alltag.“ Ruths Vater war bis zur Machtergreifung der Nazis Bürgermeister in Höchst am Main gewesen. Er floh mit seiner Familie ins holländische Exil. Als die Deutschen Holland überfielen, beging er Selbstmord.

John Schneider

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