Debatte um Mindestlohn: In München mindestens 9,84 Euro pro Stunde

„Von der Arbeit muss man leben können“, posaunte DGB-Bayern-Chef Fritz Schösser bei der Maikundgebung über den Marienplatz. Die Gewerkschaft will den Mindestlohn per Volksbegehren einführen. Das stößt auf Kritik. Politiker und Forscher streiten darüber, wer im Freistaat wieviel Lohn bekommen soll.
von  Abendzeitung

„Von der Arbeit muss man leben können“, posaunte DGB-Bayern-Chef Fritz Schösser bei der Maikundgebung über den Marienplatz. Die Gewerkschaft will den Mindestlohn per Volksbegehren einführen. Das stößt auf Kritik. Politiker und Forscher streiten darüber, wer im Freistaat wieviel Lohn bekommen soll.

Von Thomas Gautier und Kasanobu Serdarov

Bayern braucht einen eigenen Mindestlohn. Dieser Meinung ist DGB-Bayern-Chef Fritz Schösser. „Von der Arbeit muss man leben können“, posaunte er bei der Maikundgebung über den Marienplatz. „Ich fordere euch auf: Keiner geht nach Hause, ohne unterschrieben zu haben!“

25000 Unterschriften benötigt er für sein Volksbegehren. Bekommt er diese zusammen, wäre die nächste Hürde eine Unterschriften-Aktion für einen Volksentscheid. Dann kann über einen landesweiten Mindestlohn von 8,14 Euro die Stunde abgestimmt werden. Münchens OB Christian Ude unterschrieb am Donnerstag als einer der Ersten: „Es ist eine Frage der Menschenwürde, dass man für eine ganztätige Arbeit menschenwürdig verdient“, sagte er.

Doch während Schösser und Ude fleißig Unterschriften sammeln, macht sich Kritik an dem Vorschlag breit. Während SPD und Grüne den Vorstoß unterstützen, ist die CSU dagegen. Mit populistischer Stimmungsmache werde kein Job geschaffen, schimpfte Wirtschaftsministerin Emilia Müller. CSU-Mittelstandssprecher Hans Michelbach ergänzte: „Die Arbeitnehmer brauchen nicht immer mehr Brutto, sondern deutlich mehr Netto vom Brutto.“

Auch von anderer Seite gab es Schelte – wenn auch mit anderer Stoßrichtung. Eine Studie ergab: Für München reichen 8,14 Euro nicht, weil hier die Lebenshaltungskosten viel höher sind. Es müssten 9,84 Euro sein. Diese Zahl stammt aus einer Studie des Deutschen Instituts für kleine und mittlere Unternehmen (DIKMU). Denn München liegt 31 Punkte über dem deutschen Lebenshaltungsindex von 100. Der zeigt die Kosten für Nahrungs- und Genussmittel, Energie oder Mieten an. Und die sind an der Isar deutlich höher als etwa in Zwickau. Dort liegt der Index bei 95,7 Punkten.

„Wenn Politiker davon ausgehen, dass 7,50 Euro (die bundesweite DGB-Forderung) bei einem Index von 100 ausreichen, dann müsste man in München diese 7,50 Euro mit dem Münchner Index von 131 verrechnen“, sagt der Leiter der Studie, Jörn-Axel Meyer. „Das sind 9,84 Euro.“

Mit diesem Mindestlohn müssten nicht nur Friseure, Floristen sowie Sanitär- und Heizungsinstallateure mehr Geld bekommen, sondern auch Beschäftigte im Wachgewerbe, in der Hotel- und Gaststättenbranche, bei Reisebüros und im Einzelhandel. Das verteuert auch deren Personalkosten – um bis zu 29 Prozent, so die Studie.

Verdi-Sprecher Hans Sterr kann sich einen München-Mindestlohn von 9,84 Euro gut vorstellen: „Wer hier weniger bekommt, braucht einen Zweitjob oder Sozialleistungen wie Wohngeld. Die Mieten sind enorm hoch.“ Auch die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten will den Luxus-Mindestlohn, mindestens aber neun Euro, so Sprecher Freddy Adjan. Ähnlich sieht es der Arbeitsmarkt-Experte vom DGB München, Christoph Frey: Er fordert einen „moralischen Mindestlohn“ von neun Euro.

Was sagen Experten? Marion König vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hält regionale Mindestlöhne nicht für sinnvoll. „Es wird schnell unübersichtlich. Um zu sparen, könnten viele Firmen Jobs in Regionen mit niedrigeren Mindestlöhnen verlagern.“

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