Demjanjuk droht mit Hungerstreik
Demjanjuks Verteidiger Ulrich Busch präsentiert eine Akte - und sein Klient droht mit Hungerstreik sollte das Schriftstück nicht im Verfahren beachtet werden.
München – Im Rollstuhl wird der mutmaßliche Kriegsverbrecher John Demjanjuk (90) in den Münchner Schwurgerichtssaal geschoben. Wie gewohnt trägt er eine blaue Schirmmütze, Sonnenbrille und einen grünen Parker. Ungewöhnlich ist das große Schild mit der Nummer 1627. Er hält es demonstrativ in die Kameras.
Hinter der Zahl verbirgt sich eine Akte des russischen Geheimdienstes KGB. Sie soll seine Unschuld beweisen und ins Verfahren eingeführt werden. „Sonst trete ich in den Hungerstreik", droht der Angeklagte. Eigentlich sollten Staatsanwalt und Verteidiger plädieren. Stattdessen kündigen die Verteidiger Ulrich Busch und Günther Maull eine Erklärung ihres Mandanten sowie 40 neue Beweisanträge an.
Bevor es losgeht, macht sich Demjanjuk erst mal bettfertig. Die Liegestatt steht wie jeden Tag neben dem Richtertisch. Zwei Sanitäter helfen ihm. Den Kopf auf ein Kissen und zugedeckt. Käppi und Sonnenbrille darf er anbehalten. Sonst könnte ihn ja das Deckenlicht blenden. Neben ihm sitzt die Dolmetscherin wie eine Mutti, die ihrem Kind ein Gute-Nacht-Märchen vorliest.
Sie übersetzt das Verfahren in seine ukrainische Muttersprache. Niemand weiß genau, ob Demjanjuk den Prozess überhaupt verfolgt. Oder er nicht doch ein Nickerchen hält. Bis heute streitet der Angeklagte die Vorwürfe ab. Er soll im Zweiten Weltkrieg als Hilfs-KZ-Wächter im Vernichtungslager Sobibor (Polen) Beihilfe zum Mord an 27900 Juden geleistet haben (siehe unten).
Seine letzte Hoffnung ist die KGB-Akte 1627. „Sollte das Gericht diese Akte nicht als Beweismittel zulassen, werde ich in zwei Wochen in den Hungerstreik treten“, ließ er über Verteidiger Busch vortragen: „Der Hungerstreik ist der einzige Weg, der Welt zu zeigen, welche Verhöhnung der Gerechtigkeit dieses Verfahren darstellt.“
Die KGB-Akte, die in Moskauer Archiven schlummern soll, würde zeigen, dass er nicht „Iwan der Schreckliche“ ist. Sollte Demjanuk in den Hungerstreik treten, ist man in der JVA-Stadelheim vorbereitet. „Ärzte werden ihn engmaschig beobachten. Ich habe aber noch nie erlebt, dass einer zwangsernährt werden musste.
Sie brechen von alleine wieder ab, wenn das gute Essen durch die Gänge duftet“, sagt Stadelheim-Chef Michael Stumpf. Noch zeigt Demjanjuk einen guten Appetit. Sein Leibarzt Albrecht Stein, der während des Verfahrens über die Gesundheit des Angeklagten wacht, sagt: „Heute gab es Backhähnchen mit Pommes.
Man hat gesehen, dass es ihm noch schmeckt.“ Überhaupt macht Demjanjuk sein Erscheinen vor Gericht vom Justiz-Speise-Plan abhängig. Wie berichtet, fiel an manchen Tagen das Verfahren aus, weil er in Stadelheim aus angeblich gesundheitlichen Gründen im Bett blieb. Aber bei Fisch sei Herr Demjanjuk immer gekommen. „Er liebt Fisch“, sagt Stein.
Der Fall Demjanjuk: Er saß bereits fünf Jahre in der Todeszelle:
Der Angeklagte John Demjanjuk geriet im Zweiten Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft. In einem SS-Lager im polnischen Trawniki wird er mit anderen ukrainischen Häftlingen zum Hilfswächter fürs KZ ausgebildet, den so genannten „Trawniki-Männern“.
Am 27. März 1943 wird Demjanjuk ins Vernichtungslager Sobibor verlegt. Er soll jüdische Kinder, Frauen und Männer in die Gaskammern getrieben haben. 1987 beginnt der erste Prozess gegen Demjanjuk in Israel.
Am 25. April 1988 wird er zum Tode verurteilt. Plötzlich tauchen neue Fakten auf: Demjanjuk sei nicht „Iwan, der Schreckliche“. 1993 kommt er wieder frei und kehrt in die USA zurück. 2009 nimmt die Münchner Staatsanwaltschaft Kontakt mit den USA auf.
Das Bayerische Landeskriminalamt (LKA) legt neue Beweise vor: Der „SS- Dienstausweis Nr. 1393“ mit einem Foto von John Demjanjuk sei echt. Die KGB-Akte 1627 soll jetzt das Gegenteil beweisen.
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