Datenpanne vor Bundestagswahl: Toter Münchner soll wählen - zum neunten Mal

München - In wenigen Wochen jährt sich der Tod von Siegfried H. (Name der Redaktion bekannt) zum achten Mal. Der bergbegeisterte Münchner starb am 10. November 2013 im Alter von 79 Jahren. Seitdem lebt seine Witwe allein in der Wohnung, die das Paar 1970 gemeinsam bezogen hatte. Doch bis heute schickt die Stadt amtliche Wahlbenachrichtigungen für Siegfried H. an die Adresse in Ramersdorf.
Bundestag, Landtag, Stichwahl: Neun Kreuze soll der Tote machen
Und das ist mittlerweile schon ganz schön häufig gewesen. Knapp vier Monate nach dem Tod von Siegfried H. stand in München am 16. März 2014 die Kommunalwahl an. Zwei Wochen später waren die Münchner aufgerufen zur OB-Stichwahl zu gehen – auch der tote Herr H..
Anfangs war seine Witwe noch nachsichtig. Sie ging davon aus, dass die Daten zeitnah aktualisiert werden würden. Doch dem war nicht so.

"Das ist eine Schlamperei, die Wahlbetrug Tür und Tor öffnet!"
Am 25. Mai 2014 wurde das Europaparlament gewählt – und wieder fand Angelika H. im Briefkasten neben der Wahlbenachrichtigung für sie auch einen Brief für ihren Mann. Genauso war's zur Bundestagswahl am 24. September 2017. Es folgten die Landtags- und Bezirkstagswahl am 14. Oktober 2018, die Europawahl am 26. Mai 2019, die Kommunalwahl am 15. März 2020 und zwei Wochen später die Stichwahl für den Oberbürgermeister.
Als nun zur Bundestagswahl - mittlerweile zum neunten Mal in acht Jahren - Wahlpost für Siegfried H. kam, reichte es der 76-Jährigen. "Ich kann das nicht fassen, dass in einer Millionenstadt, in der alles vernetzt ist, sowas nicht funktioniert", ärgert sie sich. "Das ist eine Schlamperei, die Wahlbetrug Tür und Tor öffnet!" Schließlich könnten mit der Benachrichtigung die Unterlagen für die Briefwahl angefordert werden. Angelika H.: "Ein Krakel drunter und schon kann man eine Stimme für einen Toten abgeben. Wer weiß, wie viele Stimmen abgegeben werden für Menschen, die überhaupt nicht existieren."
Wahlunterlagen für einen Toten: Das sagt das KVR
Das Kreisverwaltungsreferat (KVR) teilte auf AZ-Anfrage mit, es handele sich um einen Einzelfall. 2013 seien Sterbedaten noch "auf dem Papierweg per Formularschreiben" vom Standesamt an das Bürgerbüro, wo das Wählerverzeichnis erstellt wird, übermittelt worden. KVR-Sprecher Johannes Mayer: "2013 wurde schrittweise damit begonnen, Nachrichten aus dem Standesamt im Hinblick auf einen Sterbefall elektronisch an das Bürgerbüro zu übermitteln." Der geschilderte Fall habe offenbar noch nicht dazugehört.

Laut KVR-Sprecher erhält das Bürgerbüro inzwischen rund eine halbe Million elektronische Nachrichten aus den Bereichen Melde-, Personenstands- und Ausländerwesen, die eine Änderung des Meldedatensatzes erforderlich machen. Mayer: "Dass in Einzelfällen Daten unvollständig sind, wird sich nie und nirgends zu 100 Prozent vermeiden lassen. Ganz gleich, ob mit Papierformularen oder elektronischen Datensätzen gearbeitet wird." Eine Statistik dazu gebe es nicht. Nach Bekanntwerden der Datenpanne sei Siegfried H. sofort aus dem Wählerverzeichnis gelöscht worden.
Die Witwe ist gespannt, wie es bei der nächsten Wahl sein wird. An einen Einzelfall kann sie nicht recht glauben: "Auch nach dem Tod meiner Schwiegermutter kam dort noch jahrelang Wahlpost für sie an."